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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 12. 2011 - 15:25

Journal 2011. Eintrag 226.

Frau Weisband und die zunehmende Unmöglichkeit sich politisch zu engagieren.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute wieder einmal mit einer kleinen Piraten-Schnurre. File under: Marina Weisband, Harald Schmidt, Justin Beavis & Butthead, Occupy, Timoshenko, Nachtstudio.

Und so sieht Marina Weisband ihre Reduzierung auf ein Klischee selber.

Der Typus Höhere Tochter, der schon zu Schulzeiten immer einer die Tasche nachträgt.
Kennt ihr? Kennt ihr.
Kenne ich nur theoretisch, nicht praktisch, weil ich mich an kein Schulbeispiel erinnern kann.

Harald Schmidt kann. Und weil er seine Gags nicht macht, weil sie gut sind, sondern weil er kann, macht er den Tasche-Nachtrag-Gag.

Schuld daran sind zwei Zufalls-Gäste in einer Schmidt-Show letzte Woche, die zur Talk-Show-Simulation auf die Bühne geholt wurden, zwei Schnösel, früher hätte man sie Popper genannt, des einheitlichen Justin Bieber-Haarschnitts wegen, Studienanfänger, denen der Berufswunsch „Papas Praxis“ aus den Poren quillt.
Die versuchten sich in maximal dreiwortigen Puns, um so Oldie Schmidt, dessen Show-Besuch im Köln-Kurztrip inkludiert ist, zu zeigen, was jugendlicher Witz ist.

Obwohl dabei nicht mehr als Pennäler-Humor Marke Beavis/Butthead herauskam (die anderen stinken einfach), fühlte sich der Satire-Godfather bemüßigt die Burschis auszukontern.

Warum Piraten einfach nicht gut riechen dürfen

Als sie beim Anblick eines Fotos der Dreier-Vorstands der Piraten den „Die müssen in der Mensa alleine essen!“-Scherz gemacht hatten, setzte Schmidt noch einen drauf: „Ja, und die da sieht so aus, als ob…“

Es folgte der bewusste Taschen-Gag und seitdem ist keine Ruhe.

Dutzende Interessenten drehen seither an dieser Aussage, und so hat sie einen veritablen medialen Spin zur Folge, der diese Woche einen Höhepunkt findet: die Höhere Tochter kommt selber zu Gast. Jede Wette, dass entweder sie selber oder Schmidt bei ihrem Auftritt den Taschetrage-Gag auch optisch umsetzen werden.

Genau dieser Spin ist das Interessante an dieser Nichtigkeit.

Zum einen, weil er die „Neuen“, nämlich die Piraten betrifft; und weil hier wieder einmal versucht wird, einer (wie Occupy) ganz bewusst gesichts- oder zumindest ikonenlosen Bewegung eins/e zu verpassen; medienseits.

Zum anderen, weil der gesamte Aufbau die Schwierigkeit (bis Unmöglichkeit) von politischem Engagement im Zeitalter massiv und absichtlich angekratzter demokratischer Werte zeigt; und von der Zusatz-Schwierigkeit in diesem System auch noch eine Frau zu sein.

Warum der mit dem Haarkranz einer die Tasche nachträgt

Die Tasche-Nachtrag-Tochter, die höhere, heißt Marina Weisband. Sie ist politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, nicht aber eines der 15 Mitglieder des Abgeordnetenhauses Berlin. Trotzdem bekam sie, vielleicht aufgrund ihrer nunmehrigen Teilnahme an der sogenannten Bundespressekonferenz, einiges an medialer Aufmerksamkeit.

Dafür sorgt auch ihr geflochtener Haarkranz, der natürlich sofort Assoziationen mit der ukrainischen Reform-Politikerin Julia Timoshenko auslöst.

Weisband entstammt einer ukrainisch-jüdischen Familie, kam im Alter von sechs Jahren nach Deutschland und war in der Schule gleich vielfach außen vor: Sprache, Religion, Interessen. Dass sie ihre Heimat am ehesten im Internet sieht ist aufgrund ihrer Biografie nicht unlogisch.

