Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "We used to play"

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

21. 12. 2011 - 12:20

We used to play

Interaktive Videos sind so alt wie Darth Vaders Atembeschwerden, aber in letzter Zeit bin ich wieder auf drei sehr schöne Beispiele gestoßen.

Wie das weiße Kaninchen Alice ins Wunderland locken uns Musikerinnen und ihre visuellen Kollaborateure in ihre digitale Welt.

Wann läuft mein National Geographic Abo aus?

Björks "Biophilia"-Streich war wohl der in diesem Jahr meist rezipierte Versuch die Grenzen der Visualisierung von Musik zu erweitern. Ich habe viel gelesen, was "Biophilia" alles kann und sein will, aber ich habe kaum jemanden voll Begeisterung darüber sprechen gehört.

Ich habe gelesen, dass es ein brillanter nicht Welten-, sondern gleich Galaxie-Entwurf ist. Ein mutiges multimediales Werkzeug, dass uns Anreize gibt neu zu überdenken, wie wir das Verhältnis von Natur, Technik und Ästhetik sehen.

Für die einen gleicht "Biophilia" dem mittelalterlichen Entwurf einer Kosmologie. Es ist eine Neuordnung der Dinge, in die man sich einlesen und einfühlen muss. Andere hörte ich raunen über unerträgliche Musik und eine Sammlung von sperrigen Apps, eine zu vage formulierte Einladung, sich auf eine neue Welt einzulassen.

Remember Mad Magazin?

Für kindlich verspielte Gemüter der Beavis und Butthead Generation, zu der ich mich selbstverständlich auch zähle, ist das Video zu Trouble von The D.O.T., der neuen Band von Mike Skinner sehr zu empfehlen.

Erinnert ihr euch noch an den TED, mit dem man bei "Wetten, dass..." in den Verlauf der Sendung eingreifen konnte?
Oder die brillante Fernsehshow "Vier gegen Willi", benannt nach einem niederträchtigen Hamster, den die Kandidaten im Finale jagen mussten. Auch in dieser Fernsehshow konnte man, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, die Geschicke der Kandidaten durch einen Telefonanruf manipulieren. Die Erinnerung an solche Shows muss wohl auch im Hirn des Regisseurs von "Trouble" lebhaft rumoren. Wie sonst kann man sich die Gemeinheiten erklären, die Mike Skinner, Rob Harvey von The Music, seinem Partner bei The D.O.T. und Ghostpoet angetan werden. Das Video wurde in einem Take aufgenommen und das werte Publikum, die Fans, konnten bestimmen, ob jetzt Cheerleader die Bühne stürmen oder Mike Skinner mit einem Wikingerhelm aus Plastik gekrönt wird.

Aus dem Video zu "Trouble"

The D.o.t.

Schon wegen der verzweifelt verstörten Gesichter der drei Musiker zahlt sich dieser eines Alfred E. Neuman würdige Streich in Videoform ebenso wie ein Spaziergang auf der The D.O.T. Seite aus.

Unvergleichbare multidimensionale Schönheit

Experten für unkommentierbare Schönheit sind the Arcade Fire. Tränen der melancholischen Rührung vergoss ich, als ich zum ersten Mal das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, in dem interaktiven Video zu We used to wait gesehen habe. Der Regisseur Chris Milk hat unter Verwendung von Google Maps auf der Seite The Wilderness Downtown einen digital poetischen Moment geschaffen, der niemanden, den ich auf die digitale Reise in seine Vergangenheit geschickt habe, unberührt gelassen hat.

Jetzt bitten uns Arcade Fire auf Sprawl2 zu einem Tanz durch die Suburbs. Mit der Webcam kann man das Bild steuern und mit der im Betonwasteland in wunderbarem Gewand tanzenden Regine Chassagne und ihren Bandkollegen mit haitianischen Masken interagieren. Passivität und Desinteresse führen übrigens in das Fegefeuer eines sich hin und her wiegenden Loops.

Zwei in der Realität unmögliche Treffen werden so inszeniert. Ich tanze mit Arcade Fire und die leere Betonwüste der Vorstadt trifft auf Artefakte aus dem zerstörten Haiti, als würden die alten Götter und Geister der Insel zwischen Parkplätzen, Tankstellen und Einfamilienhäusern zu neuen Leben erwachen.