Erstellt am: 7. 12. 2011 - 23:05 Uhr
Journal 2011. Eintrag 221.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Heute zum Thema Werbung im Radio.
Vor ein paar Tagen stieß eine simple Ankündigung für das Jahr 2012 auf unumschränkten Beifall: die öffentlich-rechtlichen Stationen ORF, ARD, ZDF und SRG einigten sich darauf die Lautstärke ihrer Werbeblöcke (und auch gleich die der Programm-Promotion) zu reduzieren.
Die Fernsehwerbung ist nämlich zu laut.
Zum einen, weil sie schon unfassbar laut produziert wird, am Anschlag, am Rande der Gehörschädigung; zum anderen weil die Werbeindustrie darauf besteht, dass ihre laut produzierten Spots auch so laut wie möglich abgespielt werden.
Damit ist es jetzt ab 2012 (genauer Termin ist im übrigen keiner bekannt, hm...) vorbei.
Ob die Maßnahme für alle Werbespots der Sender gilt oder ob das eine reine TV-Maßnahme ist, war der Meldung nicht zu entnehmen. Denn im Radio haben wir das exakt selbe Problem: zu fett produzierte kreischige Spots werden (oft) auch noch anschlagmäßig abgespielt; weil er "der Kunde" so verlangt.
Die Radiowerbung hat aber ein über die Lärmbelästigung hinausgehendes Problem: Sie ist scheiße.
Sage nicht ich, um Himmels willen.
Schrei! Mich! Nicht! An!
Ich könnte das gar nicht sagen, weil ich nie Radio-Werbung höre. Ich verfüge über die (nur über Zen zu erlangende) Gabe Radiowerbung einfach auszublenden. Selbst der Werbeblock, den ich persönlich alle zwei Wochen abspiele, der vor dem sonntäglichen Zimmerservice: Ich kann weder währenddessen noch nachher sagen, was da gerade gelaufen ist. Ich blende das weg.
Dass Radiowerbung scheiße ist, sagt die (Werbe/Medien-)Branchenzeitung Bestseller, natürlich in höflicheren Worten.
Aber deutlich.
Im Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe heißt es: Seite 94: Radio. Warum so viele Spots nerven.
Und die Geschichte von Clemens Coudenhove wird so übertitelt: "Schrei mich nicht an! Wenn Radio wirklich die viel zitierte 'Königsdisziplin' der Werbung ist, warum nerven viele Hörfunkspots dann so?"
Die aussagekräftigen Zwischentitel: "Dröhnend, lieblos, ungeil" und "Pimp my Quargel".
Normalerweise streicheln Branchenblätter ihre Szene zärtlich, verschleiern und beschönigen, verwässern und behübschen.
Dröhnend! lieblos! ungeil!
Es muss also sehr schlimm um eine Sache stehen, wenn sich jemand so was traut.
Im Fall der Radiowerbung ist die Sache ganz klar: Alle Werber und alle Media-Agenturen wissen, dass die Produkte mäßig sind. Das hat damit zu tun, dass die Kunden sich nur an TV-Spots und Plakaten aufgeilen und für das aurale Kleinod nix über haben. Kein Interesse, keine Achtsamkeit, keine Budgets - okay, ein Radiospot noch zum Drüberstreuen, das sollen die Praktikanten machen, aber schnellschnell!
"In 20 bis 30 Sekunden eine Geschichte zu erzählen, die Bilder im Kopf erzeugt, ist eine besondere Kunst", wird der Geschäftsführer der RMS Austria zitiert. Eine, die in Österreich eben kaum jemand beherrscht. Weil nichts investiert wird: "Gerade weil man im Radio nur Text und Audio zur Verfügung hat, sollten die besten Leute damit beschäftigt werden."
Ein frommer Wunsch.
Stattdessen wird geramscht: unendlich viel Info in zu kurzer Zeit, kreischiger Billigabverkauf, der möglichst viele für möglichst dumm verkaufen will.
Nervend! Schreierisch! Unsexy!
Noch eine interessante Feststellung der Experten in Coudenhoves Bericht: Die Wirkung der Stimme wird überschätzt. Zumal Starsprecher letztlich eher Promotion in eigener Sache betrieben als das Produkt zu erhellen.
Weil aber weder Auftraggeber noch Agenturen den Radioteil einer Kampagne mitdenken (in einer Art vorauseilendem Gehorsam den Auftraggebern gegenüber, die von den meisten Werbern als gefährliche Ahnungslose eingestuft werden; oft zu Recht) bleibt meist nur die finale Marktschreierei.
Coudenhoves Sittenbild endet mit der trockenen Erkenntnis: "Dass Radio in Zukunft vermehrt auch als Image-bildendes Medium stärker genutzt wird, darf bezweifelt werden."
Das ist auch das Fazit, das ich über viele Jahre hin aus Gesprächen mit Leuten aus der Werbe- und Mediaagentur-Branche ziehe. Fakt ist nämlich, dass sich niemand in dieser Ecke die Mühe machen will, etwas zu erzeugen, was sich vom kreischigen Einheitsbrei abheben will. Das schlechte Gewissen rinnt den Werbern zwar ununterbrochen aus allen Poren - tun wollen sie allerdings nichts.
Und es wird so bleiben! Vielleicht aber leiser ...
Dazu kommt noch, dass Radiowerbung ökonomisch gesehen recht absurd antizyklisch anzieht oder abflaut - in Krisenzeiten gibt es mehr (kurzfristige, marktschreiende) Radiowerbung; in besseren Zeiten gehen die Buchungen zurück.
Diese Ausnahmesituation macht jeden buchhaltermäßig denkenden Akteur noch zusätzlich nervös. Und in dieser Mixtur aus fehlender Kreativität, mangelndem Willen und ängstlichem Herangehen ist letztlich der Konsument der Blöde: der wird weiter mit nervigen Text-Kaskaden angeschrien.
In Zukunft hoffentlich ein wenig leiser.
Wenn der "ORF" mit "ORF" auch "ORF" meint - und nicht wie meistens "Fernsehen"...