Erstellt am: 27. 12. 2011 - 18:00 Uhr
Angst um das Geld
Mit jeder neuen schlechten Nachricht über Staatsanleihen in Europa, vermehrt sich der Chor derjenigen, die fordern, dass die Europäische Zentralbank einspringen soll, um der Krise ein Ende zu machen. Sie müsse angewiesen werden, die Staatsanleihen zu kaufen, die private Gläubiger zuletzt nur noch zögerlich oder zu hohen Zinsen zu kaufen bereit waren.
Doch bislang blieb die deutsche Regierung standfest und verteidigte die Grundsatzposition, die sie bereits in den Maastrichter EU-Verträgen 1992 zur Bedingung der Währungsunion gemacht hatte: Die Zentralbank darf keine direkten Kredite an Staaten vergeben. Begründet wird das mit der Angst, das öffne einer unbegrenzten Staatsverschuldung Tür und Tor und führe unweigerlich zu Inflation.
Stattdessen soll der Euroraum sich aus der Krise „heraussparen“: Regeln für strikte Sparpolitik der Staaten werden verschärft und in neue Verträge geschrieben. Nur wer diese Regeln erfüllt hat und trotzdem in Schwierigkeiten bleibt oder gerät, soll zur Not Kredite von anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des „Rettungsschirms“ erhalten.
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Wer hat Angst vor Inflation?
„Abgehobenheit“ kann man der deutschen Regierung in diesem Fall nicht wirklich vorwerfen: Denn Umfragen zufolge gilt rund der Hälfte aller Deutschen Vermögensentwertung durch Inflation als Hauptsorge. In Österreich sind es sogar über 60%, wodurch das Land zu den Inflationsangst-Spitzenreitern in der EU zählt. Es ist eigenartig: Die öffentliche Stimmung ist von Zorn über die Macht der Finanzmärkte geprägt. Gleichzeitig scheint die Hauptsorge der Menschen der Wertstabilität ihres Finanzvermögens zu gelten.
Als traditionelle Faustregel gilt: Inflation schadet vor allem dem Vermögensbesitz (weil Sparguthaben und sonstige Forderungen in festen Beträgen weniger wert werden), und hilft tendenziell SchuldnerInnen. Hingegen haben Unternehmen tendenziell die Möglichkeit, durch Preiserhöhungen ihre Einkommen anzupassen, und Lohnabhängige können durch Lohnverhandlungen die Teuerung abzufangen versuchen.
Nur wenige Menschen beziehen ihre Haupteinkünfte aus Vermögen: Der durchschnittliche österreichische Haushalt verfügte laut Zentralbank-Befragung von 2004 über ein Geldvermögen von rund 55.000 Euro. Die Mitte der Vermögensverteilung, der Median, lag bei 24.000 Euro. Die überwiegende Mehrheit jedoch lebt vorwiegend von Lohneinkommen.
Auch gibt es im Angesicht einer aktuellen Perspektive von Sparpaketen und wirtschaftlicher Stagnation wahrlich größeren Anlass, sich um Jobsicherheit Sorgen zu machen als um die Preisstabilität.
Neue Koalitionen
Woher dann diese verbreitete Inflationsangst? Es gibt viele mögliche Gründe, warum die Angst vor Inflation dennoch die Oberhand behält, nicht nur historische Hyperinflationserfahrungen nach dem 1.Weltkrieg:
Zunächst fallen Preiserhöhungen besonders unangenehm auf, wenn das eigene Einkommen damit nicht mithalten kann. Zwar sind zuletzt in Österreich wieder Lohnanstiege zu verzeichnen, aber nicht alle kommen in diesen Genuss. Denn Arbeitsverhältnisse werden immer prekärer und infolge geschwächter Gewerkschaften bedeuten auch erfolgreiche Lohnverhandlungen nicht mehr inflationsgesicherte Löhne für alle.
In einem Kontext jahrelang schwächelnder Löhne wurden in den Industrieländern Preissenkungen für Nahrungsmittel (vorwiegend auf Kosten der Produzenten im globalen Süden) auch zu einem Mittel, diese Entwicklung zu kompensieren und politisch akzeptabel zu machen: Wer billiger einkaufen kann, beschwert sich nicht so schnell über ausbleibende Lohnzuwächse. Diese Strategie scheint jetzt ausgereizt, und die lange Zeit gefallenen Weltmarktpreise steigen wieder.
