Erstellt am: 28. 12. 2011 - 22:03 Uhr
Journal 2011. Eintrag 237.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem kurzen Was-wäre-wenn-Spiel, das die 2011er-Relevanz von Social Media beschreiben soll.
Es ist der womöglich absurdeste Schulenstreit des Jahres gewesen: ob und wie die arabischen Revolten/Aufstände die Errungenschaft von Social Media, diesem schwer kontrollierbaren Kommunikations-Phänomen, wären.
Die Argumentationslinien verschwammen da einigermaßen: die These, dass Facebook und Co ein reines Eliten-Phänomen wäre, zerrann ebenso im Scheinwerferlicht der Geschichte schreibenden Realität wie die These, dass soziale Netzwerke ein reines Erstwelt-Phänomen bleiben würden.
Der Microblog-Dienst Twitter ersetzte auch 2011 nicht herkömmliche Medien, änderte aber die Herangehensweise der Menschen an politische Partizipation massiv. Ebenso wie es Youtube und Facebook davor getan hatten. Egal ob in Spanien, Ägypten oder Deutschland.
Ohne Facebook-Auftritt hätte es die deutschen Piraten niemals in dieser Form in den politischen Mainstream geschafft.
Sogar in Österreich merkt man was von der Auslösern.
Ohne den großen Mut-Sprung nach vorne, den vor etwas mehr als einem Jahr die Wikileaks-Geschehnisse losgetreten hatten, wäre kaum eine der heuer zahllosen Korruptions-Affären so öffentlich geworden.
Ohne Social Media wäre auch die aktuelle Form von Ungehorsam wider das simple Hinnehmen von Unerhörtheiten nicht denkbar; schon gar nicht mitten in den Weihnachtsfeiertagen.
Der Blick zurück macht das deutlich.
Als der Audimaxismus 2009 eine Art Vorstufe zur Occupy-Bewegung zündete (schließlich ging hier ein Protest von Wien aus rund um Teile der Welt) waren Social Media vergleichsweise noch zu schwach verbreitet um damit den Mainstream zu bedienen - ein oder gar zwei Jahre später wäre derselbe Protest deutlich effektiver ausgefallen.
Oder, umgekehrt: die Widerstands-Bewegung von 2000/01, die Donnerstags-Demos, Botschafter besorgter Bürger wären, hätten sie die Möglichkeiten von jetzt, von zehn Jahren danach gehabt, deutlich breiter aufgestellt, langlebiger und zäher gewesen. Gerade kreativer Ungehorsam lässt sich übers Netz, über Social Media deutlich besser gestalten. Ja, auch weil es so deutlich mehr Spaß macht, sich gegen etwas zu stellen, aber auch mehr Sinn darin vermittelt für etwas einzutreten.
Wäre dazu auch noch die andere große österreichische Errungenschaft, der heuer deutlich stärkere Mut der Aufdecker-Medien, dazugekommen, hätte das die Geschichte der Schüssel-Regierungen deutlich anders ausfallen lassen.
Andererseits: wie wäre das Medien-Genie Haider mit Facebook umgegangen? Ich gehe davon aus, dass er es weitaus schlauer genützt hätte als sein Epigone. Und wohl schon vor Jahren klar besser als der Facebook-Kanzler.
Und: ich gehe davon aus, dass die damals schon bedrohlichen Unruhen durch die beidseitige Social-Media-Befeuerung ihre Bürgerkriegsähnlichkeit verloren und in feste höchst analoge Auseinandersetzungen übergegangen wären.
Die Bedeutung von Social Media, und das sollen diese Was-wäre-wenn-Beispiele zeigen, lässt sich nicht in geschmäcklerischen Aufrechungen der gegenwärtigen Situation bemessen, sondern darin, welche vergangenen Phänomene dadurch völlig unmöglich gewesen oder anders ausgegangen wären.
Das ist wie bei alten Krimis, wo alles an der Übermittlung einer lebensrettenden Botschaft hängt - was heute mit einem einzigen Handy-Klick zu checken wäre.
Der katastrophale Tsunami von vor ziemlich genau sieben Jahren etwa: mit einem Dienst wie Twitter wäre nach den ersten Berichten aus Indonesien alle anderen Küstenanrainer rund herum im Indischen Ozean zumindest so massiv alarmiert gewesen, dass Vorsicht und Rückzug in erhöhte Gebiete erfolgt wäre, anstatt sich weiter nichtwissend am Strand aufzuhalten. Twitter hätte die ersten Zerstörungen nicht verhindert, aber alle, die mehr als eine halbe Stunde Zeit hatten etwas zu unternehmen, vorgewarnt.
Um diese Bedeutung, diese Möglichkeiten geht es. Und darum diese in sich neutralen Ausspielwege adäquat zu benutzen. Um einen unhysterischen und anerkennenden Umgang, der nicht die Paranioa, sondern das kreative Potential herausstreicht. Egal ob damit Revolten gewonnen oder nicht gewonnen wurden.