Erstellt am: 24. 12. 2011 - 22:10 Uhr
Sherlock Holmes 2.0
Schon wieder einer dieser Fälle, wo ich die Buchvorlagen nur vom Hörensagen kenne und eigentlich völlig unbefangen an die Verfilmungen herangehe.
Wenn es sich allerdings um den legendären britischen Edelschnüffler Sherlock Holmes dreht, geniere ich mich nicht nur für mein Bildungsdefizit. So groß ist der literarische Schatten des von seinen Anhängern vergötterten Autors Sir Arthur Conan Doyle, dass ich lieber fachlichen Rat bei der Urteilsfindung über die aktuellen Sherlock-Adapationen beiziehe.
BBC
"Sherlock Holmes - A Game Of Shadows", den neuesten Streich von Guy Ritchie, habe ich mir zusammen mit R. angesehen. R. ist der akribischste Holmes-Afficionado in meinem Freudeskreis. Die 56 Kurzgeschichten und 4 Romane, die um den Meisterdetektiv und seinen braven Helfer Dr. Watson kreisen, kennt er natürlich alle auswendig. Aber in seinem immensen DVD-Regal ruhen auch fast alle wichtigen Verfilmungen und TV-Serien rund um die beiden ikonenhaften Charaktere. Und wenn man ihn nur vorsichtig antippt, schwärmt R. leidenschaftlich vom berühmten Basil Rathbone, der mit der Rolle verschmolzen ist, von herrlich verqueren Verfilmungen von Billy Wilder oder Herbert Ross und vor allem vom angeblich besten Holmes ever, dem BBC-Darsteller Jeremy Brett.
Mit den styletechnisch aufgepimpten, knallig poppigen und grundsätzlich generalüberholten Sherlock-Holmes-Abenteuern des Herrn Ritchie tun sich viele ähnlich eingefleischte Conan-Doyle-Fans ziemlich schwer.
Deshalb werte ich es als beträchtliches Kompliment für den Regisseur, dass R. neben mir im Kinosessel immer wieder amüsiert auflacht. "Natürlich weicht Ritchie komplett von der Vorlage ab", wird er nach "A Game Of Shadows" sinngemäß werten, "aber etwas vom Spirit der Geschichten steckt da definitiv drin und es ist einfach Unterhaltungskino, das Spaß macht."
Warner Bros
Kombiniert wird in Guy Ritchies Sherlock-Holmes-Filmen zwar auch nicht wenig. Aber noch mehr wird gefochten, geritten und geboxt. Mit bloßen Fäusten, versteht sich. Ritchie erfindet 2009 den Ausnahme-Detektiv ganz neu, als muskulösen Actionhelden mit Waschbrettbauch, der nebenbei auch ein scharfsinniger Verstandesmensch ist. Und auch einen sympathischen Huscher hat.
Den immensen Einspielerergebnissen nach lieben es die weltweiten Massen, Robert Downey Jr. und Jude Law bei ihren Blockbuster-Abenteuern zuzusehen. Die beinharten Holmes-Fans, aufgeschlossene Geister wie R. ausgenommen, rebellieren aber eher.
Durchgehend begeistert wird dagegen das Experiment des Fernsehsenders BBC aufgenommen, Holmes und Watson in die Gegenwart zu transportieren. Drei abendfüllende TV-Filme der Serie "Sherlock" gibt es bislang, der schlaksige Benedict Cumberbatch und der smarte Martin Freeman jagen darin Verbrecher im London des Hier und Jetzt.
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Dass die Drehbuchautoren aus dem verstaubten Detektivduo zwei hypermoderne Ermittler machen, die unter anderem mittels Handys und Internet das Böse aufspüren, mag sich in der Theorie nach krampfhafter Modernisierung anhören. Tatsächlich, fand auch R. beim gemeinsamen Ansehen der DVDs, funktioniert der Relaunch aber auf extrem clevere und dennoch respektvolle Weise. Inmitten aller technischen und modischen Veränderungen bleiben nämlich essentielle Dinge gleich.
Besonders schön ist, dass es keinerlei Anpassung bei der Figurenzeichnung gibt. Ganz im Gegenteil, Benedict Cumberbatch mag zwar keine Koksnase wie sein literarisches Vorbild sein, aber er darf als Holmes so sehr den soziophoben Exzentriker raushängen lassen, dass es eine wahre Freude ist. Kein Wunder, dass eine eingeschworene Fangemeinde den neuen Folgen entgegenfiebert, die Anfang 2012 anlaufen werden.
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Während Cumberbatch etwas Schneidendes und Eindringliches hat, betont Robert Downey weiterhin die charmant verschlurfte Dandy-Facette des Mr. Holmes. Puristische Conan-Doyle-Spezialisten werden sich aber auch bei "Game Of Shadows" vermutlich schwer tun.
In seinem zweiten Sherlock-Holmes-Film zeigt Guy Ritchie den legendären Meisterdetektiv erneut als James Bond aus dem 19. Jahrhundert. Nur Frauenheld ist Holmes weiterhin keiner, dafür kommt der treue Dr. Watson am Anfang unter die Haube. Aber aus den Flitterwochen wird nichts, denn Holmes und Watson müssen einen besonders gefährlichen Fall lösen. Der diabolische Professor Moriarty zieht die Fäden hinter einer Reihe von Anschlägen, die das politische Gleichgewicht in Europa gefährden. Gemeinsam mit einer jungen Roma-Frau und unterstützt vom Holmes-Bruder Mycroft, hetzen die beiden Helden dem Bösewicht hinterher.
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Unzählige Faustkämpfe in Superslowmotion, explosive Action-Tableaus, die zu Standbildern erstarren: Guy Ritchie drückt sämtliche ästhethischen Knöpfe des stilisierten Blockbusterkinos. Mit Sherlock Holmes hat das oft nur am Rande zu tun, einen zusammenhängenden Erzählbogen kriegt der Regisseur nur mühsam auf die Reihe. Aber wie beim ersten Teil reißen Robert Downey und Jude Law den Film an sich. Die Chemie der beiden charmanten Detektiv-Hallodris ist alleine das Eintrittsgeld wert.
Beeindruckend sind auch die wunderschön morbiden Dekors, die fantastische Musik von Hans Zimmer, der köstliche Stephen Fry als spinnerter Bruder des spinnerten Sherlock. Nur die arme schwedische Schauspielerin Noomi Rapace, als Lisbeth Salander zum Shooting Star mutiert, wird vom Regisseur zu wortkargen Staffage degradiert.
Sir Conan Doyle mag im Grab vielleicht ein bisschen unruhig werden. Aber, um R. nochmals zu zitieren, der Kino-Sherlock sorgt zumindest für amüsantes Popcorn-Entertainment. Und mit der BBC-Version lebt der Meisterdetektiv würdig und verjüngt weiter.
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