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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

5. 2. 2012 - 15:10

Die Last der Schönheit

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (8)

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

Ich bin wunderschön.

Meine güldenen Locken zieren eine Denkerstirn, deren verspieltes Relief gleichsam von Weitsicht und juvenilem Überschwang zeugt. In sattem Königsblau glimmen meine Augen, die heute vor Leidenschaft, morgen vor Melancholie leuchten. Stolz prangt meine Adlernase im Wind zwischen meinen satten Wangen, die einem Schnitzmesser zu entstammen scheinen, das mit Verve, Entschlossenheit, Zartgefühl und Bedacht von einem Meister seiner Zunft geführt wurde. Die Zähne sind kräftig wie Elfenbein und weiß wie Schnee.
Zusätzlich veredelt wird mein vollkommenes Antlitz durch einen makellosen Körper. Kräftige Schultern gehen stimmig in drahtige Arme und zärtliche Klavierfinger über, ein unbeugsamer Rumpf führt zu einem schlanken, fordernden Becken, das ein ausnehmend stolzes Glied beherbergt, um schließlich in stählernen Beinen zu münden.

Einerseits verstehe ich die unzähligen Neider. Sie denken, meine Schönheit wäre ein Segen. Sie meinen, mit meinem Aussehen stünde mir die Welt offen wie so viele Münder, wenn ich vorüberschreite. Doch sie irren.
Ich bin einsam. Ich habe keine Freunde. Man fürchtet neben mir zu verblassen und das mit Recht.

Gut, ich bin im Kleingartenverein ein geschätztes Mitglied. Seit Jahren engagiere ich mich mit beispiellosem Eifer als Schriftführer und konnte schon so manchem Kollegen mit gewieften Kniffen bei der Schädlingsbekämpfung unter die Arme greifen. Doch nach den wöchentlichen Sitzungen nimmt man lieber ohne mich Biere ein, weil meine Schönheit die durchschnittlich aussehenden Mitglieder rings um mich prompt zum Kuriositätenkabinett entstellt.

Arbeitskollegen habe ich leider keine. Als ich vor zwanzig Jahren die Idee gebar, mich auf den Transport geringer Mengen Styropors innerhalb meiner Stadt zu spezialisieren, ahnte ich noch nicht, in welche Goldgrube ich da halb zufällig getappt war. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Menschen täglich ein paar Brocken des segenreichen Dämm-Utensils von hier nach da oder dort bringen müssen und keine Lust haben, sich mit den porösen Blöcken in der Straßenbahn zu blamieren. Die Auftragslage ist traumhaft, aber Mitarbeiter brauche ich fürwahr keine, denn Styropor glänzt nicht durch Gewicht.

Mit Damen pflege ich kaum Umgang. Ich würde gerne, aber es gelingt mir nicht. Unter Anleitung gepriesener Ratgeber bemühte ich mich jahrelang in charmanter Konversation, doch schnell wendeten sich auch die attraktivsten Frauen von mir ab, da ihre eigene Eitelkeit vom Beisein eines derartig grotesk schönen Mannes wie mir gekränkt wurde. Selbst wenn ich auf der Straße knusprig wirkenden Passantinnen feixend zuzwinkere, sehen sie abrupt in eine andere Richtung. Manche, um sich nicht zu blenden, andere, weil sie erkennen, dass man sich an mir nicht satt sehen kann – Warum also erst damit beginnen?

Verstehen Sie mich nicht falsch – Ich möchte keinesfalls hässlich sein! Morgens führt mein erster Weg zum Spiegel, wo ich mich minutenlang staunend betrachte. Nur mein eigener Anblick gewährleistet mir einen perfekten Start in den Tag. Auch in meinem Dienstwagen blicke ich mitunter lieber einmal zu oft in den Rückspiegel. Hauptsächlich, um mich vom tadellosen Zustand des Styropors auf der Rückbank zu überzeugen, zwischendurch aber auch, um mich bei längeren Rotphasen kurz an meiner Pracht zu delektieren.
Nein, Hässlichkeit begehre ich mitnichten. Aber etwas weniger schön wäre ich gerne.
Ich habe in dieser Hinsicht kaum etwas unversucht gelassen.

