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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

17. 12. 2011 - 15:14

"Gear-Queer" - die Ausrüstungsbesessenheit

Die meisten Menschen brauchen weder Funktionsjacken, noch Geländewagen, aber sie erwecken den Eindruck von Verwegenheit und verdeutlichen den "postmodernen Spießer".

Es wird langsam kälter in Berlin. Es stürmt, es regnet in Strömen, da wird es Zeit, sich nach einer richtigen Winterjacke umzusehen. Denn die so genannte Übergangsjacke eignet sich ja, wie der Name schon sagt, nur für die schwierige Zeit des Übergangs. Doch ein Winterjackenkauf ist eine hochkomplizierte Angelegenheit.

Eine parkaähnliche Winterjacke kostet schnell mal 300 Euro und betritt man die Out-Door-Welt der Extreme-Kollektionen, mit ihren wasserdichten, dampfdurchlässigen, für extremen Einsatz im Hochgebirge
konzipierten, mit bi-elastischen Powertex- Membranen versehenen, teflon-beschichteten Funktionsjacken sind 400 -500 Euro zu veranschlagen.

Winterjacke mit Pelzkragen

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Schutz und Sicherheit in einer Welt, die aus den Fugen gerät: die Funktionsjacke.

Seltsamerweise sind die Menschen, die von der Notwendigkeit einer Jacke im Wert eines gebrauchten Kleinwagens überzeugt sind, in den allerseltesten Fällen Polarforscher oder Extremsportler. Sie brauchen die Jacke nur für den Weg von der U-Bahn oder dem Parkplatz zum Büro. Aber der Berliner betont gerne das Verwegene seines Charakters - man weiß nie wo es einen so hin verschlägt, wenn man im Berliner Winter das Haus verlässt - und hätte Robert Scott vor 100 Jahren ein "Hooded Flashjacket von Western Mountaineering" mit Supreme-SuperLoft-Füllung, Schutz vor UV-Strahlung und antibakteriellen Nanofasern gehabt - er hätte die Expedition zum Südpol und zurück überlebt.

Buchcover von William Gibsons "Zero History".

Penguin Books

Der Autor von Cyberpunkromanen prägte den Begriff Cyberspace,und spricht in seinem neuen Roman von "gear-queerness".

Für die Tendenz, sich Dinge mit besonderen Funktionen, die man gar nicht braucht, zuzulegen, wurde in dem neuen Roman "Systemneustart" des amerikanischen Autors William Gibson der Ausdruck "gear queer" gefunden , und als "Ausrüstungsbesessenheit" oder "Ausrüstungsgeilheit" ins Deutsche übersetzt.

Vor allem auf den Straßen Berlin Mittes ist diese gear queerness zu beobachten. Dort ist der SUV (Sport Utility Vehicle) also der Jeep, Geländewagen oder Landrover zum Must Have der besserverdienenden Mittelschicht geworden. Warum wollen Menschen mit diesen teuren, schweren, für den Stadtverkehr überdimensionierten, Sprit fressenden, das Klima zerstörenden, meist auch hässlichen Dingern herum fahren?

Wozu braucht man in Berlin Vierradantrieb, großen Abstand von Achsen und Karosserie zum Boden, außen angebrachte Ersatzreifen, Bullenfänger wenn man nicht gerade zufällig Landarzt, Förster oder Bauer ist? taz-Autor Ulrich Gutmair hat das Phänomen wie folgt analysiert:

"Wer heute in der Stadt Geländewagen fährt, ins Büro oder zum Shoppen oder um die Kinder von der Schule abzuholen, gibt vor in Wirklichkeit auf einer, wenn nicht gefährlichen, dann doch zumindest mühseligen und entbehrungsreichen Mission mit ungewissem Ausgang zu sein. Der Geländewagen ist ein Zeichen, das ein wildes Image vermittelt, ganz so, als seien seine Fahrerinnen und Fahrer außerhalb ihrer Büros, Praxen oder Agenturen ganz besonders lockere und außerdem abenteuerlich gesonnene Leute".
Gutmair sieht in dem antibürgerlichen Habitus des Geländewagenfahrens, nichts als "die Camouflage des postmodernen Spießers".

Geländewagen auf einer Forststraße

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Unnötig wie ein Kropf doch ein Must-Have in manchen Berliner Bezirken: Der SUV

Soziologisch betrachtet ist das Phänomen der "gear queerness" wohl aus dem Bedürfnis enstanden in einer aus den Fugen gehenden Welt authentisch funktionales Equipment benutzen zu können, um sich gewappnet und beschirmt zu fühlen. So kann auch eine Polarjacke im Berliner Winter Schutz und Sicherheit verleihen. Glücklicherweise werden die Zauberjacken in den Berliner Kaufhäusern als günstige Nachbauten für ein Fünftel des Preises angeboten.