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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

3. 1. 2012 - 10:19

Offene Musik, Vorbild Vergangenheit

Wie ich den Glauben an die hohe Magie des Trackings zurückgewonnen habe. Oder: Wie mich ein Vortrag vom Chaos Communication Congress auf Open-Source-Musik stieß.

Wie gerne wäre ich vor Neujahr auf dem Chaos Communication Congress in Berlin gewesen, dem alljährlichen Hackertreffen des Chaos Computer Clubs. Aber wie schön, dass es alle Vorträge auch bei Youtube als Video zum Nachschauen gibt - wirklich ein Schatz für Geeks.

Ein Vortrag hat mich kalt erwischt: "Open Source Music: Tracking 2.0" - in dem es um die Frage geht, wie man Musik "open source" machen kann. Für Vortragenden Tom Hargreave sind Schallplatte, Kassette, MP3 die proprietärsten Formate überhaupt: Unfrei, zum reinen, durch Abspielgeräte, Kopierschutzmechanismen, zeitlichen Verfall kontrollierten Konsum gedacht.

Das ist so ein Gedanke, der, einmal ausgesprochen, fast nicht weiter erklärt werden muss, so einfach ist er: Musik, wie wir sie hören, ist das schlimmste Gegenteil von Open Source. Was wir seit Jahrzehnten als Musikaufzeichnung hören, ist eine unveränderbare, nicht mehr in all ihre Bestandteile zerlegbare Gussmasse, untrennbar von ihrer jeweiligen, vielpersönlichen Autorenschaft der KomponistInnen, MusikerInnen, ProduzentInnen, AufführerInnen und HörerInnen.

Mit Modules zur Quelle

Ausgerechnet in der Spiele- und Demoszene der Achtziger und Neunziger Jahre ist aber ein Format entstanden, das damals nur praktisch war, heute aber fast revolutionär erscheint: das Module. Das Module ist eine Datei, in der Klang und Arrangement eines Musikstückes gespeichert sind. Ein Module kann - vom so genannten Tracker - abgespielt und verändert werden, bis hin zur Sample-Fledderei, bei der nichts anderes übrig bleibt, als ein Bassdrum-Sample für's eigene Stück.

Modules sind eigentlich das perfekte offene Musikformat - und Hargreaves will zeigen: auch eines, mit dem man ideal kollektiv und übers Netz an Musik arbeiten kann.

Was den Vortrag aber richtig sehenswert macht, sind all die anderen Gedankensplitter, auf die Hargreaves wohl in seiner Entwicklungsarbeit stieß. Etwa das Sample/Softsynth-Problem: Ein Sample ist zwar wiederverwertbar - aber selbst ist es natürlich auch nur eine unzertrennbare Gussmasse. Eine Ton-Erzeugung durch Module/Tracker ist zwar theoretisch total offen - weil die Steuersignale eingesehen und verändert werden könnten - dafür sind nicht alle gewünschten Ton-Ergebnisse damit erreichbar, zum Beispiel eine Gesangsstimme.

Das geht immer so weiter, Hargreaves Vortrag ist wirklich sehenswert - und zumindest mich hat er zum Strahlen gebracht, weil ich plötzlich eine Zukunft der Musik sah, wo ich doch eigentlich dachte: Dazu ist jetzt alles gesagt und gedacht, wie sollte sich die Musikproduktion nach der Soundcloud/Reason/Heimstudio-"Demokratisierung" wohl noch in der Gesellschaft verbreitern? Jetzt weiß ich es: Durch Open-Source-Musik.

Und so sah Tracking übrigens früher aus: "Unreal 2" von "Purple Motion", natürlich ein Demoscene-Stück. Boah, ist das nerdig =)