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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 12. 2011 - 21:28

Journal 2011. Eintrag 238.

Ist ein potentieller Büroleiter der Journalismus-Beschädiger des Jahres?

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute wieder mit einem Traktat wider den Empörungs-Journalismus. Weil mich die Geiselhaft-Nehmung des "journalistischen Ethos" heute besonders nervt.

Als Motto mag ein Satz dienen, den ich unlängst von Staatskünstler Florian Scheuba (sinngemäß so) gehört habe: "Man kann der Mafia keinen größeren Gefallen tun als pauschal alles als mafiös zu bezeichnen."

1

Ich will es an einem Fußball-Beispiel festmachen. Der Goalgetter bekommt den Ball ideal serviert, steht frei einen halben Meter vorm leeren Tor und statt die Kugel einfach lässig abtropfen zu lassen, ballert er sie im Stil eines Ausputzers drüber. Ist jüngst passiert, wird immer passieren.
Die Stunden und Tage drauf sind voll von öffentlicher Häme und Vorführung. Der Sünder wird aus- und in jeder Hinsicht in Frage gestellt, ein allzu offensichtlicher Vorfall muss herhalten um einen Spieler, einen Typus, eine Szene, eine ganze Branche am Pranger festzunageln.

Ich heule in solchen Chören nicht mit. Die leiser ablaufenden Fehler und die subtileren Gemeinheiten, die heimlichen Verbrechen sind es dutzend-, hunder- und tausendfach mehr wert, dass man sie groß ausstellt. Nicht so sehr das Überoffensichtliche. Auch, weil eine wenig sensible und kaum informierte Öffentlichkeit da gern ganze Kinder mit dem Bade ausschüttet und ihr Mütchen kühlt.

Deswegen mag mir die aktuelle Medien-Erregung im Fall Niko Pelinka nicht gefallen.

2

Ich stehe ganz klar hinter der Erklärung der ORF-Redakteurssprecher - ich kann aber den aufgeplusterten Nachbeben in den anderen Medien nichts abgewinnen.

Denn während in dieser Aussendung und auch in der aktuell durchs Haus kursierenden Unterschriftenliste von der parteipolitischen Einflußnahme bei Postenbesetzungen (die parteiübergreifend und umfassend ist) die Rede war, konzentrierte sich die Medien-Rezeption ausschließlich auf den Freundeskreis-Leiter im Stiftungsrat, und tut auch so als wäre der Bürochef des Generaldirektors der Quasi-Weisungsbefugte für die Informations-Redaktionen.

In dieses zugespitzte Fahrwasser geraten, auch durch die Leichtigkeit sich via Social Media zu einer Quasi-Stimmabgabe (gefällt mir! retweet!) bewegen zu lassen, erstaunlich viele Menschen mit erstaunlicher Leichtigkeit.

Und das erinnert mich an die eingang zitierte Fußball-Situation.
Natürlich ist die Handhabung des Vorgangs ein echtes Eigentor; auch weil es so aufg'legt war, mit Verzögerung und Antäuschen und Versemmeln. Und weil die wahrscheinlich schlechteste medienpolitische Task Force des Landes so wenig Taktgefühl bewiesen hat. Sie hätt's ja auch unauffällig und subtil machen können, wie der Regierungspartner und wie all die anderen, die allesamt auch ihre Leute unterbringen, egal wo, egal ob in Wirtschaft, Sport, Kultur oder eben in den Medien.

3

Politische Bestellungen sind in Österreich überall und andauernd an der Tagesordnung. Die Wehrhaftigkeit dagegen ist im Normalfall minimal. Auch in den Medien, kaum Erregung. Vor allem, weil im Verlags-Bereich, also im scheinbar "privaten" Sektor, auch nach rein politisch motivierten Interessenslagen besetzt wird.

Und angesichts der diesmal so deutlichen Rezeption stellt sich mir schon die Frage: was macht den diesmal übergroßen Empörungs-Faktor aus?

Ist es die Jugend des Hauptakteurs?
Wenn ja, sollte da nicht der Irrtum beim Shitstorm anlässlich des letzten diesbezüglichen Falls zu denken geben?

Oder: die Furcht vorm direkten politischen Hineinregieren, wie es noch unter Chefredakteur Mück üblich war?
Gegenfrage: wer ist ein effektiverer Intervenierer? Der, der mit der Macht des Parteiamts (oder des Freundeskreis-Führers) hantieren kann (und damit fleischmäßig angibt) oder der Angestellte im Vorzimmer? Der auswärtige Konsulent oder der künftige Untergebene?

4

Kurzer Einschub: Weiß eigentlich jemand, wer aktuell Büroleiter des GD ist? Kaum einer. Es ist der ehemalige Ö1-Redakteur Kurt Reisnegger, ein untadeliger und umtriebiger Nachdenker, Zusammenbringer und Visions-Entwickler; darf ich sagen, weil ich ihn kenne. Davor war es Martin Biedermann, ein vormaliger Marketing-Leiter. Jetzt soll es der jugendliche Profipolitiker Nikolaus Pelinka werden. Die inhaltliche Bandbreite derer, die diesen Job ausüben, ist also deutlich höher als seine politische Bedeutung.

