Erstellt am: 20. 12. 2011 - 13:00 Uhr
Das mit den Batterien...
„Wir sprechen hier von einer der ärmsten Regionen Boliviens. Kein Strom, kein Gas, kein Wasser. Und das in einem der rohstoffreichsten Länder dieser Erde.“ In seinem kleinen Büro in La Paz bringt Evert Villena, Sprecher der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL, die Tatsachen auf den Punkt. 550 Kilometer weiter südlich glitzert das Salz in der grellen Sonne. Der Wind fegt es über die Weiten der Einöde. Am Horizont zeichnen sich die Silhouetten vereinzelter Berge ab. Der Salar de Uyuni. Gigantisch liegt der Salzsee inmitten der Anden. Er erstreckt sich auf einer Fläche von über 10.000 Quadratkilometern, ist 25 mal so groß wie Wien. Und er birgt einen wertvollen Schatz: Lithium.
Energiewende
Die Welt, so glauben viele, stünde vor einer Energiewende. Das Erdöl wird allmählich knapp und der Ruf nach höherem Umweltbewusstsein laut. Lithium wird inzwischen als einer der wichtigsten Rohstoffe der Zukunft gehandelt. Das Leichtmetall ist die Basis für leistungsstarke Akkus, die bald auch in unzähligen Elektroautos zum Einsatz kommen könnten. Schon jetzt findet man sie in Notebooks, Mobiltelefonen und MP3-Playern.
Bolivien glaubt, den Geist der Zeit erkannt zu haben. Nahe des kleinen Dorfes Río Grande, am Rand des Salar de Uyuni, befindet sich eine Pilotanlage. Das Labor darin wirkt steril. Proben aus dem Salzsee und Reagenzgläser stehen auf den Tischen. Im Nebenraum mischen junge Wissenschaftler die Proben mit Wasser, um aus der Flüssigkeit neue Erkenntnisse über den Lithium-Gehalt im Salar zu gewinnen. Ein paar Kilometer von der Pilotanlage entfernt liegen die Lithiumbecken. Türkisblau leuchtet die Flüssigkeit unter der Sonne. Lastwagen bewegen sich über den kargen Boden des Salzsees. All das ist nur der Beginn eines ehrgeizigen Projekts. Das Lithium soll den Bolivianern ihre Ehre zurückgeben.
Hanna Silbermayr
Hundert Prozent bolivianisch
Der Andenstaat ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, beinahe 70% der Bevölkerung leben in Armut. Unter der Schirmherrschaft der USA haben ausländische Unternehmen Bolivien in der Vergangenheit in den Ruin getrieben. Jahrzehntelang wurden die unzähligen Bodenschätze des Landes lukrativ ausgebeutet, Geld dafür sah der Staat aber kaum. Als Evo Morales 2006 ins Parlament in La Paz einzog, versprach er, diesem Ausverkauf ein Ende zu bereiten. Die natürlichen Ressourcen des Landes gehörten dem bolivianischen Volk, sagte er während seiner Antrittsrede. Und die Erträge, sollten den Menschen im Land zu Gute kommen. Noch im selben Jahr wurden die Erdöl- und Erdgasindustrien unter Beifall der vornehmlich indigenen Bevölkerung verstaatlicht. Drei Jahre später verabschiedete man eine neue Verfassung. Darin verschreibt sich der Staat einer pluralistischen Wirtschaft. Diese vereint unterschiedliche Wirtschaftsmodelle und steht unter sozialer Kontrolle. So auch im Fall des Lithiums.
Hanna Silbermayr
Im Salar de Uyuni vermutet man die weltweit größten Vorkommen des begehrten Leichtmetalls. Über 100 Millionen Tonnen davon sollen sich laut bolivianischen Nachforschungen im Salzsee befinden, das wären ganze 70% Weltanteil. Diese sollen aber nicht, wie so oft in der Vergangenheit, von multinationalen Konzernen industrialisiert werden. Bolivien will von dieser Ressource selbst profitieren und so die bittere Armut im Land bekämpfen. „COMIBOL gehört dem Staat. Das bedeutet, dass es Geld für Sozialprojekte in der Region und später in ganz Bolivien geben wird“, erklärt Evert Villena.
Noch steht Bolivien am Anfang der industriellen Gewinnung von Lithium, spätestens Ende 2014 aber soll die Produktion von Lithium-Karbonat in großen Mengen von bis zu 30.000 Tonnen pro Jahr starten. Das Konzept der bolivianischen Regierung ist ausgeklügelt. Ausländische Unternehmen sollen zwar als Partner auftreten und bei der Industrialisierung des Salar de Uyuni mit Wissen und Technologie helfen, die Weiterverarbeitung des Lithiums zu Batterien muss aber im Andenstaat stattfinden. So will man sicherstellen, dass der Großteil der Einnahmen aus dem Salzsee im Land bleibt. Die Verhandlungen mit dem Ausland gestalten sich dabei teilweise schwierig, da nur wenige die Bedingungen Boliviens voll und ganz akzeptieren wollen. Dennoch wurden etwa mit Japan, Brasilien, Iran, Südkorea und kürzlich auch China Vereinbarungen über eine zukünftige Zusammenarbeit unterschrieben. Evert Villena ist auf alle Fälle sicher, dass das Konzept erfolgreich sein wird.
