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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

21. 12. 2011 - 19:13

Menschen, die es eigentlich nicht gibt

100.000 Menschen in Österreich haben keine Krankenversicherung. Warum? Und warum sind diese Menschen von Spenden und Einrichtungen wie Amber Med abhängig?

Es ist schwer nachvollziehbar: Das Sozialsystem in Österreich ist umfangreich und sehr gut ausgebaut. Trotzdem gibt es laut Schätzungen der Armutskonferenz 100 000 Menschen, die aus dem Sozialsystem rausfallen und keine Krankenversicherung haben.

Diese Menschen haben ihren ständigen Wohnsitz in Österreich und verlieren aus verschiedenen Gründen ihre rechtlichen Ansprüche auf eine Krankenversicherung. Es sind Menschen, die oft unter der Armutsgrenze leben. Im Krankheitsfall müssen sie mit hohen Kosten rechnen, die kaum jemand bezahlen kann.

Einzelschicksale

Im Zuge der Spendenaufrufe für Amber Med im Rahmen der Licht ins Dunkel-Aktion von FM4 wurden oft zwei Fragen gestellt: Warum gibt es 100 000 Menschen ohne Krankenversicherung? Und warum macht der Staat die medizinische Versorgung von Spenden abhängig? Die Antworten der staatlichen Stellen darauf sind wortreich, aber trotzdem auf einen Nenner zu bringen: „Es sind Einzelschicksale“.

amber med

pamela russmann

Das Ambulatorium Amber Med hilft Menschen ohne Krankenversicherung

Im Hauptverband der österreichischen Krankenversicherungsträger lautet die Antwort folgendermaßen: „Wir gehen davon aus, dass Österreich ein umfassendes staatliches Versicherungssystem hat, in dem alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, Versicherungsschutz in der Krankenversicherung genießen, von Einzelfällen abgesehen“, sagt Josef Probst, der stellvertretender Generaldirektor.
Trotzdem ist es Herrn Probst und seinen Mitarbeitern ein Anliegen gewesen, im vergangenen Jahr zu Weihnachten selbst Spenden für Amber Med zu sammeln.

Auch vom Fonds Soziales Wien wird Amber Med unterstützt, mit 15 000 Euro. Doch auch hier lautet die offizielle Antwort von Geschäftsführer Peter Hacker: es sei Faktum, dass es eine gesetzliche Situation gäbe, wonach gar niemand nicht versichert sein sollte. „Und es wird wahrscheinlich immer Einzelfälle oder mehrere Fälle auch geben“, sagt Hacker.

Alleine bei Amber Med sind aber jedes Jahr mehr als 800 Menschen in Behandlung. Das ist ein voll besetzter U-Bahnzug in Wien. Und es gibt noch andere Stellen, wie die Barmherzigen Brüder, den Caritas Louisebus und andere Einrichtungen, die Hilfe anbieten. Dort spricht niemand von Einzelfällen.

amber med

pamela russmann

Die Lücken im System

Dass das System lückenhaft ist, wird zumindest im Gesundheitsministerium erkannt. Aber auch hier tut man sich mit dieser Frage schwer. Ein Erklärungsversuch von Ulrike Windischhofer: „Es kann natürlich sein, dass Personen nicht krankenversichert sind, weil wir in Österreich keinen generellen Krankenversicherungsschutz für die Bevölkerung flächendeckend anbieten. In der Regel ist das abhängig von einem Beschäftigungsverhältnis“.

Bleibt nun die zweite Frage: Wieviel Geld wäre notwendig, damit Amber Med den laufenden Betrieb nicht mehr von Spendengeldern abhängig machen müsste? Die Antwort: etwa 200 000 Euro. Schon jetzt fördern Gebietskrankenkassa, Gesundheitsministerium und Fonds Soziales Wien mit insgesamt 75 000 Euro. Der Rest muss mittels Spenden aufgetrieben werden – für Menschen, die es eigentlich nicht gibt in unserem System.