Erstellt am: 2. 1. 2012 - 18:16 Uhr
Journal 2012. Obituary.
Das war das tägliche Journal 2011. 2012 wird spezialisiert. Es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird ein Journal zum Afrika-Cup, ein EM-Journal, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben.
Die "normalen" Einträge des Journal 12 werden unregelmäßig, und keinesfalls wieder täglich stattfinden. Maximal virtuell.
Gestern, am 1.1. etwa, hätte es - aus aktuellem Anlass - einen Text über den perfiden Wut-Medien-Trick gegeben, mit dem Österreichs Mainstream-Media sich verlorenes Terrain zurück-erschwindeln will: den Konsumenten das Wutbürgertum absprechen, weil es die Politik und so die Demokratie schädigt. Damit man dann selber das exakt gleich, in lobbyistisch-gezieltem Auftrag, erledigen kann. Ich denke, dieses Thema wird noch oft genug aufpoppen.
Heute muss ein Nachruf sein, ein realer zu einer virtuellen Person.
Bei diesem Partyspiel, wo man ein Post-It auf die Stirn gepickt kriegt und die Figur erraten muss, die draufsteht, ist es eine der ersten Fragen: Bin ich echt oder eine Kunstfigur?
General van Dyke ist eine Kunstfigur aus der Zukunft, Chef der schnellen Kampfverbände einer geeinigten terrestischen Armee.
Van Dyke ist der der einzig analytisch-kühle und gleichzeitig kühne Kopf in einem Generalstab, der sonst aus berechnenden Apparatschiks, perfid-abwartenden Geheimdienstler und waschweibermäßigen Silberrücken besteht.
Van Dyke heißt mit Vornamen Lydia und entstammt der stilprägenden Sechziger-Jahre-Serie Raumpatrouille. Charlotte Kerr, ihre Darstellerin, später die Frau und noch später die Nachlassverwalterin des großen Friedrich Dürrenmatt, ist während der Feiertage gestorben, 82jährig.
Der Van Dyke-Charakter ist den großen stoischen Heldinnen der 30er, 40er und vielleicht noch 50er nachempfunden, Katherine Hepburn, Bergmann, Garbo, Dietrich, später Flickenschildt; Fatale Femmes, die in kriegsbedingter Abwesenheit ganzer Männergenerationen das Leben selbstständig gestemmt hatten, ehe sie in den Fifties wieder an die Herde zurückgedrängt wurden.
Gender-Politics im Weltall
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Van Dyke ist die Chefin des Helden der Raumpatrouille-Reihe, die Chefin von Orion-Kommandant Cliff Allister McLane alias Dietmar Schönherr, dessen Abenteuer 1966 sieben Folgen lang als Straßenfeger dienten, mit Zuschauerquoten von über 50%. Durch ständige Wiederentdeckungen und Wiederholungen ist die mit aberwitzig vorsintflutlichen Tricks, aber guten Büchern und gewitzten Charakteren gezeichnete Reihe heute noch Role-Model für originelle Science Fiction.
Und reine Fiction war auch die Rolle der Befehlshaberin. Eine Frau als General - 1966 unvorstellbar.
Wer jetzt in den Weihnachtsfeiertagen, wo alle Louis de Funes-Filme wiederholt werden, den St.Tropez-Klassiker mit den Gendarmettes gesehen hat, weiß: 1982 stellte man sich ernsthaft die Frage ob weibliche Polizisten überhaupt denkbar sind.
Die massiv in die Zukunft gedachte Orion-Serie, die in Teilen übermilitaristisch war und in anderen Bereichen noch stark im West/Ost-Machtdenken festhing, war in Gender-Fragen hingegen weit vorne. Der zentrale Konflikt zwischen Ratio und Instinkt, zwischen Regel und Improvisation, der im SF-Bereich seit jeher dominiert, wird auf der Orion zwischen McLane (Herz) und Sicherheits-Offizierin Jagellovsk (Hirn) durchexerziert; entgegen aller Geschlechter-Klischees.
Herz und Hirn, Domina und Lustknabe
Wesentlich eindrucksvoller als die, absehbar endende, Geschichte zwischen den Charakteren von Schönherr und Eva Pflug, ist allerdings die nur in Andeutungen, unter der Oberfläche brodelnde Geschichte zwischen McLane und seiner Befehlshaberin.
Wenn McLane sich zwischen der Rettung der Erde und der Bergung des havarierten Schiffs "seines" Generals entscheiden muss, tritt ihm panischer Schweiß an Oberlippe und Stirn, er beginnt kopflos zu agieren, wie der Sklave einer mit knappen Gesten agierenden Domina.
Während also die klassischen Geschlechterrollen bei den Orion-Vordenkern in der deutschen Sechzigern bereits für obsolet erklärt wurden, bleibt es ein militärischer Standesdünkel, der verbietet, dass McLane jemals mehr als ein G'schichterl der Generalin werden kann. Auch eine radikale Antizipation der Zukunft.
Ich habe seither nur eine drastischere Version gesehen: vom Holländer Paul Verhoeven, der in seiner brutal-höhnischen Gewalt-, Kriegs- und Monster-Persiflage Starship Troopers von 1997 die Selbstverständlichkeit der Gleichwertigkeit von Frauen und Männern im protofaschistischen Kampfeinsatz mit gemeinsamen Nacktdusch-Szenen, denen jeglicher sexualistierter Unterton abging, betonte.
Im Raumpatrouille-Universum wird nicht gemeinsam geduscht, nur gemeinsam abgetanzt, hochmodisch und artifiziell. Van Dyke tanzt nie, lässt McLane, dessen Ergebenheit ihr gewiss ist, mit den ihn bewundernden Damen allein und widmet sich der an der Bar stattfindenden Politik. 1966 war in einige Bereichen weit vorne.
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