Erstellt am: 6. 1. 2012 - 05:28 Uhr
Der Kandidat, der aus der Kälte kam
Vorwahlzirkus
Es ist eine silly season im ursprünglichen Wortsinn: Wenn Horden von Kamerateams in hinterletzte Landstriche abseitigster Bundesstaaten einfallen und jeden Klappsessel einer maroden High School mehrmals von oben bis unten abfilmen, wenn der janitor und die stellvertretende Vizepräsidentin des lokalen Häkelvereins als politische Experten herhalten müssen, wenn traditionelle, aber hoffnungslos antiquierte Abstimmungsrituale akribische Erörterungen erfahren, dann wurde in den USA soeben die Vorwahlzeit ausgerufen.
Primaries und Caucuses sind Selektionsverfahren, in denen der Kandidat einer Partei für die US-Präsidentschaftswahlen ermittelt wird. Alle vier Jahre finden diese Urnengänge statt. Im Land meiner Gastgeber sind sie einerseits Ausdruck gelebter Demokratie. Andererseits überschatten die Abstimmungsorgien aufgrund ihres langwierigen und komplizierten Prozederes das politische Tagesgeschäft und ziehen über den Zeitraum mehrerer Monate das Gros der Medienaufmerksamkeit auf sich – ein guter Zeitpunkt also, nicht ganz so populäre Gesetze am öffentlichen Auge vorbeizumogeln. Der eher sportlich orientierten Politbegeisterung sei’s gedankt.
Getty Images
Die Vorwahlen werden in allen 50 Bundesstaaten abgehalten. Am großen Bundesparteitag im Sommer, der sogenannten Convention, erfolgt die offizielle Nominierung des Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl selbst findet im November statt. Und weil gerade ein Demokrat im Weißen Haus sitzt und dort noch eine weitere Amtszeit residieren möchte, gehört die diesjährige Vorwahlsaison ausschließlich den Republikanern.
Traditionell macht der Agrarstaat Iowa den Anfang. Bekannt aus tristen Milieustudien im Geiste des österreichischen Films, muss dieser im Nirgendwo des Mittleren Westens gelegene Flecken als repräsentativer Testlauf für die Nation herhalten. Dabei reichte es bisher als Republikaner, sich bloß ordentlich konservativ und bigott in Szene zu setzen, um ganz oben auf der Kuh zu landen. Dass mit dem latent homophoben Rick Santorum ein besonders eifriger Eiferer (und Katholik!) bloß um acht Stimmen das Nachsehen hatte, hätte fast die Iowa-Regel bestätigt. Fast deshalb, weil ausgerechnet ein Mormone als knapper Sieger aus einer langen Wahlnacht hervorgegangen ist. Für stramme, amerikanische Evangelikale, die traditionell den backbone der Republikaner bilden, sind die Glaubensbrüder mit Stammsitz Salt Lake City ja bloß halbe Christen. Da kann man nicht mehr von der berühmten Ausnahme sprechen. Das ist ein Sakrileg!
Der (fast) ideale Kandidat
Der Sieger dieses ersten Wahlganges heißt Mitt Romney und Religion spielt in seinem politischen Leben zumindest offiziell keine Rolle. Auf den ersten Blick ist er sogar der ideale Kandidat für die Republikaner. Der 64-Jährige war erfolgreicher Geschäftsmann und ist ein erfahrener Berufspolitiker. Außerdem sieht er aus wie ein charmant angegrauter B-Movie Star mit Strahler 80-Lächeln im Ronald Reagen Stil. Doch dem idealen Kandidaten wollen die Herzen der Parteibasis nicht so recht zufliegen. Innerhalb der konservativen Tea Party gilt Romney sogar als verhasst.
The Gazette
In Umfragen ist der Silberfuchs aus Michigan konstanten 75% der republikanischen Wählern zu unberechnbar in ideologischen, sozialen und politischen Fragen und zu unnahbar und elitär obendrein. Steuererhöhungen, Homorechte, Sex vor der Ehe und Schwangerschaftsabbruch waren für den Politiker Romney in der Vergangenheit keine Tabuthemen. Und als Governor des Ostküsten-Bundesstaates Massachusetts hat er gar das Undenkbare gewagt und eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt. Ein „sozialistischer“ Republikaner? – Gott behüte! Die Konsequenz: bei seinem ersten Antritt zum Run aufs Weiße Haus vor vier Jahren ist Romney bereits in der Vorrunde auf die Nase gefallen.