So weit, die Brüchigkeit dieser Biografie zu untersuchen, kommen aber die wenigsten derer, die das sollten. Die Zuordnung erfolgt - wie weiland beim Frühmenschen - über das erste Bild, das durch Instinkt und Erfahrung sofort eine Reaktion zugeordnet bekommt. Das ist für die Nachkommen der Höhlenbewohner immer noch recht und billig, für die Rezeption von Politik allerdings einen Deut zu wenig.

Wer da nur dem ersten Blick traut, der darf sich getrost als bereits gefickt betrachten.

Nonchalance und Ironiefähigkeit als politische Tugend

Nun darf Satire natürlich immer alles, auch ihre von Zufall missgeleitete Söhnchen-Variante. Und natürlich ist Schmidts Assoziation als Gag legitim.

Der ist ja auch nur deshalb interessant, weil sich daraus etwas bewegt. Kurz nach den kleinen Rülpsern kamen natürlich diverse Anmerkungen dazu über die digital-sozialen Kanäle, von Piraten, Unterstützern und auch anderen; und sie waren nicht beleidigt, sondern sanft. Selbst Weisband selber antwortete mit einem ironischen „Ich wünscht' es wär so gewesen“-Scherz um danach, doch ein wenig um das Anerkennen ihrer Biographie bemüht, Zuschreibungen geradezurücken.

Gerade diese recht sanften Reaktionen in Bereichen, wo die alten Parteien sofort grell aus allen Rohren geschossen hätten (die CDU etwa stinkt sicher nicht, ohne sofortige Strafe der entsprechenden Reaktion), löste dann anderntags eine etwas unsichere, fast verschämte Fortführung des Gags aus.

Nonchalance als politische Tugend – das kommt unerwartet. Zwischenzeitlich gerieten auch die Piraten-Statements für die Satire-Sendung „Heute-Show“ zu einer selbstironischen Einkehr. Diese Gelassenheit führt dann folgerichtig zur aufklärenden Einladung in die Schmidt-Sendung für diese Woche.

Schrille Meerweibchen, die keinen abgekriegt haben

Die Lehren aus diesem kleinen Vorfall sind dennoch andere.
Solange sich die Medien nicht mit der Entpersonalisierung moderner fluider Politik abfinden wollen, müssen sie gefüttert werden. Im ZDF-Nachtstudio zum Thema Empört Euch! etwa saß neben dem Piraten Nerz auch eine sichtbar werdende Occupy-Delegierte.

Trotzdem ist gerade Weisband da einer großen Gefahr ausgesetzt und muss aufpassen, nicht als neue Sarah Wagenknecht durchs mediale Dorf getrieben zu werden, abgeschnitten von politischen Willenskundgebungen reduziert auf die Rolle als mythisches Meerweibchen am Bug der Piraten-Galeone:

Dass es selbst bei den Piraten dazu kommt ist eigentlich absurd, aber folgerichtig. Denn: als Frau politisch aktiv zu sein/werden läuft in unserer Kultur immer noch eher untr Denk- und Handlungsanleitungen der Marke „Schrill und nervtötend“, „Gluckige Mutti“, „Hat keinen abgekriegt“. In diese Schubladen ordnen nicht nur Pennäler und Satiriker die Politfrauen ein - das tun wir schon alle.

Die So-doof-sind-unsere-Politiker!-Maschinerie

Wenn dazu noch eine allgemeine So doof sind unsere Politiker!-Stimmung dazukommt, die weder auf den Faktor Engagement noch auf den Faktor Gestaltungsmöglichkeit Rücksicht nimmt, sondern ein pauschales Klischee am Nasenring durch die Arena zerrt, ist die allgemeine Zurücklehn-Kultur natürlich auf dem unaufhaltsamen Vormarsch, wird die Egomanie gefördert und die soziale Verantwortlichkeit weiter ins Bodenlose gedrückt.

Politisches Engagement per se automatisch durch den Spott-und-Hohn-Filter zu betrachten, soziales Engagement als Gutmenschentum zu diffamieren, die Occupisten verarschen, weil sie ihre Gesichter nicht zeigen, die Piraten dann aber genau dafür zu kreuzigen - all das sind doppelzüngige Strategien die direkt ins demokratiepolitische Desaster führen.

Interessanterweise sind das allesamt ganz gezielt gesetzte Medienstrategien gerade der letzten Jahre.