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Dann ist da die Verankerung einer „Investorenmentalität“ durch jahrelange Ermutigung durch Werbung und Politik. Außerdem ist vor allem im Kontext der Altersvorsorge trotz des Desasters der privaten Vorsorge in der Finanzkrise keine Abkehr von der Privatisierungspolitik abzusehen, sondern weiterhin wird als einziger Weg zur Verhinderung der Altersarmut der Weg in Richtung individueller Vermögensaufbau gewiesen. Wer sich selbst um die Altersvorsorge kümmern muss, macht sich natürlich Sorgen über die Wertentwicklung des Vorsorgevermögens (wenngleich Privatvorsorge-Verträge in Österreich bislang hauptsächlich von Besserverdienenden abgeschlossen wurden).
Und angesichts zunehmend prekärer Erwerbsverläufe und löchriger Sozialnetze erhält selbst bescheidenes Erspartes eine wachsende Rolle als Sicherheitspolster für Zeiten des Einkommensausfalls. Auf diese Weise haben Privatisierung und Prekarisierung auch bei den weniger Begüterten Verbündete für die Inflationssorgen der Wohlhabenden geschaffen.
Auch Stabilität hat ihren Preis
Doch das sollte nicht vergessen machen, dass Preisstabilität ihren Preis hat.
Erstens hat eine Inflationsbekämpfungspolitik Nebeneffekte: Lohnerhöhungen geraten bei so einer Politik unter Preistreibereiverdacht und werden bekämpft. Deshalb wird auch zu geringe Arbeitslosigkeit letztlich als Gefahr gesehen, weil bei Vollbeschäftigung könnten die Lohnabhängigen freche Lohnforderungen durchsetzen, die preistreibende Effekte haben.
Und zweitens ist das befürchtete Inflationsszenario fragwürdig: Zwar wird aktuell der Staat verdächtigt, mittels Inflation seine eigene Verschuldung entwerten zu wollen. Was ja durchaus wünschenswert wäre. Doch der Staat kann keine Inflation befehlen. Inflation entsteht, wenn KonsumentInnen mehr Geld in der Tasche haben und deshalb in einen solchen Kaufrausch verfallen, dass Güter und Dienstleistungen knapp werden, und die Unternehmen folglich die Preise erhöhen können. Doch auch wenn der Staat die Zentralbank zwingt, Staatsanleihen zu kaufen und dadurch mehr Geld in die Wirtschaft zu leiten: durch das erhöhte Geldangebot wird niemand gezwungen oder auch nur verleitet, es auszugeben.
Denn erst das könnte einen Inflationsschub auslösen.
In letzter Zeit ist die Geldmenge in Europa eher gesunken, weil die Banken mit Kreditvergabe zögerlich geworden sind: In den Taschen von Menschen mit ungestillten Bedürfnissen kommt das Geld folglich derzeit weniger an als je zuvor, und die Regale der Geschäfte bleiben voll. Dass es in jüngster Zeit wegen globaler Knappheit und Spekulation, zum Teil auch notwendiger Steuererhöhungen, einen leichten Inflationsanstieg gerade bei Lebensmitteln und Benzin gibt (der etwa bei Lebensmitteln einen langfristigen sinkenden Preistrend einfach wieder umkehrt), wo es den Armen besonders wehtut, ist zwar richtig, aber kein Effekt eines politisch erzeugten allgemeinen Geldwertverfalls. Dass es bei vielen im Börsel knapp wird, weil Treibstoff und Schnitzel nicht mehr zu Dumpingpreisen verfügbar sind, ist Ausdruck eines Verteilungsproblems zwischen Arm und Reich, und kein Vorbote einer allgemeinen Hyperinflation.
Die Drohung der Krise ist eher das Gegenteil von Inflation: Aus öffentlichem Spardruck und Zukunftsangst halten sich alle mit Ausgaben eher zurück, und erzeugen somit die Voraussetzungen für eine Stagnation. Dieses Szenario ist nicht zuletzt einer Krisenpolitik zu verdanken, die die Sicherung der Vermögen, also Geldwertstabilität, auch in höchster Not über alles stellt.