Erstellt am: 21. 12. 2011 - 11:08 Uhr
Lost
Man kann im Internet verloren gehen. So was Ähnliches beschreibt Daniel Kehlmann in seinem Roman „Ruhm“. Die echte Persönlichkeit verschmilzt mit dem Nicknamen und das „Ich“ verschwindet in der Namenlosigkeit. So vergisst man langsam, wer man „in Wirklichkeit“ ist. Man kann auch in einer Sprache verloren gehen. So wie im „Lost in Translation“. Aber wenn man eine so schöne Frau wie Scarlett Johnason trifft, ist es auch völlig in Ordnung die Sprache und den Verstand zu verlieren. Fragt Woody Allen. Manchmal verschwindet die Persönlichkeit auch, wenn man den Ausweis verliert.
Meine Persönlichkeit ist neulich in den Wiener Linien verloren gegangen. Ich meine das jetzt gar nicht wörtlich: Es ist nicht so, dass ich den Ausgang nicht finden konnte und eine Nacht in der U-Bahn-Station verbringen sollte. Meine Identität ging spazieren: Während ich gemütlich in meinem Haus in Sofia saß, wurde mein Freund Anton ohne Fahrschein in der Wiener U-Bahn erwischt. Er geriet in Panik. Der Kontrolleur fragte nach seinem Namen. „Todor Ovtcharov“, sagte mein Freund, ohne groß an die Folgen zu denken. Anton hörte sich ziemlich vertrauenswürdig an und der Schwarzkappler kaufte ihm die Geschichte sofort ab.
Einige Wochen später bekam ich in meiner Wiener Wohnung aus heiterem Himmel den Brief mit der Strafe. Ich las ihn und wusste nicht, wo ich bin, wer ich bin und warum überhaupt bin ich. Konnte ich gleichzeitig in Wien und Sofia sein? Und dazu noch ohne Fahrschein...
Ich fuhr zur Zentrale der Wiener Linien und schaffte es mit meinem Ausweis und meinem Busticket aus Sofia meine Strafe zu stornieren. Um weitere Missverständnisse zu vermeiden, deklariere ich: ich bin über die Weihnachtsfeiertage weg und wenn euch einer sagt, dass er Todor Ovtcharov ist, dann glaubt ihr ihm nicht. Frohe Weihnachten!