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Sammy Khamis

Are you serious...

27. 12. 2011 - 09:56

Mein Jahr ägyptische Revolution

Rewind 2011: Ein Jahr Wut, Hoffnung, Ernüchterung und Zuversicht

Im Januar war ich während der Revolution auf dem Tahrir Platz in Kairo. Meine leicht ängstliche Tante in Alexandria hat mir mit einem verschmitzten Lächeln im September ein T-Shirt geschenkt. Es ist blau. Auf der Vorderseite ist die ägyptische Flagge zu sehen, auf der Rückseite steht der Satz „Ich liebe dich, mein Ägypten“. Ich habe das Shirt jetzt dreimal gewaschen. Jedes Mal hat es abgefärbt. Auf meine Unterhemden, auf meine Oberhemden, auf meine Unterhosen und auf meine Socken. Auf alles Weiße.

Genauso wie das Shirt alle weißen Flecken meines Kleiderschrankes eingefärbt hat, hat die Revolution im Januar alle weißen Flecken meines politischen Denkens gefärbt. So wurde Blau meine Lieblingsfarbe, und die ägyptische Revolution auch meine ägyptische Revolution.

Too good to be true

Park15

Auch wenn ich den 25. Januar mit Fieber im Bett verbrachte, war ich hibbelig. War es nur ein Traum, dass so viele Menschen endlich auf die Straße gehen? Ist es bitte nur ein Fiebertraum, dass sich tausende Polizisten gegen ihr eigenes Volk stellen? Am Freitag den 28. war es dann so weit. Ohne Internet, ohne Handy und ohne Waffen besiegt das Volk die Polizei und vertreibt sie. Wir alle haben Tränen in den Augen; vor Euphorie und vom Tränengas, das noch in der Luft liegt. Viele wurden in diesen Tagen verletzt und getötet. Auch mir hat ein junger Polizist mit einer Tränengaskartusche, abgeschossen aus wenigen Metern Entfernung, eine Wunde verpasst. Hinter meinem linken Ohr habe ich heute noch eine Narbe davon. Es war wohl knapp. Nach dem Krankenhausbesuch laufe ich in die Wohnung zu meiner Tante. Der erste Check: Sind alle da? Sind alle wohlauf? Gott sei Dank. Meine Angst gilt in dem Moment noch nicht dem Land Ägypten, sondern in gewissen Maßen meinem Ohr. Es steht noch erschreckend weit von meinem Kopf ab.

Die kommenden Tage waren euphorisch, freundschaftlich, einmalig. Millionen gingen auf die Straßen. In Kairo, Alexandria, Suez und allen anderen Städten des Landes. Alle von ihnen waren bereit am 25. und 28. Januar zu sterben. Ihr Leben für ein besseres Ägypten zu lassen. In den Tagen danach feiern sie sich selbst, fordern Mubarak zum Rücktritt auf und begrüßen das Militär. Angespanntes Warten an jeder Ecke. Ich lasse mir Nachrichten übersetzen, verstehe die Sprache der Zeichen und Gefühle, kann Hoffnungen nachvollziehen. Ich sage nicht mehr: „Die Ägypter wollen das Ende Mubaraks“, ich sage: „Wir wollen das Ende Mubaraks“.

Die deutsche Außenpolitik schweigt. Viele internationale Medien stellen die Bewegung in Frage, unterstützen Mubarak, verharmlosen das Handeln des Regimes, relativieren die Zahl der Toten. Ein Freund des Bayerischen Rundfunks ruft mich an, bittet mich meine Erlebnisse zu teilen. Daraufhin nehme ich die Chance wahr, meine Sichtweise und die meiner Familie öffentlich zu äußern. Ich melde mich bei FM4. Die Jugend Ägyptens erhebt sich. Die Jugend Österreichs nimmt teil.

Ein Anfang ohne Enden

Am 8. Februar gehe ich zurück nach Deutschland. Meine Familie erwartet mich. Viele machten sich Sorgen. Gemeinsam mit meinem Vater, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, erlebe ich den Rücktritt Mubaraks am 11. Februar. Erleichterung? Euphorie? Mein Vater ist skeptisch. Wer wird das Land führen? Ich bin ekstatisch. Schreibe über Stunden mit Freunden und Verwandten. Ich frage: Wer kommt jetzt, was kommt jetzt? Niemand weiß es, die wenigsten sind dem Militär gegenüber pessimistisch.

Ein Soldat auf seinem Panzer hat eine Blume bekommen, 29. Januar

Park15

Im März dann klären sich die Fronten. Maikel Nabil Sanad bloggt am 9. März: „Die Armee und das Volk waren niemals Hand in Hand“ und spielt damit auf den Spruch "Al gesh we a-shaab ed wahda" (Das Militär und das Volk sind eine Hand) an, der während der Revolution andauernd angestimmt wurde. Er schreibt darüber, dass das Militär ebenso foltert und einschüchtert, wie die Polizei unter Mubarak. Dafür wird er verhaftet und vor einem Militärgericht verurteilt. In der Verfassungsänderung, die vom Volk abgestimmt wurde, hat sich das Militär selbst legitimieren lassen und den Notstand wieder eingeführt. Es war der Moment, in dem die erste Maske gefallen ist. Ich sitze in Deutschland, mein Emailverkehr gleicht der Kairoer Rush-Hour und meine Handyrechnung übersteigt fast den ägyptischen Militärhaushalt.

