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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 12. 2011 - 20:26

Journal 2011. Eintrag 233.

Das Generationen-Nichtverständnis unterm Weihnachtsbaum, greifbar.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Heute mit etwas zum Weihnachtsabend.

Der Weihnachtagstag ist nicht nur der flächendeckend durchstrukturierteste und durchritualisierteste Tag des Jahres, sondern auch der Tag, vor allem der Abend der familiären Nichtkommunikation, einer dieser Momente, an dem Generationen aufeinanderprallen und demonstrieren, wie weit sie auseinanderliegen.

Ich habe da, aus vielen verschiedenen Gründen das Glück dem immer ein Stück weit entkommen zu sein; ich krieg derlei nur mit, wenn bei Zufalls-Spätbesuchsabenden noch ein halberwachsener Vertreter der jüngeren Generation herumsitzt und sich einerseits zu Tode fadisiert und andererseits von Menschen meiner Generation mit trotteligen Anmerkungen belästigt wird.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil man das ja aus eigener Anschauung kennt, aus früheren Tagen, als man von der Oma-Generation und dem Tanten-Gesocks vergleichbaren Nervtötungen unterlag. Dass sich derlei ganz wie von Geisterhand zur nächsten Generation vererbt, ist in seiner Vorhersehbarkeit und Unvermeidlichkeit bitter: vor allem, weil sich alle Untäter früher sicher unter Garantie geschworen haben, solchen Dreck zu vermeiden, wenn sie später dann das Sagen haben. Daran scheitern dann auch die Wohlmeinendsten.

Weihnachten mit einem Freund

Ich habe ja noch ein anderes weihnachtliches Glück: eine Spät-Sendung, immer am Weihnachtsabend ab 22 Uhr. Das klingt nach nicht viel, ist aber die angenehmste Sendestrecke des Jahres. Die Menschen, die da anrufen, sind zu 95% in eine redseligen Stimmung ohne Agressionen und Zuschreibungen.

Und mein Ansatz ist ein anderer als der jeden Mittwoch Mitternacht: da will ich fordern, fördern, vorantreiben, provozieren, da bin ich auch ganz bewusst ungeduldig, da geht es um Tempo und schnelles Verstehen.
In der Weihnachtsvariante geht es um anderes, in erster Linie: um die Möglichkeit sich die potentielle Sprachlosigkeit, die den ganzen Abend greifbar da war, im Generationen-Nichtverständnis unterm Weihnachtsbaum, wegzureden. Mit einer Erzählung, mit einem Hörstück.

Am Weihnachtsabend brauch ich kaum jemals erklären, dass ich Geschichten hören will, weil es Geschichten sind, die andere Geschichten evozieren, die dann eine gemeinsame Geschichte erzählen können.

Das weihnachtliche Geschichtenerzählen funktioniert (vor allem zu später Stunde) wohl auch deswegen besser, weil man den ganzen Abend über nicht durchdringen konnte; weil es vom Konsens des familiär-weihnachtlichen Mainstreams der älteren Generation weggeschmettert und weggelabert wurde.

In so einer Grundstimmung dann ausreden und fertigerzählen zu können, ist eine ungeheure Erleichterung. Und der exakte Gegensatz zu Familien-Weihnacht, die im Regelfall aus Übertönung besteht.

Weihnachten mit dem Nennonkel

Als ich vorgestern bei der Voraufzeichnung einer FM4-Familien-Weihnachtsfeier Zaungast war, sind mir genau diese Dinge aufgefallen. Weil sich auch in dieser Konstruktion die klassischen Muster manifestiert haben. Auch in der bewusst inszenierten alternativen Patchwork-Familie gibt es die dominanten Erwachsenen, die mit ihrer prallen Präsenz alles niederreißen, die Umsichtigen, die auszugleichen versuchen und die Kids, die sich so weit raushalten wie möglich, also letztlich nichts sagen.

