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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

18. 12. 2011 - 11:54

"Der Kanal"

Der Debütroman vom britischen Autor Lee Rourke ist eine intensive London-Story.

The Man, the Woman and the Swan

"Sie watete im Regen zu mir herüber; der Schwan hing schlaff in ihren Armen. Ihre Kleider waren klatschnass, und ich konnte die Konturen ihres mageren Körpers sehen. Das Haar klebte ihr im Gesicht. Wasser lief ihre Wangen hinunter. Entschlossen, den Schwan aus dem Wasser heraus in das, was sie für Sicherheit hielt, zu bringen, fand sie schnell das Gleichgewicht wieder."

Buchcover "Der Kanal"

Mairisch Verlag

"Der Kanal" von Lee Rourke ist beim Mairisch Verlag erschienen. Übersetzung: Roberta Schneider

Ebenfalls von Lee Rourke:
"Everyday" Kurzgeschichten aus dem Herzen von London. Social Desease Books, 2007.

Ein junger Mann in London beschließt eines Tages nicht mehr zur Arbeit ins Büro zu gehen. Stattdessen setzt er sich morgens auf eine Parkbank. Am Regents Canal läst er sich nieder, im zentralen Norden von London, an jener alten Wasserstraße in den Stadtteilen Islington und Hackney. Auch am nächsten Tag tut er das. Ein geheimnisvolles Mädchen setzt sich neben ihn, starrt auf ein Gebäude in der Nähe. Er kommt wieder, jeden Tag, und auch sie. Nein, hier nimmt nicht etwa eine nette kleine Liebesgeschichte ihren Anfang, sondern eine Story fast schon von der Größe eines Albert Camus oder gar JG Ballard. Banksy sprühte die Graffities, der 38er Bus fährt von Victoria Station nach Hackney Central, und wie es sich für ein gutes London-Buch gehört, darf auch die Popmusik nicht fehlen.

'Nein ... Ich will über Jonathan Richman reden.'
'Über wen?'
'Er ist Musiker. The Modern Lovers ... Das, was als allererste moderne Punkplatte angesehen wird, ist von ihm ...'
'Aha. Wie heißt sie?'
'
Roadrunner. Es ist mein Lieblingslied. Hast du ein Lieblingslied?'

Nein, das geheimnisvolle Mädchen im dünnen weißen Kleid und mit schwarzlackierten Zehennägeln in den Flip-Flops hat eigentlich kein Lieblingslied, und - ich muss euch vorwarnen - dieses geheimnisvolle Mädchen in Lee Rourkes "Der Kanal" stirbt schließlich.

Du musst mir von deinen Träumen erzählen

"Der Bus kam nur wenige Zentimeter vor ihr zum Stehen. Jeder in der Essex Road hatte aufgehört, das zu tun, womit er gerade beschäftigt war, alle sahen nur noch sie, wie sie mitten auf der Straße stand. Sie fing an zu lachen und lief auf die andere Straßenseite."

jonathan rourke neben einem gelben ledersofa

Mairisch Verlag

Die Hektik der Großstadt. Die Stille am Kanal, dessen Wasser zu stehen scheint. Die Langeweile und das Hamsterrad des 9-to-5-Jobs. Jugendgangs. Migranten. Kindheitsträume. Altersarmut. Die U-Bahnanschläge vom Juli 2005. Der Shoreditch Park in Hoxton und einWG Zimmer direkt unter der Flugschneise nach Heathrow. Das und noch viel mehr packt Lee Rourke hinein in "Der Kanal". "Vom Leben in der britischen Hauptstadt" könnte Rourke sein Buch auch nennen, ist es doch ein Guide durch das London der Gegenwart, das aber auch vom Vergangenen der Stadt und seiner Menschen erzählt und dabei nicht auf die Zukunft vergisst.

"Wie alles sein würde, wie wir sein würden, wie alles aussehen würde... Ich blieb stehen und wartete darauf, dass sie die Straße überqueren und zum Kanal hinuntergehen würde. Sie schien wie erstarrt, als wäre jedes Qäntchen Enegrie aus ihr gewichen. An uns rollte der Verkehr vorbei."