Erstellt am: 7. 12. 2011 - 13:20 Uhr
John, du gehst uns nicht mehr an!
Der 8. Dezember 1986. Eine Gruppe von Schülern schreibt zur Ehre des sechs Jahre zuvor ermordeten Beatles Frontmanns „John, wir lieben dich!“ an die Wand des Notargebäudes im Zentrum von Sofia. Die damaligen Mächtigen finden das gar nicht gut. Die Schüler werden wegen „westlicher ideologischer Subversion“ verhaftet und von der Schule ausgewiesen. Die Ehrung von Lennon wird als ein Protest gegen das totalitäre System verstanden. Einige wenige Journalisten und Intellektuelle trauen sich die Seite der Verhafteten einzunehmen. Zwischen 86 und 88 werden die Sammlungen vor der „Lennon Wand“ in Sofia zu den ersten mehr oder weniger organisierten Protesten gegen den Kommunismus. Einige von den verhafteten Schülern werden 1989 als Studenten die Anführer der Protestbewegungen, die das System in Bulgarien zur Fall bringen.
Der 8. Dezember 2011. Die bulgarischen Studenten bereiten sich für den offiziellen Studentenfeiertag des Landes vor. Dass das der Feiertag vom Hl. Kliment Ochridski - dem Schutzpatron der Sofioter Universität und Erfinder der kyrillischen Schrift ist - wissen die Wenigsten. Es ist ein Tag zum Abfeiern! Hotels in schicken Winterkurorten wie Bansko und Pamporovo werden reserviert. Die Diskos in Sofia und anderen großen Städten sind dann wieder bis zur Decke voll. Auf jedem Tisch stehen eine Flasche Whiskey und Energy Drinks, die als Statussymbol verstanden werden. Die Mädchen sind stark geschminkt, die Burschen tragen enge T-Shirts mit der Aufschrift „De Puta Madre – Narcotraficanta“, oder etwas Ähnliches. Die jungen Leute tanzen zu fröhlicher Popfolkmusik, als ob es kein Morgen gäbe. Neulich fragte ich eine junge bulgarische Studentin in Wien, was sie von den Beatles halte. „Ich interessiere mich nicht für Fußball“, war ihre Antwort.
Mark Rufos
22 Jahre nach der Wende hat die politische Klasse geschafft die Studenten vom progressivsten Stand der Gesellschaft in konsumgeile und hirnlose Wesen zu verwandeln. Während sie früher wesentlich zum Sturz des Systems beigetragen haben, interessieren sich die meisten heute mehr für ihre i-Phone oder ihr neues Auto. Ich kann mich an eine Studentenvertretungswahlkampagne der Sofioter Uni erinnern. Es gab ein einziges Plakat: „Es interressiert dich sowieso nicht, deshalb gib deine Stimme an Ljubo“. Letztes Jahr haben die Einsparungen der Regierung den Bildungssektor stark getroffen: einige der „unwichtigeren“ Unis, wie die Film- und Theater-, sowie die Kunstakademie, mussten für die Wintermonate zusperren, wegen fehlendem Geld zum Heizen. Für das eingeplante Budget für 2012 erhält der Bildungssektor in Bulgarien wieder 5-mal weniger Geld als das Innenministerium. Die, die ins Ausland studieren gegangen sind, feiern auch, obwohl das kein Feiertag für die hiesigen Unis ist. In Wien wird jedes Jahr eine Party in einem schicken barocken Palais veranstaltet. „Für alle aus Plovdiv, Varna und Tarnowo, heute sollt ihr vergessen, dass ihr in Österreich seid“, schreit der DJ ins Mikrofon, wie bei einer Hochzeit.
Ich gehe heuer nicht zur Party. Ich bleibe zu Hause und höre den Song der Band Wickeda: „Wie waren gestern Schulter an Schulter im Schutzgraben, heute sitzen wir Büro an Büro. Und am 8. Dezember verschwendet niemand seine Nerven an Lennon.“