Erstellt am: 30. 12. 2011 - 20:58 Uhr
Journal 2011. Eintrag 239.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute: eine unverschämte Unterstellung. Und das ist ein Bernsteinkäfer.
Die digitale Welt, die uns alle (und vor allem auch die Medien) seit nun bereits einiger Zeit prägt, besteht ja im Kern aus nur zwei Befehlen: 0 und 1. Dazwischen gibt es nichts.
Das klingt radikal und nach dem andauernden Ruf nach der Fluch oder Segen-Entscheidung. Ist es aber nicht.
Durch die irrwitzig erhöhte Rechnungsleistung sind damit enorm viele, immer neue und unendlich differenzierte Aussagen möglich: die vielen 0er und 1er ermöglichen also eine ungeahnte Nuancierung, eine, die mit analogen Mitteln kaum möglich ist.
Das ist jenen, die mit den digitalen Möglichkeiten auf- und mitgewachsen sind, klar. Die noch ins Analoge hineingeborenen, die sich jetzt mit einer neuen Denkungsart konfrontieren, aber zum Großteil nicht.
Sie gehen davon aus, dass diese gesicherte, weil errechnete Entscheidung das Maß alles Dinge ist. Und wollen das für ein altes Problem verwenden: das Wegdrücken der Nuancierung.
Die Nuance als Störfaktor
Die ist unangenehm, weil man sie nur mittels differenziertem Blick erkennen kann, und weil sie immer Zweifel in klare und simple Hopp-oder-Tropp-Systeme streut. Die Nuance als Störfaktor.
Besonders autoritär geprägte männliche Menschen mit Machtanspruch und Entscheidungsgier verweigern sich ihr gern. Und glauben in der Digitalisierung ihre Chance zu erkennen. Sie gehen davon aus, dass das 0/1-System Eindeutigkeit und Klarheit nach sich zieht.
Die Realität sieht ganz anders aus: die Digitalisierung erhöht die Anzahl der Möglichkeiten exponentiell. Die scheinbare Klarheit ergibt sich aus der durch Berechnungen weitaus besser gestützten Argumentierbarkeit. Es ist aber für fast jedes Problem, jede Herausforderung, jede Aufgabe dadurch auch weit mehr als nur eine Lösung gut argumentierbar.
Die Angebots-Palette wird also breiter. Alle die forciert digital arbeiten, egal ob Wissenschaft oder Hacker, ob die Web-Industrie oder die Piraten sind sich dieser neuen Verflüssigung der Möglichkeiten bewusst, weben das in ihre Arbeit, in ihre Herangehensweise, ihre Philosophie ein.
Die Verflüssigung der Möglichkeiten
Die vorher beschriebene Gruppe, die ich die "analogen Digitaltrottel" nennen möchte, kapieren das nicht nur nicht, sie versuchen auch noch die neue Technologie für ihre Gegen-These (der, das jetzt alles noch viel einfacher zu lösen ist, weil sich ja, ruckzuck eine 0/1-Entscheidung so leicht errechnen lassen muss) heranzuziehen.
In dieser Konfrontation der Philosophien (falls man die Herangehensweise der analogen Digitaltrottel überhaupt so nennen kann) kommt es zu grotesken Szenen.
Weil viele derer, die aktuell an den Hebeln der Macht sitzen, egal in welchem Bereich, zu genau dieser Gruppe der autoritär geprägten männliche Menschen mit Machtanspruch und Entscheidungsgier gehört, erleben wir dieser Tage fast ununterbrochen absurde Szenen, die sich aus dem Prinzip dieser Groteske speisen.
Die analogen Digitaltrottel verwenden die massiv vorhandenen Datensätze nicht zur Erweiterung von Wissen und der daraus entstehenden Kreation neuer Möglichkeiten (sogar Geschäftsmodelle), sondern zur Verfestigung alter Vorurteile/Vorgaben.
Das Prinzip der Groteske
Im Journalismus spiegelt sich das etwa in der Debatte um den neu entstandenen Datenjournalismus wider. Der würde, falls er jemals in Österreich ankommt, in den Händen der analogen Digitaltrottel wohl auch nur dazu dienen zu belegen, dass Huinde wirklich lieber den Kanzler wählen würden.
Wie sich die Groteske in einem scheinbar banalen Umfeld, im Sport, auswirkt, zeigt diese schöne Geschichte von abseits.at, die zuerst auf einen exklusiv zusammengestellten Datensatz verlinkt, und dann das Scheitern am nächsten nötigen Schritt ausstellt: "Man braucht auch Menschen, die die Fakten in die Hand nehmen, verstehen und (in die Arbeit) einfließen lassen."
Das liegt weder in der Absicht noch im gestalterischen Gesichtsfeld der analogen Digitaltrottel. Ihre störrische Fehlbenutzung der neuen Möglichkeiten wird sich nach ihrem Ausscheiden aus den Spitzen-Positionen von selber lösen. Spätestens 2020 werden vorwiegend digital geprägte Menschen an den Hebeln sein, in den nächsten Jahren werden die ADTs systematisch wegbröseln.
Der Käfer im Bernstein
Ob die neue Entscheider-Generation eine der digitalen Systemtrottel wird oder sie sich deutlich effizienter an die Möglichkeiten anpasst, ist auch eine Geschlechter-Frage.
Momentan finden sich unter den analogen Digital-Trotteln kaum Frauen. Es würde auch nicht so recht passen. Frauen sind gesellschaftlich und sozial seit Jahrhunderten auf der Erwägen mehreren Möglichkeiten konditioniert, besser im Erkennen der Nuance, in der differenzierten Betrachtung deutlich geübter.
Die digitalen Welten sind also, könnte man überspitzt sagen, wie extra für Frauen gebaut. Dass sie sich hier noch nicht in den Vordergrund gespielt haben, hängt damit zusammen, dass die neuen Technologien noch als männlich determinierte Bastelei und als nerdiges Imponier-Terrain gelten; und auch damit, dass die Gesichte von der beruflichen Gleichstellung, vor allem in den Spitzenpositionen, noch eine reine Schimäre ist. Ersteres wird sich schneller verflüchtigen als Zweiteres.
Mittelfristig werden sich sowohl jetzt schon nuancierungsfähige Frauen wie auch dazulernende Männer der neuen Generation der Mittel und Möglichkeiten, die die Digitalisierung gebracht hat und noch bringen wird, tatsächlich bedienen, anstatt sich wie die analogen Digitaltrottel verständnislos daran abzustrampeln wie ein am Rücken liegender Käfer.