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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 12. 2011 - 20:58

Journal 2011. Eintrag 225.

Studienbeiträge. Ausbildung. Bildung. Das Ende der Tankstellen-Zukunft.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Beitrag zur ewigen Debatte um Studiengebühren.

Die Landeshauptfrau will sich in bundespolitische Position bringen und bemüht die "schweigende Mehrheit", der Kanzler muss von Inseraten und Facebook-Freunden ablenken und wird flexibel, die SPÖ sieht ein mögliches Junktim mit der angestrebten Reichensteuer - und schon begrüßen wir, wieder einmal, die Studiengebühren als Schlagzeilen-Thema.

Das Nicht-mit-uns!-Erbe der Kreisky-Ära hat der SPÖ nichts gebracht - die Jungen, die damit angesprochen werden sollen, sind aufgrund vieler anderer Missgriffe eh nicht erreichbar; also setzt die Kanzlerpartei das Thema jetzt als Verhandlungsmasse ein.
Taktisch schlau.
Denn: Auf die schweigende Mehrheit, die die auch für die Todesstrafe, Didi Constantini oder Musicals ist, auf die ist sowieso Verlass: Gratis-Bildung nein danke! gibt man den Schmarotzern "auf Kosten der Allgemeinheit" eine Dachtel mit.
Und mit den Studierenden-Vertretern als Gegner muss eine Regierung sowieso leben.

Der Markt muss raus aus der Bildungsfrage

Man könnte fast meinen, innerhalb dieses neuen Szenarios würde jetzt sogar sinnhaft, weil kreativ diskutiert: australische Modelle, Danach-Steuern, eh nur für Besserverdiener, alles nach "Wichtigkeit" des Studiums gestaffelt.

Das alles klingt aber nur deshalb so halbklug, dass man kurz verleitet ist sich auf diese Debatte einzulassen, weil es die (trotz aufdräuenden System-Kollapses) immer noch herrschenden Parameter akzeptiert. Unsinnigerweise. Denn das Diktat des Marktes, das schon in der Ökonomie ein reiner Papiertiger ist, hat in der Bildungsfrage genau gar nichts verloren.

So gesehen ist die neue Studiengebühren-Diskussion genauso wertlos wie alle ihre Vorgängerinnen. Ganz abgesehen davon, dass die aktuellen Vorschläge erst in zehn bis mehr Jahren überhaupt greifen würden...
Denn: Wer in der Kategorie "Ausbildung" denkt, wo die Kategorie "Bildung" nötig ist, wird immer nur Systemlöcher stopfen und kann keine sinnstiftende Lösung finden.

Auf Kosten der Allgemeinheit und so

Der entscheidende Faktor ist dass alle Diskutanten (teilweise sogar inklusive der ÖH) von der Philosophie der Universitäten und Fachhochschulen als schiere Ausbildungslager ausgehen; in denen man für einen Job vorbereitet würde, wie der Raich-Benny in Stams aufs Skifahren.

Die Allgemeinheit zahlt den jungen Leuten diese Lehrjahre, damit sie dann einen g'scheiten Beruf haben und es dem Steuerzahler danken; als Lehrer, Arzt oder Jurist.
Schon Psychologen braucht eigentlich keiner, und Archäologen oder andere Orchideen-Sammler will man nur dann, wenn sie Indiana Jones konkurrenzieren.

Das klingt nach verkalkten Jugendromanen aus den 50ern. Aber: Genau so ist auch die neue Debatte wieder ausgerichtet. Auf einem Hans Moser-Niveau an treuseliger Betulichkeit.

Ein Rentabilitätsbild aus den Fifties

Dabei kann jede Studie, jeder Reality Check und jeder Erfahrungswert der letzten Jahre (und da ist es egal, ob das von den Hochschülern, der universitären Forschung oder der Wirtschaft kommt) das exakte Gegenteil bestätigen: dass es nicht die reine Berufs-Ausbildung ist, die den Wert von Hochschulen darstellt, sondern die dort vermittelte Bildung, die Anleitung zu Strukturierung oder die implizite Vermittlung von Arbeits-Praktiken die Werte sind, die die Rentabilität eines universitären Systems ausmachen.

