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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 12. 2011 - 21:28

Journal 2011. Eintrag 240.

... oder auch: Fußball-Journal '11-142. 2012 bringt: Das Ende des Sportjournalismus. Das Ende des Journalismus?

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier fanden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute der letzte Eintrag für 2011. Es gab 240 Journal-Einträge und 142 exta ausgewiesene Fußball-Journale.
Dass das insgesamt mit 382 mehr als die 365 Tage ausmacht,die diese Jahr anzubieten hatte, hat damit zu tun, dass einige Texte doppelt verbucht wurden, aber auch damit dass es manchmal zwei Einträge an einem Tag gab.

Im übrigen wird es 2012 ein Fußball-Journal '12 geben; und auch ein Journal 2012. Halt ohne die Täglichkeit. Die lässt sich angesichts diverser Spezialprojekte (Afrika-Cup-Journal, Euro 12-Journal, Olympia-Journal) ohnehin nicht herstellen.

Dass es so nebenbei und doch so schnell passiert, damit hatte ich nicht gerechnet. Trotzdem haben wir seit dieser Woche ein neues Zeitalter, zumindest im österreichischen Journalismus: der Sportjournalismus wurde abgeschafft.

Einer der großen Verlage, die Styria hat diese Vorgabe gesetzt; und fraglos werden andere Verlage nachziehen. Die Styria ist, wie man hier in dieser schönen Standard-Graphik erkennen kann, die Nummer 3 im Land, verlegt die Kleine Zeitung, die Presse, die Furche, das Wirtschaftblatt, Wienerin, Wiener, Sportmagazin, Sportwoche, Antenne Steiermark, Antenne Kärnten etc, hält fast 25% von sat1-Österreich und ist auch dick im Ostgeschäft drinnen.

Die APA verbreitete die lapidare Meldung, dass die Styria ihre "überregionale Sportberichterstattung" ab sofort bündelt und die Sportredaktion der "Presse" auflöst. Einige der bislang dort beschäftigten Redakteure wechseln in die gemeinsame Redaktion der Styria-Sport-Peridoka, die die Sportwoche und das monatlich erscheinenden Sportmagazin produzieren; und sollen den Sport-Content für die 'Presse' liefern.

Die Sportredaktion der Presse wird aufgelöst

Das ist eine Auslagerung, ein Outsourcing, wie es in vielen Bereichen bei Medien schon üblich ist; weil man durch die Veränderung der Art der Beschäftigung Kollektiv-Verträge umgehen und Geld sparen kann.
Neu ist, dass diese Maßnahme erstmals einen echten Kernbereich des Journalismus betrifft.

Man war gewohnt, dass Verlage ihre Reise- oder Motor-Redaktionen ausgelagert haben, dass Fernsehstationen Shows an Produktions-Firmen outsourcen, dass alles, was sich außerhalb des harten Kerns der harten Information bewegt verscherbelt wird. Denn all diese Bereiche sind dann deutlich offener für PR-Einflüsse, für Produktunterstützungen, für lobbyistisch inszenierten Postjournalismus im Copy-Paste-Format.
Das wird in der Styria-Verlautbarung nicht einmal mehr verbrämt versteckt, sondern offen angeführt: die neu gebündelte Sportredaktion, die mehrere Styria-Medien bedienen soll, soll darüber hinaus auch Textaufträge von "nichtmedialen Kunden" erledigen, das können etwa "Sportartikelhersteller sein, die auf ihren Webseiten auch Sportnachrichten haben wollen".

Der Kernbereich war bislang sakrosankt.
Die aktuelle Styria-Entscheidung überschreitet da also die letzte mögliche Grenze.

Was der journalistische Kernbereich ist, bestimme ich!

Presse-Chefredakteur Fleischhacker fährt auf Standard-Anfrage ein interessantes Argument auf: "Der Sport ist zwar wichtig, gehört aber nicht zum strategischen Kern der Presse."

Und natürlich ist hier nicht das Ende der Fahnenstange erreicht: "Weitere redaktionelle Bündelungen über den Sport hinaus sind derzeit nicht angedacht, seien aber prinzipiell denkbar, so Fleischhacker." Der spricht zwar weiter von einem geschlossenen Markenkern einer Zeitung - wo der liegt definiert sich aber jeder Verlag selber aus.

So könnte etwa jedes Boulevard-Medium mit derselben Berechtigung ihre Politik-Redaktionen aulagern - gehört garantiert nicht zum strategischen Kern. Für die Wirtschaftsredaktionen gilt dasselbe - nicht nur für den Boulevard, sondern für fast alle Print-Produkte.

Nun könnte man einwenden, dass die österreichische Praxis eh schon dort angelangt ist; dass die Wirtschaftsberichterstattung, vor allem der sogenannte Börsejournalismus ohnehin ein Produkt der PR-Stellen des Finanzmarkts darstellt; dass die Politberichterstattung sich ohnehin nach dem Grad der finanziellen Zuwendungen von Parteien oder deren Finanziers richtet; dass der flockige Produktionskostenzuschuss sowieso der wichtigste Gradmesser regionaler Medien geworden ist.