Dass er in diesem Wahljahr dennoch der aussichtsreichste Kandidat der Republikaner ist, hat mit mehreren Faktoren zu tun: Romney verfügt über eine pralle Wahlkampfkasse, die das Gesamtvolumen aller Konkurrenten übersteigt und damit hat man im Amiland in der Regel schon die halbe Wahl eingefahren. Den Republikanern mangelt es generell an Visionen jenseits überholter Dogmen („less goverment, no taxes“). Hoffnungsträger wie die Politschauspielerin Sarah Palin oder Chris Christie, der aktuelle Govenor von New Jersey, sind erst gar nicht bei den Vorwahlen angetreten. Zu stark wird der aktuelle Amtsinhaber trotz Popularitätstief im Wahlkampf eingeschätzt, zu schwach die Wirtschaft, als dass man sich an den schwierigen Problemslösungen die Finger verbrennen will (was so natürlich niemand zugeben würde).
Johne Gress/Reuters
Und die Tea Party hat zwar im Anschluss an die letzten Kongresswahlen und mit Aufkommen der Occupy-Bewegung klar an Momentum verloren, aber sie hält die Partei der star spangled Elefanten ideologisch immer noch in Geiselhaft. Diese ungünstigen Umstände haben eine Palette zirkusreifer Kandidaten wie etwa den Pizzakönig und notorischen Frauennachsteller Herman Cain oder die ultrakonservative Michelle Bachman produziert, deren Ehemann Kliniken zur „Heilung von Homosexualität“ betreibt. Was Bachman, Cain, Perry, Gingrich, Santorum und Ron Paul in den vergangenen Wochen bei den Fernsehdebatten an Stuss redeten, machte Politsatire-Programme wie Jon Stewarts „Daily Show“ beinahe überflüssig. Jon Huntsman, der eher moderate, frühere US-Botschafter in China gilt als chancenlos.
Bleibt also nur noch der ungeliebte Romney, der versucht, sich in Zeiten der Krise als oberster CEO mit Problemlösungskompetzenz zu inszenieren. Und wir alle kennen ja mittlerweile den berühmten, abgewandelten Spruch des Bill Clinton Wahlkampfstrategen James Carville: „it’s the economy, studpid!“.
Doch hätte der erfolgreiche Ex-Geschäftsmann Romney tatsächlich eine Chance gegen den Debattenkönig Obama? Wenn man sich den Hintergrund von Romneys Karriere etwas genauer ansieht, tauchen einige dunkle Flecken in der vordergründig makellosen Business-Karriere auf. Denn der Absolvent eines MBA-Programms und Jurist war in der Vergangenheit eine der zentralen Figuren in der Begründung einer Unternehmensphilosophie, die viele Experten mittlerweile als mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang der USA machen.
The Magic Kid
Romney heuerte nach Beendigung seines Studiums Ende der 70er Jahre in der Consulting-Branche an. Firmenberatung war damals eine junge Disziplin und wurde von den großen Fischen der US-Wirtschaft zunächst als Qucksalbertum abgetan. Doch das sollte sich rasch ändern. Traut man den Angaben ehemaliger Kollegen und aktueller Wirtschaftsexperten in einem Romney-Business-Portrait des New York Magazine, spielte der junge Harvard-Abgänger dabei eine Schlüsselrolle. Mitt, der Zahlenchecker, machte sich schnell einen Namen in der Bostoner Beratungsfirma Bain & Company. Seine Erfolgsformel setzte bei der "Theory Of The Firm" der beiden Wirtschaftswissenschaftler Michael Jensen und William Meckling an und folgte deren einfacher Optimierungslogik: alle Spitzenkräfte einer Firma sollten künftig über (Aktien)Beteiligungen am Unternehmen zu einer besseren Performance motiviert werden. Sich gegenseitig kontrollierende Gremien wie Geschäftsführung, Board und Eigentümer mit ehemals unterschiedlichen Interessen werden so auf ein gemeinsames Ziel eingeschworen. Und das lautete fortan Gewinnmaximierung um jeden Preis bei anschließender "executive compensation" durch dynamische Boni und Aktienpakete. Eine Beteiligung der gewöhnlichen Angestellten, Arbeiter oder Arbeitnehmervertretung sah dieses Modell nicht vor. So wurden aus vormals angestellten Spitzenmanagern mit Fixgehältern Anteilhaber mit Aussicht auf fette Gewinne bei dementsprechenden Geschäftsbilanzen.