Denn der Zugang zu und die Vermittlung von Bildung sind die großen Beförderer; nicht das weitergeführte schulische System. Ja, bei hochschulischen Berufsausbildungen wie Jus oder Medizin ist das so; teilweise. Schon für den Lehrer-Job reicht es aber eben nicht Wissen reinzupropfen, da ist Pädagogik, Didaktik, Menschenwissen gefragt. Wie auch in den wirtschaft- oder landwirtschaftlichen Bereichen; in den Naturwissenschaften. Und in den Geisteswissenschaften sowieso.

Und jetzt ein Beispiel aus einem unerwarteten Bereich:

Ich will das anhand eines Beispiels aus einem Feld verdichten, wo ich selber immer wieder den Begriff der "Ausbildung" vorbringe: im Fußball.
Dort, in den entsprechenden Leistungszentren und vor allem den Akademien, wird ausgebildet, ganz ohne Umschweife. Kids sollen dort den Job des Fußballspielers beigebracht bekommen.
Diese vor rund zehn Jahren eingeführte Zentralisierung war die gesellschaftliche Entsprechung eines modernen Ansprüchen genügen wollenden Fußballs. Davor wurde informell ausgebildet, nach archaischen, fast tribalen Vorbildern.

Aber nach ein paar Jahren stellten die Vordenker fest, dass das reine fußballerische Ausbilden nicht reicht. Und damit meinten sie nicht die nebenbeilaufende "normale" Schulausbildung, sondern die menschlichen, sportlichen und nicht im klassischen Fußball-Bereich gelehrten Skillz, die der moderne Fußballspieler neben der normalen Ausbildung braucht, um sich als Persönlichkeit zu entwickeln. Da ging es um Bildung, die nicht endzielgerichtet war, sondern Optionen aufzeigte.

Der Hörtnagl-Plan

Alfred Hörtnagl, zuletzt Sportdirektor bei Rapid, jetzt Jugendkoordinator in Fürth, entwickelte ein spezielles Programm für seine jungen Spieler, dass letztlich ein geballtes Angebot von Bildungsmöglichkeiten enthielt. Das ist ein universitäres Angebot en miniature.

Der Grund für diesen Aufwand ist klar: der gebildete Spieler ist der umfassender für die Zukunft gerüstete Spieler als der nur ausgebildete Spieler.

Davon profitiert im Übrigen nicht nur der Ausbildungs-Verein, die künftigen Klubs, die Nationalmannschaft, sondern auch der Mensch hinter dem Spieler, der sich nach seiner Fußball-Karriere im richtigen Leben behaupten muss.

Wer mehr als nur die kompakte Ausbildung bekommen und sich ein umfassendes Package an Tools, Ideen und Wissen erarbeitet hat, wird es da leichter haben. Wodurch dann letztlich auch noch die Gesellschaft profitiert.

Der Ausbruch aus der Tankstellen-Zukunft

Bislang musste die Branche Kicker im Ausgedinge mit Tankstellen, Kantinen-Lizenzen abfinden oder, schlimmer, als Coaches und, am schlimmsten, als "Experten" durchfüttern. Für die Generation Alaba fällt das alles weg. Die wird sich problemlos weitere Felder eröffnen, ganz von selber.

Absurderweise hat also ausgerechnet die Ego-Branche Fußball etwas begriffen, was im Mainstream einer gesellschaftlichen Debatte einfach nicht durchzubringen ist: dass sich die Bereitstellung von Bildungs-Möglichkeiten deutlich besser rechnet als die bloße Ausbildung.

Solange das nicht sickert und die heimische Bildungs-Debatte noch in den alten Tankstellen-Einheiten denkt, ist sie wertlos.