Erstellt am: 9. 12. 2011 - 18:18 Uhr
Journal 2011. Eintrag 223.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit etwas, woran Facebook schuld ist. Ausgangsmäßig.
Letztlich geht es um die Frage, wieviel Feudalismus sich mittlerweile bereits in unserer Arbeitswelt eingeschlichen hat.
Eine Freundin, die "in den Medien" (und zwar wider besseres Wissen in der Boulevard-Ecke) arbeitet, hat vor ein paar Tagen einem Teil ihrer Facebook-Kontakte eine berufliche Frage gestellt; im Rahmen einer öffentlichen "An alle"-Nachricht.
Für eine Geschichte zum Thema "wie/wo/mit wem /wann etc. ihr X-Mas 2011 verbringen, zelebrieren werdet". Schlusssatz: Freue mich auf Eure Antworten und eine witzige Story!
Die kamen prompt.
Die Antworten.
Die für alle Angeschriebenen (und das waren doch mehr als ein Schock an Menschen) lesbar waren. Warum sie da mich und auch andere Nicht-Promis dabei hatte, listentechnisch, hab ich sicherheitshalber nicht nachgefragt - vielleicht einfach. um uns teilhaben zu lassen.
Denn es ging sofort los: Prinz Pippi und Miss Piggy, der Schnittlauch-Schauspieler und der Promi-Redakteur, der "Star"-Fotograf und das One-Hit-Wonder, der Kabarettist aus der Reklame und das It-Girl - alle waren sie höchst begierig darauf ihre Weihnachtspläne zuerst einer kleinen, semiprominent durchsetzten Öffentlichkeit und in weiterer Folge hoffentlich auch einem breiten Publikum bekanntzugeben.
Immerhin rissen die Nachhaltigkeits-Schauspielerin und der übergebliebene 90ies-Techno-DJ aus und brachten mit übergroßer Ernsthaftigkeit und grotesk misslungenem Sarkasmus einen anderen Dreh in die weihnachtsselige Präsentation von Vorhaben, die zumeist direkt aus dem Pilcher-Roman zum Thema hätten kommen können.
"... nach den Rezepten der Großmutter Prinzessin..."
Interessanterweise hat nur ein kleiner Teil der vielen Menschen die "Unterhaltung verlassen". Es gibt also durchaus einen kleinen Voyeurismus zum Thema. Ich bekenne mich co-schuldig. Aber: auf Nachfrage erzählt mir die Ursprungsfragestellerin, dass einige der Angefragten fraglos so schlau waren, die Antwort ohne zu Fragen direkt an sie zu schicken - also ohne den Umweg übers Facebook-Suhlbad zu nehmen.
Das alles ist, angesichts der neuen Medien und ihrer neuen Realitäten, durchaus wert, es zu untersuchen.
Mir ist aber etwas anderes aufgefallen: die Selbstverständlichkeit, mit denen Promis, die von der Seitenblicke-Gesellschaft (und nicht nur der, da sind - wir - alle mit dran schuld, dass Hähne nach ihnen krähen) dieses Prädikat verliehen bekommen haben, mit ihren Intimitäten hausieren gehen.
Klar, die bedingt Unehrlichkeit und Aufgesetztheit, die forciert Verlogenheit und Pose. Und da sind die Promis nur zu einem Teil dran schuld.
Mich hat nur die Tonalität der gönnerhaft hingestreuten Info-Brocken an eine anderswo zuletzt stark aufgekommene Tonalität erinnert. Sie hat etwas Imperales, K.u.K-mäßiges, trägt das Erbe einer Zeit, in der nicht nur Kultur-, sondern jegliche Zuwendung ans gewöhnliche Volk eine zur lästigen Pflicht geronnene Geste des Adels war, die man mit möglichst deutlich angesprochenem Paternalismus ausführte.
Der feudale Wohlfahrts-Gedanke mitten im Sozialstaat
Die Wohlfahrt im monarchischen System ist ja nicht mit der Verbindlichkeit des Sozialstaats zu vergleichen, in dem es einen Vertrag zwischen Steuergebern und Steuernehmern gibt, der Bildung, Gesundheit, Sicherheit und andere zentrale Rechte garantiert.
Der alte Feudalismus zog sich auf ein System der Almosen zurück, mit denen König, Adel, Kirche und Großbürgertum die Restbevölkerung (die 99%) auf einem Zum-Leben-zu-wenig-Zum-Sterben-zu-viel-Level zappeln ließ.
Ein wenig funktioniert das amerikanische System so: Bloß weht dort, in Land der Nachfahren von Verfolgten und Renegaten, ein deutlich weniger monarchisch-feudaler Geist - die Oberschicht ist sich der Bedeutung ihrer Leistungen bewusst, erzieht den Nachwuchs von klein auf zur entsprechenden Pflichterfüllung.
Diese Tradition hat es hierzulande nie gegeben.
Und: die Gönnerhaftigkeit nach altfeudalem Vorbild ist auf dem Vormarsch. Nicht weil sich die falschen Prinzen zunehmend einer Marie-Antoinette-Kuchensprache befleißigen und ihre Wortspenden raushängen, als wären sie Leistungen und Wohltaten (um sich dann beruhigt zurückzulehnen, weil sie societytechnisch ihre gesellschaftlichen Pflichten erfüllt haben), sondern weil die Gönner-Sprache zunehmend in die Real-Wirtschaft einfließt.
Chefs werden wieder zu Lehensherren
Das ist, zumindest was Medien-Häuser betrifft (ich kann das nicht für alle Branchen belegen), aktueller Alltag. Wo es früher konkrete Abmachungen über Arbeits-Anforderungen und die entsprechenden Rahmenbedingungen gab, wird das - in Zeiten der Krise - auf eine persönliche Ebene runtergebrochen.
Man werde schauen, wie man das regeln könne, heißt es neuerdings immer häufiger. Das, was der Sozialstaat irgendwann einmal geregelt hat, ist längst nur noch Theorie: die aktuelle Praxis bricht ins Private ein. Die Chefs werden immer mehr zu Lehensherren, die, quasi informell Zehente stunden oder Sonder-Budgets anknabbern; in einem deutlich zunehmend paternalistisch-gönnerhaften-feudalen Tonfall.
Das bedeutet in weiterer Folge eine immer größere Abhängigkeit vom Goodwill der Herren - wenn die Arbeitssysteme zunehmend informeller werden, schwinden selbstredend die Rechte.
Damit meine ich nicht kleine, noch halbwegs schlagkräftige Einheiten, die sich - guerillamäßig - immer schon so bewegt haben um zu überleben, weil sie anders nie ihre Finanzierung sichern konnten; ich meine die tatsächlich Budgetmächtigen.
Irgendwo wurde heuer (so als Gefühligkeit) eine Generalvollmacht für diese neue feudale Gönnerhaftigkeit ausgegeben; sie ist gesickert und wird über die nächsten Monate eine gesellschaftliche Realität sein, sich so ihre Akzeptanz abholen und damit ein Teil unseres ohnehin schon wackeligen demokratischen Grundkonsens werden.