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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 12. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 229.

Occupy Sportrechte-Irrsinn.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Exkurs zum Thema Sportrechte und warum da komplexe Zusammenhänge plötzlich auf echtes Interesse stoßen.

Ich bin hin und wieder Teil einer kleinen Überland-Roadshow. Im Rahmen seines Public Value-Auftrags konfrontiert die öffentlich-rechtliche Anstalt dieses Landes Macher und Konsumenten in sogenannten Publikums-Gesprächen. Zu Themengebieten wie Information, Unterhaltung, Kultur oder Sport werden da regelmäßig, immer in einem anderen Bundesland, 50 thematisch Interessierte (demographisch korrekt) zufallsausgewählt und geben einer bunt gemischten Truppe von Fernseh-, Radio-, Online-Menschen sehr direktes Feedback.

Das sind meist Menschen ohne jede Vorbildung zum Thema Medien und fast immer ohne jede Kenntnis der medienpolitischen Zusammenhänge, allerdings auch fast immer Menschen, die (im Gegensatz zur professionellen und gesteuerten Kritik) ganz ohne böswilligen Unterstellungswillen in ihre Argumente gehen, was die Sache sehr interessant macht.

Diese Woche gabs wieder so ein Aufeinandertreffen, diesmal zum Thema Sport. Es war einen Tag nach der Ankündigung, dass sich der ORF wesentliche Ski-Weltcup-Rechte gesichert hatte und am Tag als ATV bekanntgab, sich die Rechte für die WM-Quali-Auswärtsspiele gesichert zu haben.
Beide Themen kamen nicht vor.

ÖSV bleibt, ÖFB-Auswärtspiel geht, Sauerland ist raus

Die Sorgen des Publikums kreisten um einzelne Co-Kommentatoren im Fernsehen und um große und ewige Fragen wie "Mehr Emotion" oder "Weniger Nationalismus", um die Wien-Lastigkeit oder um die Überrepräsentanz größerer Sportarten.
Es gab aber auch (wir waren in einer extrem sportinteressierten westlichen Landeshauptstadt) ein paar recht gezielte Nachfragen nach New Media-Tools.

Im Briefing davor hatten sowohl die Medienforscher als auch die Public-Value-Verantwortlichen den am Podium anwesenden Programm-Menschen eingeschärft, dass Sager der Marke "Ich würd' das ja eh gern, aber der Chef lässt mich nicht." auch dann, wenn sie wahr wären, nicht sehr effektiv sind. Schließlich ist den Nutzern das Arbeitsleid durchaus zurecht egal.

Irgendwie drehte sich der Q&A-Teil der Veranstaltung dann aber doch auch schwerpunktmäßig um die eingeschränkten Möglichkeiten, denen vor allem die Sportberichterstattung aktuell unterliegt.

Über Beschränkungen und Business-Modelle

Das beginnt bei einem von vier Parlamentsparteien getragenen ORF-Gesetz, dass Sport-Streams nur 24 Stunden lang zulässt, Archiv-Funktionen beschränkt, Ticker-Services oder vermehrte Aktivitäten in Social Networks untersagt, Sportarten bewertet und so bestimmt, was in ORF eins und was in ORF Sport Plus ausgestrahlt werden darf und was nicht; und das nicht im Sinn des Nutzers, sondern als Resultat einer gezielten Lobby-Arbeit der Verleger und Privat-TV-Interessen.

Und es endet mit der großen Problematik rund um die Sport-Rechte. Die Geschichte, die der TV-Sportchef über die jüngsten Verhandlungen mit der Verwertungsagentur die die Rechte auf die Auswärtsspiele des ÖFB-Teams in der WM-Qualifikation hat, erzählen konnte, spricht für sich. Die Agentur verlangte für die fünf Spiele den (im Vergleich zur EM-Quali) doppelten Preis und junktimierte den Verkauf mit zwei anderen Deals. Mit im Paket: zehn Testspiele der brasilianschen Nationalmannschaft und ein Box-Paket des deutschen Sauerland-Stalls. Vor allem letzteres ist unakzeptabel. Vor allem, weil man sich verpflichtet diese Halbwelt-Fight-Shows auszustrahlen.

Warum das freie Training gar nicht so frei ist

Denn dabei handelt es sich nicht um Kann-, sondern um Muss-Deals, genau wie es Ecclestone ind er Formel 1 macht. Die Anstalten, die auf die Deals eingehen, müssen etwa die diversen Trainingssessions übertragen. So machen's mittlerweile alle, von Champions League bis zu irgendwelchen windigen Mafiosi-Typen, die über seltsame Kanäle Rechte an irgendwelchen Vereinen halten, auf die man in der Euro-League-Quali schon einmal zweitrundentechnisch treffen kann.

Mittlerweile ist es der Hauptjob des Sportchefs sich um diese Deals zu kümmern. Und auch vor den anderen Medien macht die Hysterie um die immer dubioser werdende Rechte-Zockerei nicht mehr halt. Der aktuell umkämpfte Markt ist der Online-Stream. Das Clasico Real gegen Barca etwa ist mittlerweile kaum noch bezahlbar. Die Rechte auf einen nachträglichen Zehn-Minuten-Ausschnitt kosten 20.000 Euro, eine Summe um die man zwei Hand- oder Volleyball-Live-Übertragungen selber produzieren kann.

Aber auch bei den Radio-Rechten wird es enger. Der Ö3-Kollege erzählte von einem Auswärts-Europacup-Fall, bei dem er nicht ins Stadion durfte (man verlangte kurzfristig eine hohe Dollar-Summe...), weshalb er seine Radio-Liveeinstiege aus dem Hotelzimmer und mit dem lokalen TV-Angebot bestreiten musste (und keiner hat's gemerkt...).

Überteuert, übersteuert, überhysterisiert

Irgendwann meinte einer der Besucher, die sich recht intensiv an der Diskussion beteiligte, ob man diese Sperenzchen um überteuerte Rechte nicht auch im Zusammenhang mit der hysterischen Finanz-Blase sehen könnte. Auch hier würden doch Luftgeschäfte gemacht, auch hier wäre die Gier doch ein Hauptantrieb.

Und natürlich hat er recht: die Blase der windigen Sportrechte-Checker, die sich personell im Dunstkreis großer Sportverbände bewegen (also strukturell korrupt sind), mit mafiösen Praktiken operieren oder einfach nur alte monopolistische Strukturen nutzen (egal ob das im postkommunistischen Osten oder im kryptokapitalistischen Westen ist) kann es nur bis zu einer gewissen Grenze treiben. Olympische Spiele, die nur im Pay-TV zu sehen sind, werden sehr schnell nicht mehr das identitässtiftende Sport-Ereignis Nummer 1 sein; Pimperlbewerbe, die sich an begrenzten Bezahl-Streams verkaufen, werden Special-Interest-Veranstaltungen ohne Zuschauer-Interesse.

An manchen Fronten (vor allem abseits des sogenannten Premium-Sports) bröckeln die Preise bereits, und viele Geschäftsmodelle mit Sport-Kanälen rechnen sich bereits jahrelang nicht wirklich.

Neues Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen

Das neue, heuer durch den Protester vorangetrieben Wissen um die substanzlose Strategie der Wirtschaftsmächtigen, hat Nutzer hervorgebracht, die wesentlich interessierter auch an ökonomischen Zusammenhängen in Bereichen sind, die sie nicht so sehr betreffen. Das hat sich in dieser und den darauf folgenden Wortmeldungen manifestiert. Und das ist gut so.

Es würde ihn, sagte später ein Nutzer, zwar auch weiterhin in erster Linie ein ihm entsprechendes Programm interessieren, ganz unabhängig davon wie es zustandekäme. Aber das Wissen um die Hintergründe, die entsprechenden Troubles und die Zusammenhänge sei schon durchaus erhellend. Und würde einiges erklären.

Und so kam es, dass im Dezember '11 die erste zufällige Menschengruppe der Publikums-Gespräche tatsächlich einen Zusammenhang zwischen ihrem Medienverhalten und den ökonomischen Verhältnissen herstellen konnte.
Noch dazu die mit dem Interessensgebiet Sport, der man ja eher weniger Schläue zutraut; die Kultur-Gruppe im Herbst, noch dazu die in der Kulturlandeshauptstadt schlechthin, war dazu noch nicht in der Lage.

Es wird sich keine Occupy Sportrechte-Irrsinn-Bewegung daraus entwicklen, klar. Aber es hat mir gezeigt, dass die Vertiefung, vor der so viele Mächtige so viel Angst haben, dass sie sie (auch per gesetz) aus den Medien raushalten wollten, dem stinknormalen Nutzer auch Spaß machen kann.