Erstellt am: 20. 12. 2011 - 18:55 Uhr
Journal 2011. Eintrag 231.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit dem großen Nichts, das angesichts des Kredit-Skandals des deutschen Bundespräsidenten in den hiesigen Medien produziert wurde.
Wahnsinn, der deutsche Bundespräsident, was? Skandal rund um diesen Privatkredit, der Typ ist definitiv der falsche Präsident, die deutsche Öffentlichkeit ist empört.
Ja, selber schuld, wenn die den Präsidenten von einer wilden Mischung aus Parlament und Promis bestimmen lassen, bei einer echten Wahl hätte der wesentlich schlamasselfreiere Gauck gewonnen und man müsste sich jetzt nicht von jemandem repräsentieren lassen, der sich in die Abhängigkeit von Grusel-Kabinett-Figuren a la Maschmayer begeben hat.
Das wäre eine mögliche Reaktion auf die Wulff-Erregung der letzten Tage.
Meine war seltsamerweise eine andere. Ich hab mich immer nur gefragt, was denn eigentlich dabei wäre sich einen Privat-Kredit zu checken. Würde jeder machen, der die Möglichkeit hat. Im Fall Wulff ist das ohnehin komisch: er hat keine wirklichen Freunde, die ihm einfach so Geld borgen; er hat nur Bekannte (maximal Facebook-Freunde) die 4% statt der 5,irgendwas nehmen - ein Armutszeugnis eigentlich.
Meine Reaktion war also die WTF-Frage. Und weil ich mich ja gerne manchmal über mich selber wundere, stellt sich da natürlich sofort eine zweite Frage: bin ich, als gelernter Österreicher, vielleicht zu balkanistisch, weil ich an so einer Kreditnahme kein Problem sehe? Weil ich ja instinktiv weiß, dass es alle machen oder machen würden, wenn sie könnten, alle 8,irgendwas Millionen Österreicher?
Dort, in Österreich, zumindest in der medialen Rezeption kam die Ursache für die Wulff-Erregung kaum vor. Die Tatsache, dass es da Gesetze gibt, die genau das, "das Verbot der Annahme verbilligter Kredite für Amtsinhaber" regelt. Im Konkreten ist das in den sogenannten Ministergesetzen festgehalten, im Fall von Wulff in dem von Niedersachsen. Dort, im Gesetz und auch in einem zugehörigen Erlass ist das genau geregelt. Und scheinbar ist das für alle Deutschen, vor allem aber die Medien alles sonnenklar.
Mir, sorry dafür, ist da nichts klar.
Ich finde das einfach nur seltsam.
Nicht nur die Rechtslage, auch den Umgang damit.
Ich bin Österreicher. Und ich bin vor meinem Expertenrundruf hohe Wetten darauf eingegangen, dass es hierzulande keine Regelung für solche Fälle gibt. Denn sowas wie die Ministergesetzte existiert in Österreich, dem Herzland der freundlichen Geschenkannahme für Amtsträger, Bestimmer und Auftragsvergeber selbstverständlich nicht. Es gibt im Strafrecht einen Passus, der - so Experte Hubert Sickinger - allerdings "nur theoretisch anwendbar" ist, auch weil es einen "bezifferbaren Vorteil als nachweisbare Gegenleistung" benötigt. In der Praxis würden da maximal Fälle klassischer Anfütterung verfolgt, um Kredite von Politikern kümmert sich der hiesige Gesetzgeber genau null.
Soweit, so klar.
Was dann aber mehr als seltsam ist, ist die Tatsache, dass ich in keinem einzigen Bericht in keinem einzigen Medium genau diese Erklärung vorgefunden habe. Und weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ich (und meine Freundin, die sich zufällig genau die gleiche Frage gestellt hat), dass wir zwei die einzigen sind, erlaube ich mir da weiter vorzudringen.
Stellen wir uns den umgekehrten Fall vor. Christian Wulff (und seine Frau) werden anlässlich einer privaten Spritztour beim Rasen auf einer österreichischen Autobahn erwischt und von einem ahnunslosen Polizisten zur Kasse gebeten. Wulff wusste nicht, dass man in Österreich nur 130 fahren darf, weil es in Deutschland ja kein echtes Tempolimit gibt. Der Vorfall findet den Weg in die deutschen Medien.
Die erste Frage, die die stellen würden, wäre die nach der unterschiedlichen Gesetzeslage. Zuerst müssten die deutschen Medien der deutschen Öffentlichkeit die anders gelagerte Situation erklären, dann erst würde eine sinnstiftende Berichterstattung beginnen.
Gut, es gibt einen Unterschied zwischen den Vorschriften zum Tempolimit und denen zu politischer Korrumpierbarkeit: die einen kennt jeder Trottel, die anderen brauchen Fachwissen. Allerdings sind alle Menschen nur genau eine Frage davon entfernt; und die Journalisten unter den Menschen sind die, deren Beruf es ist, diese eine Frage zu stellen und in weiterer Folge auch zu beantworten oder beantworten zu lassen.
Das ist hier auf eklatante Weise nicht passiert.
Es wird so getan, als wäre Wulff einer Sache schuldig, die eh klar ist, allgemeingültiges Recht, zumindest EU-mäßig. Den Grund für die Empörung zu hinterfragen, oder zumindest auszuleuchten, das hat kein einziger Mainstream-Journalist dieses Landes für nötig befunden.
Dabei ist genau das die erste Regel derer, die fürs "Ausland" zuständig sind: die Relevanz für Österreich bzw. das österreichische Publikum reinzubringen. Sonst könnte man ja gleich die Agenturmeldungen copypasten.
Dass genau das geschehen ist, hat nur zum Teil mit der schlechten Medien-Situation zu tun: es besteht auch eine ganz simple Koalition des Nicht-Erklärens zwischen politischer Kaste und Medien/Verlegern.
Gerade weil man sich in gegenseitigen Abhängigkeiten befindet, die - Achtung, Treppenwitz - auch oft über nicht nachvollziehbare Kredit-Vereinbarungen mit politisch beeinflussbaren Banken laufen (und das betrifft nicht nur den Boulevard...) wäre es für so gut wie alle Medien keinesfalls opportun, genau diesen Fall herzunehmen und darauf hinzuweisen, dass die strenge deutsche Gesetzgebung, die den Zweck hat strukturelle Korruption zu unterbinden, eigentlich auch für Österreich ganz fesch wäre.
Gerade weil die Verbindungen zwischen Politik und Verlagen da im Graubereich feststeckt, tut niemand einen Mucks. Die Politik kommentiert die Wulff-Sache nicht einen Millimeter; und die Medien übernehmen die deutsche Sicht und fragen nicht einen Millimeter weiter. Und hoffen, dass sich nicht allzuviele wundern.
So gesehen muss niemand lügen, um etwas unter den Teppich zu kehren. Es genügt, einfach nicht in die Tiefe zu gehen.
Dass sich (bislang) kein einziges Medium von diesbezüglichem Gewicht traut angesichts der Wulff-Sache den Stand der Dinge, was die Diskussion um ein effektives Anti-Korruptions-Gesetz und exakte Anti-Anfütterungs-Bestimmungen und eine weitaus erhöhte Transparenz der Finanzen politischer Amtsträger betrifft, ist vielsagend und beschämend zugleich.