Erstellt am: 4. 1. 2012 - 11:56 Uhr
Noch ein Jahr ist vorbei
Ich bin schon im Bus nach Wien. Der gutmütige Nebel versteckt die oberen Stockwerke der Plattenbausärge der Sofioter Randviertel. Eine alterslose Dame hat neben mir Platz genommen. In ihrem Schoß liegt gemütlich ein Chihuahua, der Meister Yoda unglaublich ähnlich schaut. Die Nägel des kleinen Hundes sind rosarot lackiert. Ich versuche, mir Meister Joda mit lackierten Nägeln vorzustellen und lächele innerlich. Bald erreichen wir die bulgarische-serbische Grenze. Danach bekommen wir einen Film zu sehen. “Fluch der Karibik 4 1/2” oder irgendwas mit Dwayne “The Rock” Johnson.
Noch ein Jahr ist vorbei. In jeder Kultur gibt es andere Traditionen, das Glück fürs kommende Jahr zu bestimmen. Letztes Jahr war ich zu Silvester in Wien. Ich war auf einer Party, wo Blei gegossen wurde. Mir wurde ein formloses Bleistück übergeben und gesagt, dass das mein Glück fürs kommende Jahr sein sollte. Ich habe alles versucht, um eine Figur im Bleistück zu finden, doch alles war vergebens. Ganz egal, wie stark ich meine Vorstellungskraft angestrengt habe, blieb das Bleistück formlos und ich habe nicht geschafft, irgendwas darin zu erkennen. Deshalb kann ich nicht sagen, ob 2011 glücklich oder unglücklich für mich war.

http://en.wikipedia.org/wiki/File:Banitsa_and_milk.JPG
“Gesundheit”, “Viel Arbeit” und “Stapel mit Geld”. Das war mein Glück vom Neujahrsbanitza in meiner Familie. Im Vergleich zu den Wiener Bräuchen klingt das viel konkreter, jedoch steckt aber auch etwas Unklares in diesen „wegweisenden“ Worten. Zu Weihnachten oder am 1. Jänner backen die Bulgaren eine große „Banitza“ – ein Blätterteigkuchen, ähnlich dem türkischen Börek. In die Banitza steckt man Glückwünsche, die man um einen kleinen Kornellkirschenzweig wickelt.
Die Glückwünsche sind ganz traditionell Liebe, Glück und Gesundheit, aber auch materielle Dinge wie neues Haus, neues Auto oder eine Weltreise. Das Größte Glück soll aber eine Münze bringen. Derjenige, der sie bekommt, soll sich im nächsten Jahr über großes finanzielles Glück erfreuen. Seitdem Bulgarien in die EU aufgenommen wurde, benutzt man als Glücksbringer häufig eine Euromünze. Die Banitza wird auf dem Tisch gedreht und jeder bekommt das Stück, das gerade vor ihm steht. Deshalb kommt es oft zu Verwirrungen, denn nicht jeder bekommt das Glück, das für ihn bestimmt war. Meine Oma zum Beispiel freut sich seit Jahren auf “Erfolg im Lernen”. Eigentlich ist das für meinen jüngeren Bruder bestimmt, aber in seinem Stück Banitza steht fast immer “brave Enkelkinder”.
Ich versuche, meinem Glück aus der Banitza zu folgen. Ich bin noch im Bus nach Wien und beginne schon zu schreiben. Das, was man unter “Viel Arbeit” versteht, soll Wirklichkeit werden. Und hoffentlich bringt mir die Arbeit auch “Stapel mit Geld”. Für die Gesundheit mache ich mir erstmal keine Sorgen. Meister Joda ist eingeschlafen. Möge die Kraft mit Ihnen sein! Das Ende der Welt kann kommen. Wien ist vor mir. Frohes Neues Jahr!