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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

26. 12. 2011 - 16:44

Grün ist der Herzschmerz

Fünf frühe Erzählungen von David Foster Wallace erinnern an eines der größten Sprachtalente der letzten Jahrzehnte.

"Und ich gebe dir alles, was ich dir geben kann,
mit den Händen und dem Herz"

(David Foster Wallace: "Alles ist grün", S. 73)

Zwei Manager begegnen einander nach Dienstschluss in einer Parkgarage. Beide sind auf dem Weg zu ihren Autos. Es ist spät, sie sind allein. Beide tarieren beim Gehen ihr Gewicht gegen das eines Aktenkoffers aus. Da greift sich der eine an die Brust, verzerrt sein Gesicht, biegt seinen Körper wie ein Mantelstück, schreit. Das Gurgeln seiner Laute wird vom Echo der Parkgarage verdreifacht. Er hat einen Herzinfarkt.

Der andere läuft hin, ruft um Hilfe, versucht es mit Herz-Lungen-Massage, aber die Arme und Lendenwirbel schmerzen vom langsam gebeugten Pressen. Er spürt, wie ihm der Schweiß ölig über seine straffe Haut läuft, hinein in den warm gefütterten Mantel, hinein in den grauen Wollanzug von Armani. Es ist weit nach zehn, gähnende Leere, Echos von Hilferufen.

Herz-Lungen-Wiederbelebung

AED

Herzschmerz I: So führe ich eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durch

Hier und dort

Szenen-Wechsel: Im Büro einer Paar-Beratung. Doch hier sitzt kein Paar, hier sitzen zwei sich Trennende. Die beiden ehemalig Verliebten verbindet keine gemeinsame Geschichte mehr, sondern nur noch Versuche der Rechtfertigung. Er hatte Träume, sie hat alles probiert. Er wollte ein Künstler werden, sie hat ihn nicht verstanden. Sie wollte mit ihm überall mitgehen, egal wohin. Er wurde aber wütend, weil sie nicht wusste, wo das war. "Ich habe jemanden kennengelernt, mit dem ich gern zusammen bin. Es hat nicht nur mit ihm zu tun, auch mit mir. Die Dinge ändern sich."

Spätestens an dieser Stelle schneidet David Foster Wallace tief ins Herz seiner Leser. Geschickt werden hier die Aussagen zweier Menschen gegeneinander geschnitten. Was bleibt, sind zwei Hilflose, die aneinander vorbeireden. Die Herz-Lungen-Massage der ersten Geschichte: ein Hohn, hier soll das Herz weh tun, stillstehen soll es aber nie. Wenn die beiden Geschichten "Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HLW" über den Kampf um Leben und Tod in einer Parkgarage und "Hier und dort" über eine gescheiterte Beziehung etwas gemeinsam haben, dann sind es die kammerspielartigen Szenen, die Foster Wallace mit erdrückender Präzision beschreibt. Herzschmerz pur.

Gebrochenes Herz

flickr.com/photos/iam_photo

Herzschmerz II: Österreichische Telefonseelsorge, Notruf-Tel.: 142

Die Farbe der Hoffnung

David Foster Wallace: Alles ist grün

Kiepenheuer & Witsch

David Foster Wallace: "Alles ist grün" ist 2011 in deutscher Übersetzung von Ulrich Blumenbach bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

David Foster Wallace ist eines der größten Talente der letzten Jahrzehnte. Vergleiche zu James Joyce oder Thomas Pynchon wurden immer wieder bemüht, sein Magnus Opus "Unendlicher Spaß" gilt dank Form und epischer Breite als ebenbürtiges Pendant zu Musils "Mann ohne Eigenschaften", ein Leuchtfeuer der Postmoderne. Das Sprachtalent von Foster Wallace war schon immer nicht weniger als phänomenal: Kein anderer Autor verstand es so gut, Literatur als Spielwiese der Fiktion zu begreifen, als Baukasten der Medialität, als große Leistung, in der Ekstase und Schönheit eine Verbindung eingehen und trotzdem Horror und Terror auf all das spucken können, was einem etwas bedeutet. Foster Wallace konnte mit zwei Zeilen sagen, was ganze Romane nicht schafften, er beobachtete Details, rückte sie an den Augapfel, bis die Teile das Ganze übertrumpften und Fantasie die Konventionalität in den Boden stampfte.

Aber David Foster Wallace war immer auch ein Gequälter: Einer, der das Rampenlicht mied und, wenn er sich doch einmal davon blenden lassen musste, dann mit einer Traurigkeit, die man noch in jeder Zeile seiner Texte spürt. 2008 nahm er sich mit 46 Jahren das Leben.

David Foster Wallace

APA

David Foster Wallace (1962 - 2008)

Weitere Leseempfehlungen:

Die fünf Kurzgeschichten, die nun als weitere geniale Übersetzung von Ulrich Blumenbach unter dem Titel "Alles ist grün" auf Deutsch erscheinen, sind ein frühes Zeugnis für das sich damals entwickelnde Talent des Autors. Bereits Ende der 80er experimentierte Foster Wallace mit kurzen Texten, entwickelte vorüberhuschende Dialoge und Popklamauk auf der Metaebene. Das Ergebnis sind fünf heterogene Geschichten, eine davon nur drei Seiten lang. Andere wiederum voll langer, umständlicher Satzkonstruktionen, die über ganze Absätze gehen. Foster Wallace war immer ein Getriebener, er hasste Punkte und gönnte sich und seinen Lesern keine Pause. Der Freitod des Autors verleitet gar dazu, diese Erzählungen als biografisches Zeugnis einer verschüchterten und verletzten Seele zu lesen.

Wenn es einen gemeinsamen Nenner dieser Geschichten gibt, ist es das Leid des Herzens: Schmerz und Vergeblichkeit durchziehen jede Zeile, oft wird man als Leser davon regelrecht erdrückt. Foster Wallace meinte einmal dazu, dass seine Bücher wohl kaum das Leben seiner Leser verändern könnten. Wenn er sich da mal nicht geirrt hat.