Freilich wollte ich mich nicht vorsätzlich entstellen. Nichts wäre einfacher gewesen, als meiner prunkvollen Züge durch Verätzungen oder bewusst schlampig geführter Fechtduelle Herr zu werden.
Nein, vielmehr setze ich auf Geduld und eherne Disziplin. Schon in meiner Adoleszenz begann ich mit dem Tabakrauchen. Jahrelang rauchte ich bis zu siebzig Zigaretten pro Tag, um meinen seidenen Teint langsam zu gerben. Bis heute entfalten sie keinerlei Wirkung.

Mit ausführlichem Alkoholverzehr trachtete ich nach trüben Augen und schlechten Zähnen, doch außer leichter Migräne und kaum erwähnenswerten Schürfwunden aufgrund von Stürzen zeigte auch diese Therapie kein befriedigendes Ergebnis.

Bewegung und frische Luft vermeide ich nach Möglichkeit. Mit dem Styropor-Lieferwagen parke ich so nahe wie möglich an der Zustelladresse und hieve die Lieferung dann ausgesprochen langsam und in gekrümmter Körperhaltung zu den Abnehmern. In der Freizeit liege ich hauptsächlich starr in der abgedunkelten Wohnung und sehe mir alte Folgen von Geh aufs Ganze an.

Seit Jahren befolge ich einen sorgsam entworfenen Ernährungsplan mit militärischer Konsequenz. Mein Studium unzähliger Ratgeber folgte nur dem Ziel, eine möglichst ausführliche Liste mit den schwerwiegendsten Don'ts der Nahrungsaufnahme zu erstellen.

Nach mehreren starken Zigaretten auf nüchternen Magen pflege ich nach der selbstverständlich schleißig absolvierten Morgenroutine zwei Liter schwarzen und brühheißen Kaffee zu kübeln, um meine sensible Magenflora auf die Entbehrungen und kulinarischen Todsünden des restlichen Tages einzustimmen. Das Frühstück als wichtigste Mahlzeit des Tages ist ein selbstverständliches Tabu. Erst wenn sich mein bereits völlig übersäuerter Ranzen aus Appetit zusammenkrampft, wird in rasender Geschwindigkeit so viel minderwertiges Weißbrot wie möglich nahezu unzerkaut hinuntergewürgt, stets zentimeterdick mit billigsten Wurst- und Käseerzeugnissen belegt.

marc carnal

An Flüssigkeitszufuhr ist im weiteren Verlauf des Tages selbst bei akutestem Durst nicht zu denken.
Erst kurz vor der Abendruhe gestatte ich mir eine zweite Nahrungsaufnahme. Zu diesem Zweck kaufe ich mehrmals die Woche Familienpackungen minderwertigsten und preisreduzierten, weil beinahe abgelaufenen Fleisches. Dieses wird unter Einarbeitung von Analogkäse und Toastschinken in mehreren Durchgängen paniert, um es hernach in der aus einer Konkursmasse gekauften und massiv verrosteten Friteuse in längst verjährtem Fett zuzubereiten.
Dazu wird, um den nun schon unerträglichen Durst zu stillen, eine Flasche Sprite getrunken, in dem ich mehrere Tabletten auflöse, um schon mit dem letzen Bissen in einen zwar tiefen, aber möglichst unerholsamen Schlaf zu fallen.

Meine Konzentration leidet freilich unter den mangelhaften Speisen und entspannungsarmen Nächten. Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass ich Adressen bei der Styroporzustellung verwechsle und so Stammkunden vergraule. Viele Zustellungen erreichen auch zu spät ihr Ziel, weil ich ob der heftigen Magenkrämpfe oder des prosperierenden Durchfalls viele Fahrten mehrmals unterbrechen muss.

Es geht mir nicht gut. Ich werde immer schwächer. Kaum erinnere ich mich daran, wie es ist, das irdische Gastspiel ohne Kummer und Schmerzen zu absolvieren, geschweige denn zu genießen. Ich rauche, trinke und fresse, als gäbe es kein Morgen.

Und trotzdem bin ich immer noch so wunderschön.

Ich kann nicht mehr.