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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

8. 12. 2011 - 10:00

Die Nordlandtrilogie: Zurück nach Pubertät

Die Nordlandtrilogie war ein Meilenstein der Computer-Rollenspiele und ein Höhepunkt meines gruseligen Teenage-Geektums. Jetzt gibt es eine Neuauflage - ob sie rückwirkend meine Jugend versaut?

Warme Wellen gruseligen Teenage-Geektums brandeten in mir auf, als Kollege Burstup in der Team-Mail um einen Autor für eine Rezension der neuaufgelegten Nordlandtrilogie warb. Mit Teil zwei der Nordlandtrilogie, Sternenschweif, erreichte ich 1994 wohl die pathetische wie furchtbare Höhe meiner mittpubertären Weltenflucht- und Weltenerschaffungsfantasien.

Schon vor drei Jahren gab's so ein Paket. Aus Lizenzrechtlichen Gründen aber ohne ausspielbares Regelsystem und Soundtrack. Die aktuelle, am 1. November 2011 veröffentliche Version entspricht vollständig den Originalen. Herausgeber ist UIEG.

Jetzt war es Zeit, mir den Rollenspielklassiker nochmal vorzunehmen. Anlass ist die Neuauflage - nicht Überarbeitung! - der Nordlandtrilogie, deren Höhepunkt Sternenschweif war. Und oh, weh, ich bin immer noch ein Fan, nie älter geworden ... Skyrim muss noch ein wenig warten!

So wenig Liebe, so viel Gefühl

1994 war ich gerade mal nicht schwer verliebt in Freddy 1, 2, 3 oder wie auch immer ich meine damaligen Schwärme (Freundinnen: nie!) durchnummerierte, um mit Simon W. über sie in Anwesenheit schwärmen zu können. Ich verbrachte Stunden am Bodenseestrand mit Lagerfeuern, auf DLRG-Treffen mit Carola und noch viel, viel häufiger mit meinem 486er, DX2-66, den ich mehrmals zerlegte, zerteilte und mithilfe von Lötkolben, Holzlaubsäge und alten Fahrradreifen wieder zusammensetzte, um die neuesten Computerspiele und -Demos von der damaligen regierenden Spielezeitschrift PC-Player spielen zu können, bei Tie Fighter nicht in EMS-Probleme zu laufen und in meinen ungezügelten Quick-Basic-Versuchen noch einen bunten Kreis mehr pro Sekunde auf den Bildschirm zu zeichnen. Bildschirm: gefühlte 12 Zoll.

@www.schattenjaeger.de

Auf Reisen muss man alle paar Sekunden rasten. Ist aber wirklich stimmungsvoll.

1994 experimentierte ich mit erstmals mit Haarfarben, veranstaltete Jugendpartys in den "Jugendräumen" unserer Dorfkirche, war fanatischer Pen&Paper-Rollenspieler, hörte zum ersten Mal FM4 und war also drauf und dran, erwachsen zu werden, ohne zu verstehen, was das überhaupt ist, und wie glücklich weit ich von so was wie Erwachsensein noch weg war. 1994 war das Jahr der Entscheidung: Sozialwesen oder Computernerd, Freundin oder Joystick. Oh, wie ich noch immer versuche, alles unter einen Hut zu bekommen.

Mein Komplize - ich brauchte immer eine/n Komplizen/in - war mk (wie Mathias - mit einem T - K.). Einer von uns beiden hatte sich Sternenschweif gekauft, Rollenspiele-Ehrenpflicht. Unsere Regel war: Wir spielen nur gemeinsam, entweder bei ihm oder mir am Computer, die Speicherstände brachten wir immer auf der Diskette mit: "arj x schweif.arj".

Ich erinnere mich noch an unsere erste Runde, bei mk im Kellerzimmer. Wir kochten uns einen Liter Tee, zogen die Gardinen zu und drückten feierlich Return. Warme Wellen wohliges Teenage-Geektum, ein ganzes Jahr lang! Im Zimmer roch es nach Jugend, Keller, Holztäfelung und Earl Grey ("weil Picard").

@seoman-mondkalb.org

Eine der wenigen Städte in Sternenschweif. Ein Labyrinth mit wenig Sichtweite.

Schwarztee und Knisterboxen

Sternenschweif gilt als Rollenspiel-Klassiker, eines der besten Spiele seiner Zeit. Es ist beinhart, unfair und langatmig. Die meiste Zeit verbrachten wir mit der Organisation der Ausrüstung, dem Ablesen und vergleichen irgendwelcher Zahlenwerte - und vor allem den langsamen Wanderungen der Heldengruppe über eine gezeichnete Landkarte, auf der Suche nach Wegbegegnungen, Städten oder Dungeons. Davon gibt es nicht viele. Dafür sehr, sehr viele Wege, die wir nach und nach erkundeten - also: völlig ereignislos abwanderten. Man muss sich das vorstellen wie die Landkarten, die in den Indiana-Jones-Filmen einen kontinentalen Drehortwechsel erklären sollen. Nur mit vielen, vielen Unterbrechungen und nicht von Afrika nach Asien, sondern von Hinterlandkaff A nach Hinterlandkaff B in einer Landschaft, die das Beste Zentraleuropas zu bieten hat: Wiese, Wald und Wipfel.

