Erstellt am: 25. 12. 2011 - 17:40 Uhr

Vater-Tochter-Gespräch

Der Fotograf Erich Lessing und seine Tochter Hannah Lessing in einem Doppelzimmer spezial am 26.12. über Identität, Sturheit und Alexis Sorbas.

Erich Lessing hat nie aufgehört zu arbeiten. Der heute 88-jährige Fotograf ist eines der Mitglieder der berühmten Fotoagentur Magnum mit Sitz in Paris, 1947 unter anderem von Robert Capa und Henri Cartier-Bresson gegründet. Magnum sollte schell zur einflussreichsten Vereinigung von Fotojournalisten werden. Es ging darum, die frei arbeitenden Fotografen gegenüber den Magazinen zu vertreten und deren Rechte zu sichern;
also nicht nur Material abzuliefern, sondern auch Mitsprache bei der Verwendung der Fotos zu haben. Hannah, eines der vier Kinder von Erich Lessing, ist mit den großen Fotografen der Branche aufgewachsen. Sie erinnert sich aber vor allem an das Tacken des Telexgerätes im Schlafzimmer der Eltern. Dort gingen die Nachrichten aus der ganzen Welt ein, die ihre Mutter Traudl Lessing zu Zeitungsartikeln verarbeitete.

Der lange Weg zurück nach Europa

Erich und Traudl lernen sich 1947 in Wien kennen. Erich kehrt nach acht Jahren in seine Heimatstadt Wien zurück, von der er 1939 vor den Nazis flüchten musste. Als 16-Jähriger hat er sich alleine in Palästina durchgeschlagen, in einem Kibbuz gearbeitet, Radiotechniker gelernt und schließlich am Strand für andere Urlaubsfotos geschossen. In Europa wollt er Film studieren, ging dafür nach Paris, aber es kam anders. Und wie so oft in seinem Leben hat Erich Lessing mit der Gegenwart gearbeitet, genommen, was sich angeboten hat, und ist Fotograf geworden.

zurück von weiter

Die jüdischen Wurzeln der Familie hat Hannah freigelegt. Sie erzählt, dass sie als Zehnjährige ihre Mutter nach der religiösen Zugehörigkeit gefragt habe, weil das in der Familie bislang kein Thema gewesen ist. Für die kleine Hannah lag etwas Unausgesprochenes in der Luft, etwas, das ihr fehlte. Traudl hat darauf reagiert und ist mitsamt der Kinder der Religionsgemeinschaft ihres Mannes beigetreten.

Seit 1995 leitet Hannah Lessing den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Die Schicksale von mehr als 30.000 Menschen sind in den Archiven des Fonds gespeichert: KZ-Überlebende, Spiegelgrundopfer, Emigranten, Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, politisch Verfolgte. Diese Daten mussten erhoben, analysiert, bewertet werden. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Gefühl habe, etwas wirklich Sinnvolles zu tun“, erzählt Hannah. Man könne nichts wieder gut machen, aber die Anerkennung des Leids, das viele Menschen durch die Nazis erfahren haben, sei so wesentlich. Und das hat Österreich – sowohl die Politik als auch viele Teile der Bevölkerung – lange verweigert.

Wir haben uns in der Zwischenzeit alle bis aufs T-Shirt ausgezogen. In dem großen, hellen Wohnzimmer der Lessings hat es um die 26 Grad. Es war ein warmer Tag draußen ohne jeglichen Anflug von Winterkälte. Und die alten Heizkörper wollen offenbar zeigen, was sie noch drauf haben. Ähnlich ihr Besitzer.

Wir dachten, unsere Bilder können etwas verändern

Erich Lessing hat sich schon vor vielen Jahren von der Reportagefotografie, mit der er berühmt geworden ist, verabschiedet. Er habe tatsächlich geglaubt, mit Bildern politisch eingreifen zu können. Die Fotos vom Ungarnaufstand 1956 sind um die Welt gegangen. Aber das sei eine Illusion gewesen. Heute verbringt er am liebsten viele Stunden in Museen, um deren Exponate zu studieren und schließlich durch seinen Fotoapparat zu verewigen. Er hat eine Reihe junger Assistenten, weil er mit alten Leuten „nicht kann“, wie er sagt. Und er ist begeistert von den Möglichkeiten der digitalen Fotografie.

Traudl bringt uns Apfelsaft gespritzt. Hannah macht sich auf den Weg, sie fliegt morgen nach New York. Und ich vertiefe mich in die Bilderwelt des Erich Lessing.

FM4 Doppelzimmer spezial mit Erich und Hannah Lessing
26. Dezember, 13 Uhr.