Medien, die nur noch als Produktionskostenzuschuss...

Alles richtig.
Trotzdem bietet die Verankerung der journalistischen Herangehensweise den Kernbereichen noch einen gewissen Schutz: nicht nur was die finanzielle Sicherheit (KV) betrifft, sondern auch über Redaktionsstatute.
Wie wichtig derlei ist, sehen wir im gerade virulenten Pelinka-Fall. Eine systematisch zu Tode ausgelagerte Redaktion besitzt nämlich gar keine Wehrhaftigkeit gegen politisch motivierte Einflußnahme. Die ORF-Redakteure, vor allem die des Aktuellen Diensts, haben sich die noch sehr wohl bewahrt.

Die Styria-Aktion höhlt nun genau diese letzte Bastion der Unabhängigkeit aus.
Wenn man einmal den Sport-Journalismus wegargumentiert hat, bleiben als Kernbereich nur noch Politik, Wirtschaft und Kultur über.

Gut, der österreichische Sportjournalismus hat in den letzten Jahren sein Möglichstes getan um seine Abschaffung zu rechtfertigen. Wer sich nicht unter dem Druck des Sportrechte-Wahnsinns abstrampeln muss, hat sich einfach den ensprechenden Lobbies ausgeliefert, an Verbände, Ligen oder Seilschaften verkauft und so systematisch obsolet gemacht.

... funktionieren, haben sich ihr Grab selber geschaufelt

So gesehen sind wir, die neuen Online-Medien, die sich seit ein paar Jahren seriös mit Sport und diesen Hintergründen beschäftigen auch mitschuld an der Styria-Entscheidung. Wir haben den Verlegern klargemacht, wie überflüssig der herkömmliche Sportjournalismus sich flächendeckend gemacht hat.

Einschub an dieser Stelle: Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt wunderbare Ansätze, auch im klassischen Pribntbereich, auch in den Bundesländern. Und vor allem der Kurier-Sport ist eine unverzichtbare Größe im Spiel der Kräfte geworden. Einschub Ende.

Trotzdem ist und bleibt der Sport-Journalismus ein Kernbereich. Das hat sogar ein Snob wie Oscar Bronner, dessen schnöseliger No Sports-Ansatz im 'Standard' dramatisch in die Hose gegangen ist, einsehen müssen.

Die Styria-Entscheidung ist nun eine, die den Rubikon überschreitet. Fatalerweise ist sie unumkehrbar. Ab jetzt wird jede Minute darum gekämpft werden die nächste Bastion fallen zu sehen. Und weil die moralischen und ethischen Dämme gebrochen sind, wird die Flut der Auslagerungs-Wellen schon in den nächsten Jahren systematisch über die meisten Medien hinwegrollen. Über die noch vorhandenen kleinen Redaktionen der privaten Radios und TV-Sender sowieso, regionalen Tagesblätter zuerst, dann über die finanzschwachen Qualitäts-Papers, die Boulevard-Medien werden sich erfreut anschliessen (sie könnten ja jetzt schon fast alles ihren Leserbrief-Autoren überantworten), bis niemand mehr überbleibt. Bis auf, vielleicht, den öffentlich-rechtlichen Anbieter.

Die Überschreitung des Rubikon

Ich habe im Zusammenhang mit der Pelinka-Debatte versucht aufzuzeigen, dass das dortige Problem nicht nur ein seit Jahrzehnten in derselben Gestalt Auftretendes ist, sondern auch den Vorteil der Umkehrbarkeit hat. Während die wesentlich schlimmere Meldung zum Zustand des Journalismus, die Auslagerung des ersten Kernbereichs, vor allem aufgrund der Unumkehrbarkeit der Entwicklung ein echtes Katastrophen-Szenario nach sich zieht.
Und wie perfid es ist, das personalisierbare Thema, das sich wunderbar für flächendeckenden Enpörungs-Journalismus eignet, zum Mega-Moral-Fall auszupusten, während das ein wenig komplexere Thema der Totengräberei am heimischen Journalismus medial praktisch gar nicht vorkommt.
Ist schwierig, weil leicht fokussierbare Empörung den Nachdenk-Prozess-auslösenden Vorgang immer aussticht. Leider auch bei Journalisten.

2012 werden jedenfalls ein paar andere Domino-Steine fallen: ein paar Sportredaktionen werden aufgelöst, zusammengelegt werden, dürfen, sollen uned müssen dann auch PR-Dienstleister werden. Ganz unaufällig werden auch ein paar andere Kernbereiche ebenso ausgelagert werden.
Es wird niemandem groß auffallen; auch weil man keinen groben Qualitätsverlust feststellen wird - weil das Level aktuell so weit unten ist.

Diese Entscheidung ist aber der historisch markierbare Beginn einer Entwicklung (die nich mehr lange brauchen wird, das kann alles sehr schnell gehen) den Journalismus in Österreich wie Hedgefonds zu betrachten und ihn somit auszulöschen.