Rückkehr im September

Die Demo vom 9. September: Wir sind keine Kriminellen, sondern Revolutionäre

Park15

Anfang September dann fahre ich für fünf Wochen mit meinem Vater nach Ägypten. Wir wollen sehen wie sich die Lage entwickelt hat. Ich will ihm zeigen, was ich gesehen habe. Will, dass er versteht weshalb ich mich zwischen Deutschland und Ägypten fühle. Wir gehen am 9. September auf die Demo der liberalen Parteien auf dem Tahrir. Alles verläuft friedlich, bis am Abend die israelische Botschaft gestürmt wird, und wieder Tote und tausende Verletzte. Das Militär versagt darin das Volk zu schützen, und baut sich als dessen Gegner auf. Seit März wurden 12000 Menschen Zivilsten vor Militärgerichten verurteilt. Unzählige wurden gefoltert, der Platz immer wieder mit großer Brutalität geräumt, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt; und die Forderungen der Demonstranten vom Januar werden vergessen, negiert, mit Füßen getreten. Die Wahlen sind bereits zum x-ten Mal verschoben.

Arabischer Herbst?

Am 9. Oktober greifen zuerst bezahlte Schläger, dann auch das Militär eine Gruppe von Demonstranten an. 27 Menschen sterben, vorwiegend Kopten. Das Militär ist dafür verantwortlich. Als ich davon erfahre werde ich nervös, emotional und ungehalten. Meine Kühlschranktüre wir in Mitleidenschaft gezogen. Ich trete auf sie ein, als wäre ich ein ägyptischer Polizist, der sich unter Demonstranten wähnt.

Ich gehe ins Funkhaus in München. Seit der Revolution arbeite ich unter anderem für den Bayerischen Rundfunk. Ich gebe Interviews, schreibe Texte und versuche mein Möglichstes, um der Welt zu zeigen, dass Ägypten und seine Menschen noch immer kämpfen.

Die Geschehnisse in Kairo, Alexandria und Suez zeigen, dass Ägypten mit großen Spannungen zu kämpfen hat. Tunesien und Libyen haben sich (mit Hilfe der Nato) befreit und emanzipiert. Nur Syrien und Ägypten bleiben Problemfälle. Vom Frühling in den Herbst. Ohne erholsamen Sommer.

Eigentlich mögen mich meine Eltern …

Seit Januar habe ich einen neuen Draht zu meinen Eltern. Natürlich zu meinem Vater, mit dem ich viel diskutiere, aber auch zu meiner Mutter, die sich in jedes Streitgespräch einklinkt und weniger auf ihrer Meinung beharrt, wie Vater-Sturschädel und Sohn-Sturschädel das tun. Wir sprechen über vieles, und über alles was Ägypten betrifft.
Dann kommt der 19. November: 41 Tote tausende Verletzte vor dem Innenministerium, eine Woche vor der Wahl. Mein Kühlschrank bekommt eine zweite, tiefere Kerbe. Ich sitze wieder im Radio, spreche von Menschenrechtsverletzung über die letzten zehn Monate und erkläre, dass das, was passiert absehbar war. Die Militärführung will ihre Macht und ihre Privilegien behalten. Ich telefoniere mit meinem Cousin, er hat keine Stimme wegen des Tränengas in seiner Wohnung. Ich verstehe kaum, was er sagt, was er durchlebt aber schon. Ich buche meinen Flug. Eigentlich mögen mich meine Eltern. Zumindest bis ich ihnen sage, dass ich morgen in Kairo sein werde. Aber ich möchte hin, muss mir ein Bild machen, kann es nicht auf mir beruhen lassen, dass die Revolution vom Januar so mit Füßen getreten wird.

Eine der gesperrten Straßen nach der Schlacht vor dem Innenministerium

Park15

Ich komme in Kairo an und es ist auffällig ruhig. Die größten Auseinandersetzungen sind vorbei, der Platz ist ein Feldlazarett. Die ersten freien Wahlen seit 60 Jahren stehen vor der Tür.

Vor der Wohnung meiner Cousine in der Innenstadt: ausgebrannte Autos, Steine und Stacheldraht. Die Wahlen verlaufen friedlich, bis kurz vor Weihnachten das Militär den Platz räumt. Brutaler und rücksichtsloser als je zuvor. Wieder werden 13 Menschen erschossen, hunderte verletzt. Die Gewalt richtet sich gezielt gegen Frauen, ist hoch sexualisiert. Ich bekomme Gänsehaut wenn ich an meine weiblichen Freunde und Verwandten denke. Und daran, dass das Militär bereit ist, jedes Tabu zu brechen, um an der Macht zu bleiben.

Ein Jahr Ägypten: Ein Jahr Wut, Hoffnung, Ernüchterung und Zuversicht

Als ich im November das letzte Mal in Kairo war habe ich das Bild eines jungen Mannes gemacht. Er steht auf dem Tahrir Platz und trägt eine Mütze auf der das Datum der Revolution steht (25. Januar). Er blickt auf einen Soldaten, der schreit: "Das Volk fordert den Rücktritt des Feldmarschall (Tantawi)". Dieser Soldat ist einer von vielen Männern innerhalb des Militärs, der auf der Seite des Volkes steht. Viele von ihnen werden unterdrückt, gefoltert, oder sie verschwinden.
Der Ausdruck im Gesicht des Jungen, der diesen Soldaten anblickt ist voller Hoffnung und Zuversicht. Mit dickeren Ringen unter den Augen, den ersten grauen Haaren und einem blauen Unterhemd. Bin dieser Junge auch ich?

You will find the english translation of this text here:
smsmkhamis.blogspot.com

Hoffnung und Zuversicht: Ägypten braucht einen weiteren 25. Januar

Park15