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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 12. 2011 - 17:14

Fußball-Journal '11-140.

Vastic. Ein Problem.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einem Text zur Ernennung von Ivica Vastic zum neuen Austria-Trainer.

Gestern abend (Weihnachtsfeier) bin ich noch mit einem Vastic-Kenner zusammengestanden und unsere gemeinsame Spekulation lautete so: in ein paar Tagen gibt Sturm Graz die Verpflichtung des Super-Ivo bekannt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Austria Wien-Vorstand unsere Pläne aber bereits durchkreuzt gehabt: da war Karl Daxbacher schon entlassen und durch den Trainer des Amateur-Teams, eben Vastic, ersetzt worden.

Das sorgte bei der heutigen Bekanntgabe dann durchaus für Erstaunen. Mit einer so starken Reaktion der Austria auf die bislang verhaltene Saison hatte eigentlich keiner gerechnet. Er selber auch nicht.

Die Austria versucht damit, sich an einen Trend anzuhängen: den der jungen Trainer, der 98er-Garde (Schöttel, Stöger, Kühbauer etc...), die sich gerade ganz gut schlägt und frischen Wind in ein wenig wagemutiges Milieu bringt.
Gerade seine Zögerlichkeit war es nämlich, die Karl Daxbacher letztlich zum Vorwurf gemacht wurde; durchaus zurecht.

Ran an den Trend, egal, welchen!

Allerdings hängt sich die Austria damit in Wirklichkeit an einen ganz anderen Trend, einen ziemlich retromäßigen. Nämlich an den des altösterreichischen Systems, Trainer nach ihren Erfolgen als Spieler und nicht etwa nach ihrem Können als Coaches zu selektionieren. Gerade eben hatte der ÖFB das mit Marcel Koller durchbrochen, wurden die Scherbs, Weissenböcks, Canadis hochgelobt, bekamen die Herbst- und Wintermeister Gludovatz und Schöttel, aber auch Moniz oder Daxbacher ihre Jobs auf Basis ihres auf gutem Niveau ausgewiesenen Könnens.

Und jetzt kommt Vastic, der bislang nichts vorzeigen kann, und kriegt seinen Posten auf Basis seiner Spieler-Vergangenheit.

Dass dieser Rückschritt ausgerechnet der diesbezüglich in der Post-Stronach-Ära sensiblen Austria Wien passiert, ist schön peinlich.
Dass Vastic' bisherige Coaching-Erfahrungen in den Berichten über seine Ernennung praktisch flächendeckend kein Thema sind, ebenso. Für die Sportmedien.

Nur im Untergrund des Netzes und der Foren brodelt es ein wenig.

Taktisch und systemtechnisch nicht auf der Höhe

Auf sport10 schreibt etwa Christoph Regger: Taktisch und systemtechnisch ist der neue Austria-Coach zwar nicht unbedingt kreativ, doch das ist etwas, woran man noch arbeiten kann (bzw. muss).

Und noch ein Fundstück aus dem Austrian Soccer Board: ich habe ivo schon bei zig spielen als trainer bei waidhofen erleben dürfen. ich kann nur sagen, dass ich hoffe, dass er dazugelernt hat. ein trainer, der sich in die taktik hineinfuxxxen kann, wie zum beispiel ein tuchel, guardiola, oder klopp ist er in jedem fall nicht. motivationskünstler dürfte er (rein von der aussendarstellung, keine ahnung wie es in der kabine aussieht) auch keiner sein.

Ich habe Vastic' Trainer-Handschrift nicht bei zig, sondern nur bei zwei Spielen (auf dem Platz) gesehen - was schätzomativ trotzdem deutlich mehr ist als die Praxis derer, die jetzt Jubel-Geschichten tippen.

Ich war zweimal recht entsetzt.

Wozu verschieben? Zerfleddert über die ganze Platzbreite!