New York Magazine
Um dieses Konzept in die Realität umzusetzen, gründeten Romney und seine Mitstreiter Anfang der 80er Jahre im Auftrag von Bain & Company die private equity Firma Bain Capital. Dort investierten sie häufig auch in jene Unternehmen, die sie als Konsulenten betreuten. Sie machten sich somit selbst zu Eigentümern – auch das war in der Branche revolutionär. Was folgte, war die Etablierung des sogenannte Shareholder Value Prinzips als Managementmodell. Die primäre Verantwortlichkeit der CEOs wanderte von der Firma und ihren Angestellten zu den Aktieninhabern. Management Consulting Firmen wie die „großen Drei“ aka „MMB“, McKinsey & Company, Bain & Company und The Boston Consulting Group krallten sich angeschlagene Firmen, feuerten einen Großteil der Belegschaft, rationalisierten Arbeits- und Management-Prozesse, verkauften anschließend die sanierten (und teilweise filetierten) Unternehmen und häuften so riesige Vermögen an, während Arbeiter massenhaft entlassen wurden und das Ende des Produktionszeitalters ausgerufen wurde.
Gegen den eigenen Erfolg
Dass nun ausgerechnet einer der ehemaligen Schattenmänner des US-Wirtschaftsaufschwungs unter Ronald Reagan dem gemeinen Tea Party-Reagonomics-Fan als Antithese zum „heiligen Ronnie“ gilt, ist ein echter Treppenwitz der Geschichte.
Doch vor der Antipathie der 75% in seinen eigenen Reihen braucht sich Romney nicht wirklich fürchten. Geht es um die Frage, welchem Kandidaten die besten Chancen im direkten Duell mit Präsident Obama eingeräumt werden, kann der slicke Mitt den Großteil der Reps hinter sich versammeln. Und darum geht es ja auch der konservativen Meinungsmehrheit bei dieser Wahl: Obama muss weg, no matter what.
New York Magazine
Falls Romney am Ende tatsächlich als Sieger aus den Primaries und Caucuses hervorgehen sollte, geht jedoch der Rechtfertigungsärger im Werben um potentielle Wählerschichten und die wichtigen Stimmen der Independents erst so richtig los. Wie soll jemand glaubwürdig „Jobs, Jobs, Jobs!“ skandieren, der als Unternehmer nicht nur zehntausende US-Bürger in die Arbeitslosigkeit geschickt und ihre Stellen in sogenannte Entwicklungsländer ausgelagert hat, sondern überhaupt einer der Erfinder dieser Rationalisierungsstrategie ist? Welche Phrasen muss sich der Wahlkampfstab ausdenken für einen strebsamen Vorarbeiter der neoliberalen Agenda, die mittlerweile auf Politik und Gesellschaft übergegriffen hat und nicht nur mit ein Grund für die Finanzkatastrophe von 2008 war, sondern bereits davor die sozialen Gegensätze in den USA extrem verschärfte?
Next stop: New Hampshire
Nur ein Mitt Romney kann dazu völlig uncharismatisch lächeln und (auch für viele Republikaner) unglaubwürdig die Abschaffung seiner eigenen Erfindungen fordern, wie er es gerade im laufenden Wahlkampf tut. Beim idealen Kandidaten ist der in der aktuellen US-Politik oft schmerzlich vermisste Pragmatismus nicht mehr vo Zynismus unterscheidbar. So hat Romney laut eines ehemaligen Geschäftsfreundes seinerzeit als Governor von Massachussetts die allgemeine Krankenversicherung nicht etwa aus ideologischen oder humanen Gründen eingeführt. Die Fallstudie an einem Krankenhaus ergab vielmehr, dass eine universal health care den Besitzern der Klinik am Ende mehr Profit bringt als das freie Marktsystem mit seinen Heerscharen an Nichtversicherten, die zumindest in der Notaufnahme gratis erstversorgt werden müssen. Ein echter Romney eben.