Hanna Silbermayr
Hoffnung der Armen
Eine halbe Stunde Autofahrt vom Salzsee entfernt sitzt der 40-Jährige Damaico auf einer der Bänke der Plaza im Zentrum von Uyuni. Gedankenverloren starrt er auf seine schmutzigen Hände. Immer wieder überqueren Touristen den Platz. Der Ort ist erste Anlaufstelle, wenn man Touren im Salzsee unternehmen will. Den Mann auf der Parkbank würdigen die Wenigsten eines Blickes. „Ohne den Tourismus ginge es der Stadt noch schlechter“, glaubt Damaico. Er ist in Uyuni aufgewachsen, hat den Ort selten verlassen. Zur Schule ging er nur kurz, selbst beim Buchstabieren seines Namens hat er Probleme. Manchmal findet er Arbeit am Bau, doch nicht immer wird seine Arbeitskraft gebraucht. „Man muss alles machen können, dann lässt es sich hier einigermaßen leben.“ Und das Lithium? Seine Augen beginnen zu leuchten. „Das ist das mit den Batterien, oder?“ Worum es geht, weiß er nicht genau. Aber er hofft, dass ihm der Rohstoff Arbeit verschaffen wird.
Auch in Río Grande ist die Hoffnung groß. Die Bewohner des Dorfes leben vornehmlich von der Salzproduktion. Diese aber liegt während der Regenzeit still und die Männer versuchen, anderswo Arbeit zu finden. Damaico und die Menschen in Río Grande sind nicht die einzigen, die ihre Hoffnung in das staatliche Projekt des Lithium-Abbaus setzen. Vor sechs Jahren war es vor allem die ärmere Bevölkerungsschicht, die Evo Morales zu einem fulminanten Sieg in den Präsidentschaftswahlen verhalf und ihn drei Jahre später im Amt bestätigte. Überall in Bolivien findet man Wandmalereien, die von diesem breiten Vertrauen in den indigenen Präsidenten zeugen.
Hanna Silbermayr
Gefährdete Lebensstrukturen
Dennoch sind nicht alle vom Vorhaben der Industrialisierung des Salar de Uyuni überzeugt. Die bolivianische Regierung verspricht, dass neue Straßen gebaut, Wasserleitungen verlegt und Strom in die Region um den Salar gebracht werden würden. Obwohl diese Infrastruktur vornehmlich zur Verwirklichung des staatlichen Projekts benötigt wird, profitiere die Bevölkerung um den Salzsee davon, macht Evert Villena deutlich. Genau hier liege aber das Problem, glauben Kritiker. Jeffrey Jenkins von der University of California hat eine Studie verfasst, die sich mit den Auswirkungen der Industrialisierung von Rohstoffen auf die Umgebung des Salzsees befasst. Die Ergebnisse sind teilweise ernüchternd. Die industrielle Gewinnung von Lithium im Salar de Uyuni könnte zu massiven Veränderungen der regionalen Wirtschafts- und Lebensstrukturen führen. Die Bevölkerung in der Region um den Salar lebt vornehmlich vom Salzabbau, der Quinoa-Produktion, der Lama-Zucht und dem Tourismus.
Hanna Silbermayr
Da für den Lithium-Abbau große Mengen an Wasser gebraucht werden, könnte es zu einem Wassermangel in der herkömmlichen Quinoa-Produktion und der Lama-Zucht kommen. „Das würde die regionale Wirtschaft massiv stören und könnte die Kluft zwischen global ausgerichteten und regional agierenden Unternehmen vergrößern“, erklärt Jeffrey Jenkins. In Folge würden viele Bauern in andere Regionen des Landes abwandern, was wiederum Auswirkungen auf die Lebensstrukturen rund um den Salar de Uyuni hätte. Das Gebiet würde sehr rasch globalisiert werden, die Menschen könnten mit diesem schnellen Wachstum womöglich nicht mithalten und würden erst recht in die Armut getrieben.
Hanna Silbermayr
Dennoch liegt die gesamte Hoffnung der Menschen in der Umgebung des Salzsees auf dem Präsidenten und seinem ehrgeizigen Vorhaben. „Evo Morales ist ein guter Mann, der beste Präsident, den dieses Land haben kann. Durch ihn wird es uns besser gehen, er wird uns Arbeit bringen.“ Wieder durchzieht ein Leuchten die Augen Damaicos. Er hat nicht viel zu verlieren, es kann nur besser werden, glaubt er.