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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

24. 12. 2011 - 09:00

Weihnachten in Berlin

Nun ist es also wieder soweit.

In Berlin ist Weihnachten immer besonders schön. Nicht wegen der 55 Weihnachtsmärkte und dem ganzen Ramsch, sondern weil nach dem großen Rumgerenne und dem Rummel in den Einkaufszentren am 24. dann eine große Ruhe über der Stadt liegt. Überall gibt es plötzlich Parkplätze, die Straßen sind leer und die wenigen Zurückgebliebenen bilden schon am Tag vor dem Fest so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft. So war es bislang eigentlich immer, auch wenn jedes Jahr mehr Weihnachtstouristen in die Stadt kommen.

Berlin ist die Stadt der Zugezogenen und fast jeder, der Eltern hat, fährt zurück in das Nest, wo er herkommt, verbringt dort ein paar Stunden unterm Weihnachtbaum und geht dann in die Dorf- oder Indiedisco vor Ort und trifft sich mit alten Freunden von früher. Wer ein bisschen älter ist und Kinder hat, fährt zu den Großeltern, wer Ferien hat, in den Skiurlaub, wer Geld hat und Weihnachtsverächter ist, in den Süden oder in die Karibik oder nach Florida. Und manche bleiben in Berlin.

disco

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Weihnachten in Lack und Leder bei der "Holy Night" im Kit Kat Club

In den Neunzigern spielten The Fall immer an Heiligabend in der Volksbühne, und wer da nach Hause zu den Eltern musste, beneidete die Berliner Daheimgebliebenen. The Fall kommen nicht mehr, dafür feiert der Berliner Vorzeige-Russe Wladimir Kaminer am Heiligen Abend zum wiederholten Mal „Weihnachten auf Russisch“ – eine Mischung aus Lesung, Musik und Russendisko in der Volksbühne.

Inzwischen kann man Heiligabend ja fast alles machen. Hip Hop hören mit Afrob, zur Fetisch-Lack und Leder-Party in den Kit Kat Club gehen.

Wladimir Kaminer

Rösinger

Weihnachten in Russland mit Kaminer

Im Kreuzberger Südblock geht es bei „Gazino“ nostalgisch kitschig aber ganz unweihnachtlich zu. Gazino sind die Musiklokale in der Türkei, in die man festlich gekleidet mit Freunden geht, um Arabeske, also Livemusik arabischen Ursprungs mit sentimentalen Texten zu hören, zu essen, zu tanzen und Raki zu trinken.

Bei all der Weihnachtsstimmung sollten wir am Fest der Liebe natürlich auch an die Berliner denken, die nicht so viel Grund zu feiern haben. Zum Beispiel an den armen Notar Michael Braun, der ganze 12 Tage lang CDU-Senator war, bevor er wegen der Diskussion um seine finanziellen Machenschaften um seinen Rücktritt bitten musste. Sogenannte Schrottimmobilien hatte der windige Notar gutgläubigen Berlinern angedreht, und so die unschöne Tradition der Verflechtung von Berliner CDU mit Baufirmen und Miethaien, den „Berliner Sumpf“, fortgesetzt. Auf die Frage nach der Moral bei seinen Geschäften sagte er: „Wenn wir das Kriterium ,moralisch‘ einführen, kommen wir in eine ganz schwierige Situation. Das mündete in der deutschen Geschichte meist in Willkür.“
Vielleicht können ihn die 50.000 Euro Übergangsgeld, die er nach 12 Tagen im Amt mitnahm, und der Ehrentitel eines Stadtmagazins als “peinlichster Berliner” ein bisschen über das verlorene Amt hinwegtrösten.

Auch auf Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, wird es wohl ein sorgenvolles Weihnachten geben. Christian Wulff hat zwar zu guter Letzt die Wogen um seinen Privatkredit und die Urlaube bei seinen Unternehmerfreunden ein wenig glätten können, aber muss er sich in den besinnlichen Stunden am Weihnachtsabend nicht eingestehen, seinen Ruf ruiniert und alles falsch gemacht zu haben?

Ihm wie allen Lesern wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest!