Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Wimpern aus Gras""

17. 12. 2011 - 14:03

"Wimpern aus Gras"

Der Roman von Ruth Johanna Benrath wirft die Frage auf, wie gut wir Menschen, die uns nahestehen, wirklich kennen. Der Tod wird hier zum Auslöser einer Suche nach verlorener Freundschaft und Liebe.

"Wimpern aus Gras" von Ruth Johanna Benrath ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Von Rebecca Truska

Zehn Jahre sind vergangen, seit die Freundinnen Anna und Rena gemeinsam in der Wiese gelegen sind und Wolken beim Vorbeiziehen beobachtet haben. Anna ist tot.

"Annas Passbild liegt in Renas Hand wie eine Oblate, nur nicht rund. Die Schnittkanten des Fotos sind scharf, als wäre es eben frisch aus dem Automaten gekommen, aber die Farben sind verblasst und rotstichig."

Buchcover "Wimpern aus Gras"

Suhrkamp Verlag

Rena hat durch einen Brief von Annas Ehemann aus Amerika vom Selbstmord ihrer Freundin erfahren. Kurz danach ist auch ein Paket aus Amerika angekommen - das Tagebuch ihrer Freundin:

"Annas gestochen scharfe Schrift hätte Rena unter tausenden erkannt. Die Schreibfeder ihres Füllers war so spitz wie eine Nadel. Für ihre Stifte benutzte sie immer eine längliche, silbrig schimmernde Blechdose, in der ihr Vater früher Zigarillos aufbewahrt hatte. Anna war in solchen Dingen sehr beharrlich."

Rena beginnt eine detektivische Aufarbeitung ihrer Freundschaft zu Anna. Was hat sie als Kinder verbunden? Was ist aus dem Menschen geworden den ich so gut zu kennen glaubte? In schnell wechselnden Szenen portraitiert „Wimpern aus Gras“ zwei Frauen, die sich einmal nahestanden, deren Wege aber längst auseinandergegangen sind.

"Jedes Mal wenn Rena sich hinsetzt, um Annas Mann ihr Beileid auszudrücken, fällt es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. She was a good friend of mine. She was not my best friend, but a close one. She was one of my better friends. She was quite a good friend."

Während Rena nach der Schule ein Studium in Deutschland beginnt und einige unzufriedenstellende Beziehungen durchlebt, führt Anna ein bewegtes Leben in Paris und Rom. Der Kontakt zu ihrer Freundin Rena erlahmt, aus regelmäßigen Briefwechseln werden vereinzelte Postkarten. Bald haben sich Anna und Rena nichts mehr zu sagen.

„Wenn Du wieder schreibst, schreib interessantere Briefe, auch wenn sie wehtun.“

In Italien lernt Anna einen amerikanischen Professor kennen, Reiko. Nach nur wenigen Wochen Beziehung heiraten sie und Anna zieht zu ihrem Mann nach Texas. Es ist Annas erste Beziehung und sie möchte alles richtig machen, die perfekte Frau für den perfekten Mann sein. „Wenn die Menschen sich verlieben, beginnt die Angst den anderen wieder zu verlieren und der Druck auf sich selbst steigt.“, so die Autorin Ruth Johanna Benrath im FM4-Interview. Anna kann die eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Verzweifelt versucht sie schwanger zu werden und auch die feine Gesellschaft, in die sie sich einfügen soll, ist ihr zuwider. Der prachtvolle Garten, den Reiko für sie angelegt hat - mehr Belastung als Freude. Anna schlittert in eine Depression.

"Anna lag immer noch auf dem Rücken. Dumm, dass es so schwer ist, unter Wasser zu bleiben. Ein Fisch sein. Sich da unten umschauen. So lange wie man will. Anna ließ sich nach unten sinken. Ich bin nicht schwer genug."

Nur wenige Wochen später ist Anna tot. Ihr Mann Reiko möchte alles über seine verstorbene Frau herausfinden, um ihr kurzes gemeinsames Glück, an das er noch immer glaubt, bestätigt zu wissen. Die Bestätigung des Glücks will er auch von Rena hören - also reist er nach Deutschland. Aber das Treffen verläuft nicht, wie die beiden es sich erwarten.

„Wimpern aus Gras“ erzählt vom Drang zweier Menschen die Lücke zu füllen, die entsteht, wenn jemand stirbt - und auch die eigene Rolle zu finden, die man im Leben des Verstorbenen gespielt hat. Das versuchen auch Rena und Reiko. Allerdings sind die Beweggründe für ihre detektivische Analyse nicht überzeugend. Die Erzählperspektive springt rasant zwischen den Charakteren und Schauplätzen. Ruth Johanne Benrath erzählt die Geschichte von Anna, Rena und Reiko wie ein Puzzle. Diese Montagetechnik erschwert aber das Kennenlernen der Charaktere. So bleiben leider zu viele Fragen offen.