Erstellt am: 6. 12. 2011 - 16:12 Uhr
Landrausch
Als ich vor ein paar Wochen hörte, dass im Lungau wieder nach Gold gebohrt wird, war ich kurz perplex. Wild West in Salzburg? Dann erzählte mir ein Freund, dass der Goldrausch nicht nur Österreich gepackt hat. In Rosia Montana (Rumänien) will ein kanadischer Konzern die größte Goldmine Europas gefunden haben und nun ausbeuten.
Weltweit findet zur Zeit ein Run auf Gold und andere Rohstoffe wie Silber, Titan, Coltan oder Lithium statt. Die Fördermethoden werden immer kreativer – und absurder. Bisheriger Höhepunkt ist das in den USA praktizierte Fracking, wobei Gase in den Boden gepumpt werden, um Erdgas freizusetzen - und nebenbei ganze Landstriche zu verseuchen – wie übrigens bei der Gewinnung vieler anderer Rohstoffe auch.

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Das derzeitige Interesse an handfesten Werten beschränkt sich jedoch längst nicht auf Bodenschätzen, auch andere Formen der Landnutzung sind betroffen: in den letzten Jahren haben Staaten, Konzerne und Finanzinvestoren in Afrika, Osteuropa und Asien quadratkilometerweise Land gekauft. Viele EntwicklungsexpertInnen sprechen von Land Grabbing (Landraub) und einer "zweiten Aufteilung Afrikas" (nach dem scramble for Africa in den 1870er Jahren) unter fremden Mächten.
Landrausch und Mehrfachkrise
So unterschiedlich die hier genannten Phänomene auch erscheinen mögen, so eng hängen sie doch zusammen, so die These von "Kämpfe um Land". In allen genannten Fällen handelt es sich um Versuche, die derzeitige "Mehrfachkrise" zu lösen. Und überall spielt Land die zentrale Rolle:
- Rohstoffförderung und Landkäufe können als Reaktion auf die Finanzkrise verstanden werden: nach dem Platzen diverser Blasen setzen AnlegerInnen nun auf sichere Anlagen wie Gold, Land oder Nahrungsmittel
- Die massiven Landkäufe sind auch eine Reaktion auf die Nahrungsmittelkrise: durch Kauf oder langjährige Pachtverträge wollen Länder mit knappen Nahrungsressourcen die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicherstellen - oft auch auf Kosten der Bevölkerung vor Ort. Gleichzeitig sind die steigenden Nahrungsmittelpreise auch eine Motivation für Investoren, ihr Geld da anzulegen, wo die Nachfrage nie einzubrechen droht: Essen.
- Der Run auf Ressourcen und Land ist nicht zuletzt auch eine Antwort auf die Klima- und Energiekrise. Diese Antwort hat viele Gesichter: Sie zeigt sich im massiven Anbau von Soja, Mais oder Palmen zur Produktion von Agrotreibstoffen (auch bekannt als Biosprit), im ständig steigenden Interesse an Rohstoffen wie Gallium oder Coltan, die man für neue Formen der Energieerzeugung ebenso benötigt wie für die jeweils neueste Handy- und Laptopgeneration, oder in neuen, aufwändigen Förderverfahren zur Gewinnung alter Energieformen wie Erdgas.

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"Kämpfe um Land" zeigt anhand zahlreicher Beispiele eindrucksvoll und erschreckend auf, dass es sich bei diesen Strategien jedoch nicht um wirkliche Lösungen der multiplen Krise handelt, sondern um die Fortsetzung einer alter Strategie: die ständige Ausweitung der ökonomischen Verwertungslogik ohne Rücksicht auf menschliche Verluste und ökologische Grenzen. Raubbau an der Natur wird weitergeführt oder sogar intensiviert und ist verknüpft mit neuen sozialen Konflikten und Formen der Ausbeutung : im Kongo etwa ist die Jagd nach Coltan, das in jedem neueren Handy zu finden ist, eng mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden. In Tansania führen die Landverkäufe u.a. an Saudi Arabien, Südkorea, aber auch europäische Firmen zu Enteignungen und massiven Landkonflikten.
Im vorliegenden Sammelband „Kämpfe um Land“ beleuchten acht Autornnen unterschiedliche Aspekte des neuen „Landrausches“. Im Einleitungskapitel zeichnen Elmar Altvater und Margot Geiger eindrucksvoll zentrale Zusammenhänge zwischen aktuellen Krisen und dem neuen Interesse an Land und seinen Rohstoffen auf. Gleichzeitig sprechen sie so viele Themen an und beziehen sich auf so viele theoretische Grundlagen, dass die Nachvollziehbarkeit der Darstellung etwas leidet.
In den weiteren Kapiteln werden unterschiedliche Aspekte des neuen Runs auf Rohstoffe und deren gesellschaftliche Gefahren aufzeigt, wie das starke Interesse an Biomasse, dem Rückkehr des Bergbaus oder – in einem besonders ausführlichen Kapitel – dem Phänomen des Land Grabbings. Meist enthalten die Kapitel neben aktuellen Analysen auch einen historischen Abschnitt, der aufzeigt, wie eng bestimmte Formen der Rohstoffausbeutung immer schon mit der Ausbeutung von Menschen und ganzen Gesellschaften zusammenhängen.

Mandelbaumverlag
Andreas Exner/Peter Fleissner/Lukas Kranzl/Werner Zittel (Hg.): "Kämpfe um Land. Gutes Leben im post-fossilen Zeitalter." Erschienen im Mandelbaumverlag
Das hilft zum einen dabei, aktuelle Ereignisse einzuordnen. Gleichzeitig nimmt der historische Abschnitt teilweise viel Raum ein, den man bei der Darstellung aktueller Entwicklungen bisweilen vermisst. So ist die größte Stärke des Buches gleichzeitig wohl seine größte Schwäche: es will zu viel auf zu wenig Seiten. So viele Themen, so viele Betrachtungsweisen, und dafür einfach zu wenig Platz.
Was tun?
Im letzten Kapitel stellt Andreas Exner noch die wohl entscheidende Frage: wie weiter in einer Zeit der multiplen Krise, die durch das Schrumpfen unserer wichtigsten Rohstoffreserven – ein Thema, dem ebenfalls ein Kapitel gewidmet wird – noch verschärft wird?
Erneuerbare Energien können dabei bestenfalls ein Teil der Lösung sein, führt die Ausbeutung der dazu notwendigen Ressourcen dabei doch oft zu neuen ökologischen und sozialen Problemen und Konflikten und sprengt die Kapazitäten unseres Planeten. Konsequenterweise fordert Exner, den Wachstumszwang der heutigen Gesellschaft zu brechen - zudem müssten wir unsere Konsummuster verändern. Dies könne aber nicht nur durch individuellen Konsumverzicht gelingen, sondern erfordere einen radikalen Wandel unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems in Richtung einer solidarischen Postwachstumsökonomie.
Solche Forderungen klingen utopisch. Dass sie mittlerweile aber in einem Buchprojekt geäußert werden können, das im Rahmen eines Projekts des Klima- und Energiefonds der Bundesregierung entstanden ist, lässt vielleicht ein wenig Hoffnung aufkommen. Denn wie Exner schreibt, haben wir die Zukunft unseres Energie-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems selbst in der Hand. Das Buch "Kämpfe um Land" gibt wichtige Anhaltspunkte dafür, wohin dabei die Reise gehen muss.