Wenn sie Worte auslassen, dann sind die in einem derart steilen Hochdeutsch, dass es nicht nur die Herkunft (man stammt aus dem tiefen Oberösterreich, der tiefen Steiermark und dem tiefen Burgenland) völlig beiseite schiebt, sondern auch keinen Anlass zur Kritik geben möchte. Sprachliche Einsilbigkeit aus reiner Vorsicht: so geht der weihnachtliche Jungmensch, wenn er schlau ist, ins Familienfest.

Wohl wissend, dass jeder Fehler, jede extrovertierte Besonderheit, jede Andersartigkeit dem Erwachsenen-Mainstream Anlass zu paternalistischem Gewürge, zu kaum verbrämtem Hohn&Spott geben würde. Trotz Paraphrase.

Wenn sich nun Frau Plaschg und Herr Spechtl und sogar die selber schon irgendwie erwachsene Frau Minichmayr auf diesen minimalen Punkt der Mindest-Kommunikation zurückziehen und kein einziges Wort mit mehr als dem verlangten Gehalt auslassen, dann erschreckt mich das.

Nicht weil ich Frau Plaschg, Herrn Spechtl oder Frau Minichmayr für unselbstständige Kreaturen halte: in ihrem natürlichen Habitat, in ihren auch wohlfeil gemischten Peer-Groups sind sie anders, wortgewandt, erzählwillig und offenherzig. Im ihnen allzu offiziell vorkommenden Kontext friert das sofort ins Nichts zusammen. Und dann wird die gesamte Sendung zu einer Version des ironischen Familien-Hörspiels. Zurecht; die tantige Oma-Weihnacht mit den verbalen Wangenzwickern sind noch zu präsent.

Die verbalen Wangenzwicker und andere Drüberfahrereien

Mich erschreckt das andere: dass die mittlerweile im Status der Elterngeneration Angekommenen, vor allem die, die (tatsächlich und zurecht) immer etwas zu erzählen haben, die Ringleader, die Geschichtenerzähler, der Typus also, an deren Tafeln man selber, in jungen Jahren gern und auch recht still und neugierig gesessen ist, um was zu lernen und sich was abzuschauen, dass sich die der großen Untugend der Drüberfahrerei annähern.

Gefühlt war es nämlich so, dass die Privat-Entertainer der Generation vor mir zwar auch gerne randaliert haben, tischgesellschaftstechnisch, egal ob in den Medien oder an Weihnachten, dass sie aber irgendwie besser imstande waren die Jüngeren einzubinden und reinzuholen.

Mir kommt, wieder nur gefühlt, vor, dass die verhärtete Zeit (eine Verhärtung, die sich nicht auf Reales stützt, sondern auf dieses Gefühl, dass Jungen heute weniger echte Chancen geboten werden) der heutigen Tischunterhalter-Generation einredet sich noch weniger um das Zursprachekommen der Jungen zu kümmern.

Das funktioniert, wenn sie ihre Kunst ausstellen. Minichmayr liest großartig, Spechtl und Plaschg spielen wunderschöne Musik, entäußern sich im Rahmen ihrer Profession bis zum Äußersten. Sobald sie zurück an den weihnachtlichten Tisch kommen, bröseln sie wieder in die Kinder-Rollen zurück; und bekommen von den Alten auch nur Stichworte, kaum echtes Backing; und wenn sie einmal kurz auftauen, wird das schnell mit einem Gag abgetötet.

Ich bin erschreckt, weil ich - wohl zurecht - fürchte, dass dies ja kein Exklusiv-Verhalten ist, sondern wahrscheinlich für alle gilt; also auch für mich. Wiewohl ich, gerade am Weihnachtsabend, dem durchritualisiertesten und deshalb gefährlichsten Abend des Jahres, einen fast gegenteiligen Ansatz habe. Ob das Bewusstsein dafür schon genügt diese Fehler nicht zu machen wird sich weisen.