USM Audio / Kosmos

Ich musste sehr lachen: "Die geheimnisvolle Verwandlung"

Alle paar Sekunden musste unsere Gruppe ruhen, jagen, sich von irgendwelchen Krankheiten erholen. Es passiert sonst vor allem nichts. Und wenn wir dann einmal in einen der wenigen Dungeons oder Städte vordrangen - alle unglaublich labyrinthisch - verzweifelten wir an dem einen fehlenden Ausrüstungsgegenstand, dem zufälligen Talentwert oder Zauber, den man nur ein einziges Mal im Spiel braucht, dann aber auf jeden Fall und den trockenen, sehr taktischen Kämpfen gegen übermächtige Gegner.

Gähn-Samples am Lagerfeuerbildschirm

So vergingen Monate. Dass wir das überhaupt aushielten, lag wohl vor allem an der fantastischen Musik (wahnsinnig kitschig, aber hat sich in mein emotionales Gedächtnis eingebrannt, wie wenig anderes) und überhaupt einer seltsam warmen Stimmung, die das Spiel ausstrahlte. Während draußen meine Freunde auf Hormon-Abenteuer gingen, saß ich mit mk vor dem Lagerfeuer-Bildschirm und wärmte meine Seele an ein paar bunt pulsierenden Pixeln.

Schrecklich peinlich, wie ich 1999 bei Fat Man in Austin saß, ihm mein Lieblingsstück von ihm vorspielte - eines aus Sternenschweif - und er mir erklärte: das kommt gar nicht von ihm. Nur die Instrumente - wie sie damals so viele Spieleentwickler benutzten. Ui ui ui.

So zumindest waren meine Erinnerungen: verklärt und unantastbar. Bis zu jener Mail, mit der Kollege Burstup vor ein paar Tagen um einen Autor für eine Rezension der neuaufgelegten Nordlandtrilogie warb. Was für eine Chance, einen weiteren Poltergeist der Kindheit auszutreiben. Ich installierte Sternenschweif, holte mir einen Grüntee und drehte die Boxen auf.

Die Cutscenes sind auch ein Thema für sich ... Hier offenbart das Spiel gerade, dass der Titel nur eine Verarsche ist ...

Nichts gelernt

Drei Tage und zig Spielstunden später hab ich mein Urteil gefällt. Das Spiel ist eine Zumutung, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber es hat (zumindest für mich) nichts an seiner dichten Atmosphäre eingebüßt. Noch mehr: Es ist in all seinem nach heutigem Maßstab amateurhaften Spieldesign, der damals so hippen Spielerbestrafung (Neugierde wird mit dem Tod bestraft) und der nervenzerreibenden Unzugänglichkeit doch ein Juwel: Sternenschweif macht einfach wahnsinnig Spaß.

Vielleicht auch, weil aktuelle Rollenspiel-Hits wie Fallout oder Oblivion gar nicht so anders sind. Steile These, ich weiß. Aber wie's der Zufall so will, spiele ich gerade Fallout 3 noch einmal durch - und verbringe nicht minder viel Zeit damit, halb ziellos, halb suchend eine Landschaft zu durchstreifen, auf der Suche nach Abenteuer (=Gemetzel) oder Atmosphären (=debile Konversationen bzw. unterhaltsame Monologe von Spielfiguren).

Wie das alte Sternenschweif ist das eigentliche Spiel die Atmosphäre - ein Lagerfeuer - und nicht die recht trivialen Herausforderungen, zum Beispiel die schwierigen Kämpfe.

Aber es zeigt auch, wo moderne Rollenspiele meiner Ansicht nach scheitern: an dem Versuch, handhabbar zu sein. Sternenschweif ist ein riesiges Rätsel und fast immer gemein. Und wenn es mal nicht gemein ist und einen mit einer neuen Erfahrungsstufe oder einem tollen Gegenstand belohnt, dann ist das ein großer Moment. Ich habe jetzt gut 20 Stunden Spielzeit hinter mir und gerade einmal eine neue Stufe erreicht. Überschüttet mich Fallout mit Level-Ups und tollen Superwaffen im Halbstundentakt, versucht mich Sternenschweif erst gar nicht bei der Stange zu halten. Ich spiele, weil ich will - und nicht, weil ich nichts verpassen will.

Die Genussmomente sind tatsächlich die langweiligsten: In der Kneipe oder am Lagerplatz ankommen, hübsche Pseudomittelalter-Kitschmusik hören und ein Gähn-Sample. Das sind wirklich tolle Momente.

Ich bin immer noch ein Fan!

Aber, aber, aber. Jowood hat gerade ein 15-Euro-Bundle der Nordlandtrilogie: Keine Überarbeitung, sondern ein Paket mit vorkonfiguriertem PC-Emulator. 15 Euro ist dafür ein fairer Preis. Wer die alten Spiele noch hat, kann sie aber dank D-fend Reloaded auch ohne großen Aufwand wieder auf einem modernen PC oder Mac zum Laufen bekommen. Wie bei vielen alten Spielen ist ein Studium der Tippsforen, in diesem Fall des Nordland-Forums wirklich unumgänglich. Nur so stolpert man nicht in all die Fallen, die Spielefirma Attic damals dachte einbauen zu müssen, um es herausfordernder zu machen oder so.

Und jetzt ist mein Plan auch klar. Ganz ohne Angst, mir die Jugend nachträglich zu versauen, werde ich auch Schicksalsklinge wieder installieren. Das war, als es herauskam, schon technisch sagenhaft veraltet. Aber was für eine Spielkanone. So nah war ein Computerspiel nie an dem Gefühl dran, das eine gute Rollenspielrunde bieten kann: Abenteuer an jeder Ecke, so viel zu erleben - und dabei doch vor allem eine tiefe, erfüllende Atmosphäre von warmen Spielrunden mit Meister, Würfel und Schwarztee.