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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

29. 1. 2012 - 12:50

Gesunde Skepsis

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (7)

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

marc carnal

Als ich vor einiger Zeit einen Umzug zu bewältigen hatte und mein Hab und Gut einer kritischen Selektion unterzog, war ich erstaunt darüber, wie viele Medikamente ich besaß. Eine ganze Schublade hatte ich im Laufe der Zeit mit bunten Arzneien randvoll angefüllt. Die meisten davon zeigten sich jungfräulich originalversiegelt. Doch wie kam mein pharmazeutisches Privatarchiv zu seinem reichhaltigen Inventar?

Wenn sich der Katarrh ankündigt, muss die peinvolle Visite beim Hausarzt absolviert werden. Durch jahrzehntelange Erkältungs-Routine verfügt man zwar über einen wirksamen Wissens-Fundus an Hausmitteln, braut also Hühnersuppe, trinkt Preiselbeersaft und sieht sich Talentwettbewerbe im Privatfernsehen an, allerdings braucht man eine Krankschreibung, um die verhassten Arbeitskollegen nicht anzustecken, schließlich gönnt man ihnen keine Bonus-Freizeit.
Man schleppt sich also zum Allgemeinmediziner.

Warum gibt es eigentlich so genannte Arzttermine, wenn man ab dem vereinbarten Zeitpunkt mit röchelnden Leidgenossen stets vier Stunden im Warteraum dahinsiechen und tranige Gesundheitsmagazine lesen muss? Könnte man nicht ein SMS-System einführen, das einen je nach vorher angegebener Distanz informiert, wann man schätzungsweise drankommt? In der schäbigsten Spelunke ist es mit Fieber und Bronchitis angenehmer als in den meisten Wartezimmern.

Wird einem die Audienz endlich gewährt, hört der Doktor zuerst Herz und Lunge ab, stellt zwei, drei Routine-Fragen bezüglich akuter Beschwerden und erfreut sich dann der lukrativen Verträge mit der Pharmaindustrie, deren reichhaltige Präparats-Palette der Patient schließlich in der nächsten Apotheke zu erstehen angehalten wird.

Den letzen Punkt könnte man freilich auslassen, ein unergründliches Pflichtgefühl veranlasst mich aber immer wieder, das Ritual vollständig zu bewältigen. Zu Hause wird das halbe Dutzend an Drops, Tropfen und Zäpfchen dann ungeöffnet verstaut. Nach einigen Jahren ist das Erstaunen darüber aber doch groß, wie viel Geld man in das Ablaufen von Haltbarkeitsdaten investiert hat.

Manch einer vertraut den Präparaten der Schulmedizin blind und schluckt alles, was er verschrieben bekommt. Das ist womöglich auch die klügere Taktik, schließlich erwischt man so auch automatisch die tatsächlich tauglichen Arzneien. Mit meiner ungeheuren Skepsis bin ich zumindest weniger gefährdet, in die Medikamentensucht zu schlittern und kann in den allermeisten Fällen Kopfschmerzen, Verkühlungen, Durchfall oder Übellaunigkeit in Eigenregie erfolgreich lindern.

In der Packungsbeilage eines Medikaments, das mir gegen einen harmlosen grippalen Infekt verschrieben wurde, sind unter anderem folgende mögliche Nebenwirkungen aufgezählt:

Bauchkrämpfe, Magen-Darm-Blutungen, Erbrechen von Blut, Geschwüre im Magen-Darm-Trakt, blutiger Durchfall, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Verstärkung von Hämorrhoidalbeschwerden, unspezifische blutende Dickdarmentzündungen, Mundschleimhautentzündungen, Schädigung der Speiseröhre, Taubheitsgefühl, Gedächtnisstörungen, Schwerhörigkeit, Reizbarkeit, Krämpfe, Doppeltsehen, Depressionen, Albträume, Zittern, psychotische Reaktionen, juckender Hautausschlag, vorübergehender Haarausfall, bestimmte sehr schwere Hauterkrankungen, akutes Nierenversagen, Harn im Blut, Leberentzündung Hepatitis (mit und ohne Gelbsucht), Blutdruckabfall bis hin zum allergischen Schock, Salz- und Wasserausscheidungsstörungen, Impotenz (ob durch XXX verursacht, ist nicht sicher).

Dies ist aber nur ein Radio-Edit der rund achtzig angeführten Punkte.

Jaja, höre ich schon beschwichtigende Worte, das kann alles theoretisch eintreten, ist aber doch höchst unwahrscheinlich.
Von Ingwertee oder Kochsalzspülungen plötzlich Haarausfall, Magengeschwüre, Depressionen oder Gedächtnisstörungen zu bekommen, halte ich allerdings für noch viel unwahrscheinlicher.

So werde ich mich weiterhin meines Daseins als unbekehrbarer Skeptiker der Schulmedizin erfreuen, ihre Errungenschaften in Fällen von bedrohlichen Erkrankungen natürlich trotzdem dankbar in Anspruch nehmen und mich ansonsten der besten Medizin, nämlich der Vorsorge widmen, denn wir wissen:

An apple a day keeps the doctor away.