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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

11. 12. 2011 - 14:48

Die große Nabelschau

Eine vorweihnatliche FM4 Soundparknacht mit Robert Rotifer, Gerald Votava, Brigitte Bordeaux und einem Luise Pop Liveset.

Der Musikjournalist Steve Sutherland vom Melody Maker hat in den 1990igern eine Bezeichnung geprägt, mit der er einen Teil der großartigen Shoegazer Bands Englands kategorisieren wollte: „the scene that celebrates itself“. Damit ging Steve Sutherland auf die Beobachtung ein, dass Mitglieder vieler Bands bei Konzerten von anderen Acts auftauchten, sich die Konstellationen der spielenden Musiker oft vermischte und statt Konkurrenz gemeinsames Trinken angesagt war. Irgendwie gefällt mir diese Bezeichnung, selbst wenn sie damals vielleicht auch einen negativen Touch mittransportierte. Schließlich lässt sich dieses Label auf unterschiedlichste Weise interpretieren.

FM4 Logo

Christian Streili

Ich habe an diese Bezeichnung in den letzten Tagen oft denken müssen, als sich die Themen für meine in diesem Jahr letzte Soundparksendung sehr zufällig zusammengewürfelt haben. Denn in den kommenden fünf Stunden geht es keineswegs darum, sich selbst auf die Schulter zu Klopfen. Oder gar eine bestimmte Position zu nützen, ob sein "Eigenwerk" schamlos zu promoten. Es war vielmehr eine seltsame Fügung des Schicksals, dass der ehemalige FM4 Moderator Gerald Votava und Englandkorrespondent und Heratbeat Moderator Robert Rotifer hier ihre Alben vorstellen. Eine großartige Fügung übrigens, denn lange bevor diese beiden Menschen irgend eine Art von in der breiteren Öffentlichkeit wahrnehmbaren Rolle repräsentierten, waren sie in erster Linie Musikliebhaber. Und auch das Musik machen blieb ihnen (in unterschiedlicher Ausprägung) bis heute erhalten. Deshalb werden jetzt einmal die Musiker und Künstler Gerald Votava und Robert Rotifer in den Vordergund gestellt, wobei man dabei einen sehr persönlichen Einblick in das Leben der Zwei erhält.

Der beobachtende Elf

Mich hat die allgemeine Überraschung verblüfft, die sich durch fast alle Rezensionen von Gerald Votavas Debüt "Elf" gezogen haben. Klar, man kennt den smarten Moderator und Kabarettisten von seiner Zeit Frau Sokol in "Die liebe Familie", als Co-Moderator der Sternstunden mit Gerda Rogers und als Hauptprojektleiter beim Projekt X. Ich jedoch denke bei Gerald meist an jene Momente, die nicht mit seiner komödiantischen Seite zu tun haben. An tiefgehende Interviews, die er bei uns geführt hat oder an seine Performance als Gitarrist der "Mothers Of Scandinavia" an der Seite von Florian Horwath.

Portrait Gerald Votava

Pamela Rußmann

Musik ist für Gerald eine "Lebensnotwenigkeit" und so hat er sich über Jahre schlau gemacht, wie man sich sein eigenes Studio baut. Der Schritt weg vom Radio hin zum Songschreiben war nach dieser Vorbereitung dann kein großer mehr. Die Coverversion von Friedrich Holländers "Wenn ich mir was wünschen dürfte" eröffnet nicht nur das Album, sondern frischt auch Geralds Zugang zum Songschreiben wieder auf. Darüber hinaus gibt diese Nummer aus den 1930iger Jahren die Grundstimmung der Platte vor, handelt sie doch davon, dass glückliche Zeiten auch die traurigen bedingen. Überhaupt sind die neun Charaktere, die durch die von Blues und Rock beeinflussten Songs wandeln Prototypen unserer Gesellschaft, die in Krisenzeiten verschiedene Lebensmodelle ausprobieren. Gerald Votava schlüpft in die unterschiedlichen Rollen, die einer dramaturgisch clever angelegten Chronologie folgen. Er beweist sich als extrem guter Beobachter, der in klarer, einfach und direkter Sprache Dinge benennt, die nur allzu gerne unter den pseudomoralischen Teppich gekehrt werden. Mit dem Album "Elf" lässt uns Gerald Votava an seiner Sicht der Welt teilhaben, ohne mit dem gesellschaftskritischen Zeigefinger auf uns zu deuten. Vielmehr stellt er sich "zu uns" und erzählt uns wie beiläufig mit seiner warme, sonore Stimme von Lebenskonzepten, die nicht selten in sich zusammenfallen.

Votava Albumcover "Elf"

Gerald Votava

Musikalisch sind die neuen Song von "Elf" genau auf die Figuren, die sie singen, zurechtgeschnitten. Mal ausgelassen rockig ("Lasst die Kinder"), manchmal düster und psychedelisch ("Du verschwendest deine Zeit"), verträumt melancholisch ("Abschied") oder mit melancholischem, balladesken Ton ("Liebe") sucht Gerald Votoava stets nach einem eigenen Ausdruck. Lässt man sich auf die eigenwillig komponierten Nummern ein, eröffnen sie nach und nach ihre tiefgründigen Emotionen, bis wir mit dem versöhnlichem Chor von "Es kommt der Tag" wieder in unsere eigene Welt entlassen werden. "Elf" beinhaltet also viel Stoff, über den der Musiker Gerald Votava diese Nacht einiges zu erzählen hat.

