Erstellt am: 12. 12. 2011 - 18:45 Uhr
Hochgradig pure Ekstase
Am Anfang von 100% Silk steht die erste Produktion eines Herren namens Ital: Im Frühjahr 2011 ist die Katalognummer 001 des kalifornischen Labels erschienen, schlicht und pragmatisch nach dem Künstler selbst "Ital's Theme" benannt. Ein minimalistisch knarzendes Stück Acid-Erinnerung, das dem Label und dem Musiker sogleich beste Kritiken eingebracht hat. Ital wird schnell zum Aushängeschild und quasi Mini-Star von 100% SILK.

100% silk
Neben seiner Reinkarnation als Ital werkt Daniel Martin-McCormick, alleiniger Kopf des Projekts, im Duo Mi Ami, das bei der Chicagoer Postrock-Instanz Thrill Jockey veröffentlicht, und als Sex Worker für das Label NOT NOT FUN. NOT NOT FUN aus Los Angeles ist das Mutterschiff des heuer aus den Nebeln von Disko-Ekstase und Oldschool-House geborenen Labels 100% SILK. Auf dem von Amanda und Britt Brown aus ihrem Wohnzimmer heraus betriebenen NOT NOT FUN wird tendenziell dem Noise, dem experimentellen Herumgebastel, dem angepunkten Garagen-Gerümpel und schön summenden Drones gefrönt - große Meisterinnen in der Herstellung erweiterter Bewusstseinszustände wie Pocahaunted, Sun Araw oder die Peaking Lights sind oder waren hier zuhause, auch einige vergleichsweise poppige Acts wie Best Coast und Zola Jesus sind mit dem Label verbandelt.
Dance mit Aszendent Noise
Bei 100% SILK nun, dem Label mit treffend super-sensuellen Namen, soll es Amanda Brown - die selbst unter dem Namen L.A. Vampires spukhafte Dub-Experimente entwickelt - astrein um Dancefloor-Produkte gehen. Weshalb bislang die Darreichungsform "12"-Vinyl" die bevorzugte des Labels ist.
"Wir haben bei NOT NOT FUN immer für alle möglichen Styles die Türen offen gehalten und Veränderungen zugelassen und an ihnen gearbeitet", sagt Amanda Brown, "Richtige Dance-Maxis - und eben nicht bloß von Elektronik beeinflusste Musik - auf NOT NOT FUN zu veröffentlichen, haben wir dann aber doch für einen Schritt zu weit und auch nicht für sonderlich sinnvoll gehalten. Wir wollten einen frischen Beginn und auch sozusagen der Dance- oder DJ- Community, die unser Label bislang - wenn überhaupt - wohl eher mit geringem Interesse verfolgt hat, zeigen, dass wir da mit etwas Neuem am Start sind. "

100% SILK
Die gut 15 Releases - eben nicht gerade wenig - die 100% SILK dieses Jahr in die Regale gestellt hat, sind nahezu alle vergriffen, das Label selbst rangiert in diversen Blogs auf den vorderen Plätzen in der Jahresendbestenlisten.

100% silk
Neben Ital heißen die Acts auf 100% SILK Octo Octa, Magic Touch, die andere Hälfte von Mi Ami, Pharaohs oder Maria Minerva, die mit ihren halluzinogen verhuschten Rumpelkammerpreziosen innerhalb des Label-Rosters wohl noch am ehesten Pop-Crossover-Appeal vorweisen kann, weil bei ihr dann doch noch - wenn auch reichlich verspult und verwaschen - im Songformat gearbeitet wird. Nachzuhören auf den beiden wunderbaren EPs "Noble Savage" und "Sacred & Profane".

Ital
4/4 Beats aus der Garage
Der Rest des Katalogs verlässt sich in erster Linie auf den Rhythmus und durchmisst dabei ein weitläufiges Spektrum des Dancefloors. Neben sprödem Techno und Acid-Gezwitscher gilt es bei 100% SILK französisch inspirierten Filter-House der Schule Daft Punk zu erleben, der auch die Cheesyness nicht scheut, die "Shadow Disco" des Duos Innergaze oder kosmische Ausritte Richtung Krautrock, wie beispielsweise in Pharaohs großartigem "Flutter & Moan".

100% Silk
Gemeinsam ist den Releases von 100% SILK ihr Lo-Fi-Charme und der runtergerockte Punk-Gestus. Hier machen Menschen, die eher vom Krach und vom elektronischen Gezischel und Gebrumme kommen, Tanzmusik mit gerader Bassdrum. Nun ist das zwar nicht neu, aber in den USA immerhin noch eine Seltenheit. 100% SILK steht so in einer noch jungen Tradition von ausgewiesen befreundeten Labels wie DFA oder Italians Do It Better, wenngleich auch bei 100% SILK weitaus puristischer an den Wurzeln geforscht wird. Wir haben es hier aber weder mit einem "ironischen" Electroclash-Zirkus noch einer bloßen Retro-Unternehmung zu tun. Aus den Geistern der Vergangenheit und dem Wissen um die Zukunft entsteht hier eine zwingend den Dancfloor heilende Musik, der man ausnahmsweise tatsächlich "Zeitlosigkeit" unterstellen darf. Don't Call It Hipster-House, wie das manch ganz schlauen Hatern schon eingefallen ist, diese Musik ist nicht bloß Pose und Kostüm, sondern ebenso Ahnung, Wissen, Form, Inhalt, Sexyness, Humor und Style.