Erstellt am: 10. 12. 2011 - 04:16 Uhr
Girl Walk // All Day
Die ersten vier Teile von "Girl Wall / All Day" sind bei Gothamist.com präsentiert worden. Die restlichen Installments folgen in den nächsten Tagen.
Dance, Dance, Dance!
Anne hat genug vom Ballett-Unterricht. Da kommen die Riffs von Black Sabbath im Kopf gerade recht. Ozzy lässt die War Pigs los, flankiert von Ludacris, der sich unelegant einen Weg nach draußen bahnen will: „Move Bitch (Get Out The Way)“ rappt der MC, während Anne mit spastischen Moves durch das Ballett-Studio eiert, sich am Boden wälzt und die restlichen Soldatinnen des Tanzvereins anspringt. Dann schnappt sich das Früchtchen seine Neo Rave Trainingsjacke vom Flohmarkt und tanzt zur Tür hinaus.
Was beginnt wie ein durchschnittliches Renitenzvideo zwischen 80er Jahre Runnaway-Pop-Ästhetik (Pat Benatar) und dem geschlechtsneutralen Hair Metal von Twisted Sister entwickelt sich in den folgenden Schnitten, Sequenzen und Minuten zu einem wunderbaren, großstädtischen Gedicht.
Mashup Manhattan
Der Sound dazu stammt vom Mashup Giganten Gregg Michael Gillis aka Girl Talk aus Pittsburgh. Doch das Video war keine Auftragsarbeit. Der aus Hunderten Samples und Pieces zusammengeklaute Mix seines 2010 veröffentlichten Albums All Day hat vielmer einen gewissen Jacob Krupnick aus New York zu einer nachgereichten Regiearbeit inspiriert. Man kennt das ja aus dem Internet. Fan-Video und so.
Einige Telefonate später swingt Jacobs Bekannte Anne Marsen, eine gelernte Tänzerin, zu den ersten Takten von Girl Talk. Das Projekt „Girl Walk / All Day“ ist geboren. Aus der simplen Idee wurden 50 Drehtage und insgesamt ein Produktionsjahr. Das dafür nötige Kleingeld stellten die Neo-VideomacherInnen über die Finanzierungsplattform Kickstarter.com auf. Gestern feierte „Girl Walk /All Day“ Premiere im Masonic Temple in Brooklyn.
Dance your pain away
Was den 70-Minuten-Clip nun von hermkömlichen Tanzfilmen oder Musikvideos unterscheidet, ist der Charme und die Unbekümmertheit seiner Prodagonisten. Zunächst wirkt alles etwas aufgesetzt, so wie einer dieser zahllosen Hipster-Pranks, die durchs Internet geistern. Doch man sieht mit Fortlauf der Handlung, wie die Beteiligten vor und hinter der Kamera von Move zu Move wachsen. Schon bald findet man sich in einem regelrechten Großstadtdrama zwischen Stummfilm-Ästhetik, Lerry Clarks Kids, der West Side Story und der berühmten Rhapsody in Blue, die hier - der betanzten Tonspur gehorchend - zur RAPsody in Green wird.
Ohne Drehgenehmigung und frei improvisierend (es gibt eine lose Handlung, auch eine Liebesgeschichgte) betanzen Anne und dazustoßende Protagonisten wie The Gentleman oder The Creep öffentliche Plätze wie den Times Square oder Central Park und konfrontieren die Menschen auf den Straßen mit ihren rhythmischen Verrenkungen. In anderen Sequenzen stürmen die modernen Derwische durch Kaufhäuser oder besetzen Occupy Wall Street. Der anarchische Charakter des Clips ist befreiend, so wie das Versprechen des Tanzes an sich, der sich hier mit jedem Schritt gegen die aufgemotzte Studioathletik professioneller Produktionen oder die verschulte Tanzkunst zu richten scheint. Aber natürlich ist „Girl Walk /All Day“ in erster Linie ein Fest des Lebens. Und das tanzt bekanntlich nicht immer Walzer.
Für dementsprechende Kontrapunkte sorgt immer wieder die Stadt. New York City stellt mit der berühmten Spontaneität seiner BewohnerInnen zwar ein ideales Parkett für die schwindelerregende Anne und ihre Freunde dar – und manche lassen sich erst gar nicht lange bitten. An anderer Stelle droht unsere Heldin jedoch an der ebenso berüchtigten Ignoranz und Härte der New YorkerInnen zu scheitern, die ihr nicht nur ein Mal die kalte Schulter zeigen.
Die fast Beatlemania-mäßigen Errungszustände des Publikums bei der Premiere am Donnerstag (*kreisch*) haben jedenfalls gezeigt, dass „Girl Walk / All Day“ einen Nerv getroffen hat, der nur wenig mit der Lust am viralen Herumkichern vor den Bildschirmen erklärbar ist.
Jacob Krupnick, Anne Marsen und den zahrleichen übrigen FußschwingerInnen ist vielmehr ein richtiges Kunststück gelungen. Ein Hipster-(Dance)-Film, der den Puls einer Stadt und seiner EinwohnerInnen auf übergeschnappte Art und Weise fühlt, dabei aber nicht wie seine eigene Parodie wirkt. And your heart will follow.