20. September dieses Jahres, Cupspiel gegen den LASK, Auszüge aus dem damaligen Bericht: Vastic ließ seine Mannschaft, ein junges Team aus fast ausschließlich Unter-20-jährigen, das vor Talent nur so strotzt, völlig zerfleddert über die ganze Platzbreite spielen. Verschieben? Ach wozu...
Dabei war das grundsätzliche System von Vastic durchaus originell: Vor der Vierer-Abwehr und dem Einzel-Sechser Dos Santos spielen zwei offensive Mittelfeldspieler auf den Halbpositionen, zwei auf den Flügeln und einer im Sturm-Zentrum. Diese 5 Akteure haben zwar eine Grundordnung, wechseln aber dauernd durch.
Das hat was, theoretisch, aber es klappt nicht.
Zum einen, weil die fünf Rochierer nicht nur den Gegner, sondern auch sich selber mehr verwirren (das wird in der 2. Hälfte, als alle Position behalten, besser); und zum anderen durch die bereits angesprochene Breite des Spiels. Dadurch, dass Vastic seine Flügel wirklich außen hinstellt, muss seine Mannschaft das gesamte Feld ausfüllen.
Das mag bei kleinen Spielfeldern, auf denen man sonst in der Regionalliga vielleicht aufläuft, angehen - im Horr-Stadion ist das ein veritabler Knieschluss.
Also: vercoacht. Ganz kapital sogar.

Konservative, schlichte Übernahme schlichter Spielansätze

Das andere Match war auch ein Cupspiel, im Juli gegen Simmering:
Ex-Star/Neo-Trainer Vastic: konservativ, ohne eigene Idee.
Dass die Mannschaft trotzdem klar gewann, liegt an der Tatsache, dass diese jungen Burschen (fast alle 19-20) vor Talent nur so strotzen. Diesbezüglich kann sich jedes andere Wiener Team aus der 3. oder 4. Leistungsstufe einfach nur hinten anstellen.
Wichtig war mir aber nicht Resultat oder Spielverlauf, sondern die Sichtung der Strategie. Der sehr ruhig agierende Ivo Vastic hatte seine Mannschaft in einem 4-2-3-1 aufgestellt, mit einer sehr eng aneinandergeschmiegten Viererabwehr, zwei sehr offensiven Außenspielern und einem enorm großen Loch zur weit vorne effektvoll herumpolsternden Spitze Martin Harrer.
Erst gegen Ende der 2. Halbzeit, als die jungen Austrianer nur noch auf Konter spielen, greifen die Formationen ineinander, wird eine Art offensives 4-2-1-3 sichtbar.
Vastic' Taktik, sein System: konservativ, sehr berechenbar, immer mit einem Mann zu viel hinten, zwei Sechsern, mit einem zu weit zurückgezogenen Playmaker (seinem Alter Ego). Da ist kein eigener Gedanke zu spüren, da steckt keine große Überlegung dahinter, das ist die schlichte Übernahme schlichter Spielansätze, die in Österreich allgegenwärtig sind.
Vastic hat also vor Lernwilligkeit berstende Akteure, und macht nicht viel mit ihnen.
Ivica Vastic sollte Simmering coachen, dort seine gemächlichen Basics anwenden, dort sein konservatives risikoloses Spiel inszenieren. Betulichkeit zu den Älteren, Risiko zu den Jungen.

Ein Osim-Schüler, der die Osim-Schule nicht ernst nimmt

Diese Eindrücke decken sich also mit den Erfahrungen des Waidhofeners und den Einschätzungen von Regger, der die Ernennung freudig aufgenommen hat und die taktische Kreativ-Armut von Vastic nicht als großes Problem erachtet.

Vastic selber sagt, er wolle, wie sein Vorbild Ivan Osim, nicht Opfer eines bestimmten Systems werden, deshalb versuch' ich, so flexibel wie möglich zu trainieren.

Klingt dann richtig, wenn man, wie Osim (das beschreibt sein Schüler Ruttensteiner hier ganz gut) eine ungeheure Variationsbreite hat. Zitat: "Wahnsinn, was der an Theorie in den Spielformen gehabt hat!"

Davon ist Vastic soweit entfernt wie Schinkels von Mourinho.

Und natürlich wird genau das ein massives Problem im Umgang mit der aktuellen Austria-Mannschaft werden: denn die ist aktuell ein deutlich höheres Level gewohnt. Ersatz-Kapitän und Punk-Fan Markus Suttner sagt heute in einem ASB-Fantalk: Taktik ist das Wichtigste im Fußball – das merkt man, wenn ein paar Spieler aus der Startelf fehlen und die Automatismen beim Verschieben bzw. beim Attackieren nicht greifen, man einfach keinen Druck erzeugen kann.

Sein neuer Coach hat sowohl mit der Bedeutung von Taktik als auch mit der Bedeutung von Verschiebungs-Automatismen (siehe LASK) so seine Schwierigkeiten.

Vastic als Austria-Trainer.
Das wird ein Problem.