PS: Nebenbei wird auch noch verraten, wieso die Platte mit neun Songs den Titel "Elf" trägt.

Zurück in die Vergangenheit

An dieser Stelle seien nur die wichtigsten Bemerkungen über das neue Rotifer Album angeführt, da es sonst den Rahmen dieser Geschichte sprengen würde. Alle Details über "The Hosting Couple" werden noch vor Weihnachten nachgereicht.

Robert Rotifer und Band

www.robertrotifer.co.uk

Es ist das sechste Werk, das der in Canterburry lebende Musiker Robert Rotifer abliefert. Auf "The Hosting Couple" sind Kindheitserinnerungen an den ersten Englandaufenthalt der Dreh- und Angelpunkt der Platte. Gewidmet ist sie den Gasteltern Mrs. und Mr. Middeltone, die den damals zwölfjährigen Robert und seine Schwester vom Londoner Flughafen abholten, um sie nach Canvey Island zu bringen. Es war 1982, eine Zeit in der das Mod-Revival auf der 37.000 Einwohnerinsel noch immer nachhallte. Robert wandelte auf den Spuren des Pub rock von Elvis Costello oder Dr. Feelgood. Dieser Vibe ist dem Musikjournalist, Moderator und Musiker bis heute geblieben.

Rotifer Plattencover "The Hosting Couple"

Robert Rotifer

Vor allem der Sound von "The Hosting Couple" versetzt einen sofort in die 1960iger. Auf das Angebot des englischen Musikers Wreckless Eric hin reiste Robert mit seinen zwei musikalischen Mitstreiter Darren Hayman (bekannt für seine Band Hefner) und Ian Button (Gitarrist der großartigen Death In Vegas) in dessen Studio nach Frankreich. Dort entstand auf großen Bandmaschinen mit ausschließlich analogem Equipment in sieben Tagen das live eingespielte Album das klingt, als wäre es durch ein Wurmloch in die Gegenwart gefallen. Unbändige Energie, erdig rauschender Sound und berauschende Songs bilden das für mich beste und wohl persönlichste Album von Robert Rotifer.

Ich hatte das Glück, Robert am Flughafen Wien bei einem seiner mitlerweile extrem selten gewordenen Österreichaufenthalten abzupassen, um mit ihm vor dem Hintergrund klapperndem Geschirrs und Weihnachtssongs aus der Konserve über "The Hosting Couple" zu reden. Über die politischen Songs und ganz persönlichen Einblicke in seine Jugend, seine Beziehung zu Österreich und den musikjournalistischen Blick auf Jugendkulturen.

PS: Eine ausführliche Besprechung von "The Hosting Couple" folgt noch vor dem Plattenpräsentationsgig, der am 23. Dezember in Wien bei der Philiale im Gartenbaukino Foyer stattfinden wird.

Das französische Model und der schwere Wein

Um nicht ausschließlich im künstlerischen FM4 Universum zu bleiben, werden kurz vom Morgengrauen die Band Brigitte Bordeaux im Studio vorbeischauen.

Brigitte Bordeaux Bandfoto

Brigitte Bordeaux

Das Trio aus Wien, dessen Namen sich aus französischem Supermodel und schwerem Wein zusammen setzt, hat sich für gerade einmal zehn Tagen in eine Hütte irgendwo auf einer Alm eingesperrt, um dort ihren musikalischen Inspirationen freien Lauf zu lassen. Ein Teil des Ergebnisses kann man auf der kürzlich erscheinenen EP "The Others" nachhören. Denn eigentlich umfasst das Gesamtwerk der drei Musiker ganze zweiundzwanzig Songs, die unter dem Titel "Animus Quattuor" nach und nach veröffentlicht werden.

Brigitte Bordeaux EP Cover

Brigitte Bordeaux

Die vier Seelen- oder Gemütszustände, die wir über das nächste Jahr weiterhin häppchenweise präsentiert bekommen, drehen sich um Krisen, sowohl auf persönlicher als auch globaler Ebene. So negativ das auch klingen mag, liegt in dem vom Wüstenrock inspirierten Sound viel Hoffnung, diese Krisenzeiten als Chance zu sehen, um daraus wieder Kraft und Ideen zu schöpfen. Auf "The Others" finden sich nicht nur vom Punk angehauchte Indierocksongs, sondern auch das experimentellere, instrumentale Stück "Common Dandelion" sowie die poppige Single "Jakuzzi Jerusalem", inspiriert von einer Reise in die israleische Hauptstadt. Aber davon soll uns die Band am besten selbst erzählen.

Fahrplan durch die Sendung

  • 01:00 bis ca. 02:00 Uhr: Listening Session mit Robert Rotifer
  • 02:00 bis ca. 03:00 Uhr: Gerald Votava über sein Album "Elf"
  • 03:00 bis ca. 03:30 Uhr: Luise Pop liveset von der FM4 Soundparktour (B72 Wien)
  • 03:30 bis ca. 04:30 Uhr: Soundpark in the Mix, eure neuen Tracks in einer exklusiven Zusammenstellung
  • 04:30 bis ca. 05:30 Uhr: Teil 2 der Austrian Flavors von Makossa & Sugar B's Swound Sound System
  • 05:30 bis 06:00 Uhr: Listening Session mit Brigitte Bordeaux

Wer keine Nachteule ist, kann die Sendung ab Montag 12. Dezember Mittag 7 Tage lang on demand nachhören.