5

Was ist also an der vogelwilden Empörung auch jener, die sich sonst keinen Deut um die Anliegen der ORF-Journalisten kümmern und sie bei jeder Gelegenheit schlechtschreiben, teilweise (siehe den Moschitz-Fall) vorschnell vorverurteilen, schuld?
Ist es die arglose Offensichtlichkeit, das törichte, machttrunkene Besitzverhalten, das die Pelinka-Lobby an den Tag gelegt hat?
Wenn ja, diese Possenhaftigkeit lässt sich deutlich besser in der Ofczarek/Kottal-Performance aus "Wir Staatskünstler" festhalten. Politische Substanz enthält sie nicht.

Der Wien-Korrespondent Charles Ritterband spricht in der NZZ von einer "hastigen und wohl auch regelwidrigen Besetzung eines Schlüsselpostens", er ordnet die Affäre aber - wie auch andere ausländische Beobachtern - nicht in das Korruptions-System Österreich ein. Die Pelinka-Geschichte fliegt nämlich weit unter diesem Radar durch.

Die heimischen Medien sehen das anders.
Es ist just diese Affäre, die für den Kurier nicht nur eine "moralische Pleite" dastellt, sondern auch beweist, "dass unsere Demokratie nicht reif genug für einen unabhängigen Sender ist."

Echte, gesetzwidrige und vor finanziellen, moralischen und außenpolitischen Schäden nur so triefende Affären, in die Parteien, die dem Kurier-Besitzer näherstehen, verwickelt waren, riefen keine derart klare und drastische Verurteilung hervor; wohl auch nicht, weil der Autor ein einmal mehr als deutlich abgewiesener ORF-GD-Kandidat war.

Und wieso ein anderer Leitartikler just jetzt die Abschaffung des ORF fordert, erklärt sich auch zu praktisch 100% aus der Interessenslage seiner Verlags.

6

Es geht also nicht wirklich um eine fundierte und harte Kritik an der Pelinka-Schmonzette: es geht um eine Instrumentalisierung des Vorfalls, darum aus einem absehbaren Fehlschuß erfolgreich empörungsbewirtschaftend moralische Entrüstung zu konstruieren; indem man so tut als würde man eine (jedem bekannte) Unerhörtheit quasi neuentdecken.
Das dient wiederum ausschließlich machtpolitischen Interessen (wie der weiteren Destabilisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) und ist vor allem eines: scheinheilig.

Es wird nämlich der Ethos des Journalismus in Geiselhaft genommen: der, sowohl der Ethos als auch der Journalismus, wären durch diese Ernennung gefährdert.

Nicht bös' sein, aber wenn dieses Noch-Nicht-Ereignis tatsächlich der größte Journalismus-Beschädiger des Jahres sein soll, dann wäre das verkraftbar; wie alle bisherigen Ernennungen von politisch deutlichst punzierten Parteigängern in gewichtige ORF-Positionen verkraftet werden mussten, im Fall vom auch von politischen Playern entsandten Brandstätter etwa hätten verkraftet werden müssen, verkraftet wurden und auch künftig verkraftet werden.
Diesen zusätzlichen Verkraftungs-Aufgaben stellen sich ORF-Redaktionen seit jeher, seit der Ära des jetzt scheinheiligen Bacher. Das ist widerlich und mühsam, aberjahrzehntelange Realität; und nichts was es jetzt mit scheinheiliger Erregung erstfestzustellen gilt.

Weil die politische und ökonomische Realität so etwas wie eine komplette Unabhängigkeit nicht so schnell zulassen wird; was man auch in der genauso politisch und lobbyistisch gesteuerten Empörungs-Kampagne von Proponenten, die sich als Wahrer einer Unabhängigkeit gerieren, obwohl sie parteiische Player sind, genau erkennen kann.

Bei soviel falschem Ethos, vor allem, wenn er aus den Mündern von klar positionierten Machern kommt, tut differenziertes Gegensteuern durchaus Not.

7

Diese Geiselhaftnehmung nervt mich heute besonders.
Und zwar aus einem ganz konkreten Grund.

Heute nämlich erschien im Standard, ich nehme an zufällig, eine Meldung über eine Maßnahme im Styria-Verlag (Presse, Kleine Zeitung etc). Dort hat man die Tendenz, dass sich der heimische Sportjournalismus (die wenigen Ausnahmen mögen mir vergeben) eh von selber abgeschafft hat, in ein Zukunfts-Projekt umgesetzt und die Presse-Sportredation ausgesourct bzw gleich aufgelöst.

Die überregionale Sportberichterstattung wird gebündelt und soll künftig auch "Textaufträge von nichtmedialen Kunden" erledigen, erklärt der Chefredakteur Michael Fleischhacker dort.
Die Trennung von PR und Journalismus ist dort, wo sie eh schon nicht mehr feststellbar war, im Bereich Sport (das zu analysieren wäre jetzt ein anderes, trauriges Thema), also keinen Pfifferling mehr wert. De facto hat man das ja bereits im Reise-, im Immobilien-, im Motor- oder im Wirtschaftsjournalismus branchenweit bereits vorexerziert.

Jetzt erwischt es den ersten der Kernbereiche.
Andere Abteilungen, da bin ich sicher, werden folgen.

Das zum Thema Moral, Journalismus und Ethos.
Das zu den echten, den weniger gut sichtbaren Beschädigern des Journalismus, denen, die keine Youtube-Berühmtheit erlangen, weil sie es öffentlichkeitswirksam versemmelt haben.
Das zu den (gar nicht so heimlichen) wirklich problematischen aktuellen Verbrechen am Journalismus.