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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

6. 12. 2011 - 13:12

Oh Fortune!

Elf Songs über das Schicksal und das Kreisen des Glücksrades. Dan Mangans "Oh Fortune" ist unser Album der Woche.

"O Fortuna velut luna, statu variabilis,
semper crescis aut decrescis"

(O Fortuna, ca. 13. Jahrhundert)

Es ist eine Anklage gegen das Schicksal und die römische Göttin des Glücks. In "O Fortuna", einem Gedicht der Text- und Liedersammlung Carmina Burana, entstanden zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert, wird das Glück wie ein Eisblock beschrieben, der einem zwischen den Fingern wegschmilzt, wie der Mond, der sein Aussehen ständig verändert. Das Schicksal wird als monströs und widerwärtig geschildert, "semper dissolubilis", und immer kommt am Ende nichts dabei heraus. In der letzten der drei Strophen tritt das Ich hervor, bedauert sein eigenes Schicksal, denn selbiges streckt einen nieder, wie mit einem Schwert.

Dieser Trauergesang ist nicht der alleinige Inhalt, aber zumindest der Ausgangspunkt für "Oh Fortune", dem dritten Album des kanadischen Wunderkindes Dan Mangan, auf dem der Künstler auf elf Songs die Irrungen und Wirrungen des Schicksals verhandelt. Gleich der erste Song zwingt uns vor dem hypnotischen Wirbeln des Glücksrads zu verweilen, eine liebliche Rummelplatz-Melodie, die uns gefangen hält.



How Darwinian

Ein Album über Menschen, deren Leben vom Schicksal bestimmt wird, ist ein mächtiges Unterfangen: Dan Mangan gelingt es, dies mit kleinen Geschichten festzumachen, so auch auf dem Albumcover.

Albumcover "Oh Fortune"

Dan Mangan

Es zeigt eine Prozession auf einen Berg Ende des 19. Jahrhunderts: Jedes Jahr vollzogen bis dahin hunderte Menschen dieses religiöse Ritual zu Fuß. Doch mit der Erfindung des Automobils veränderte sich auch die Mobilität: Nun wird das religiöse Ritual von der Technologie eingeholt, es wird das Auto genommen, um Gott zu huldigen. Die engen Straßen und der viel zu kleine Berg verkraften jedoch die Masse an Autos nicht, es bricht Chaos aus. Hier handelt es sich um ein subtiles Beispiel für all das, was dieses Album ausmacht: In jeder Zeile spürt man eine Obsession für die Veränderungen unseres Lebens, für jeden Atemzug, der uns in eine neue Richtung bläst, oft von Menschenhand erzwungen. Mangan beschreibt das gut im zweiten Stück "How Darwinian": "People don't know what they want, they just know they really want it. I should know better by now".

Dan Mangan

Dan Mangan

Dass es sich bei Dan Mangan um einen Grübler handelt, hätte man sich eigentlich schon denken können. Der heute 28-Jährige galt schon in seiner Jugend in seiner Heimatstadt Vancouver als Wunderknabe. Er gewann zahlreiche Preise und sein berührendes erstes Album "Postcards And Daydreams" ist ein grandioses, intimes Meisterwerk im Stile Elliott Smiths, viel zu wenig beachtet, weil bei uns nur als Import zu bekommen. Trotzdem großartig, weil an vielen Stellen nicht nur schüchtern, sondern melodieverliebt optimistisch. Mit Album Nummer zwei "Nice, Nice, Very Nice" und der im Titel verborgenen Kurt Vonnegut-Referenz gelingt Mangan dann der internationale Durchbruch, immer wieder vermischt mit literarischen und philosophischen Verweisen, gespickt mit einer teils satirischen Leichtigkeit und Herangehensweise an die Probleme der Menschheit: Roboter-Liebe zum Beispiel im Song "Robots". Dan Mangan sieht nicht nur ein bisschen aus wie Seth Rogen, er kann auch ähnlich lustig sein.

Dan Mangan

Dan Mangan

Regarding Death And Dying

"Oh Fortune" ist aber aus einem anderen Holz geschnitzt. Es beinhaltet zwar immer noch Mosaiksteine früherer Alben, aber noch nie klang Mangan so experimentell und soundverliebt wie hier. Tagelang habe er sich im Proberaum eingeschlossen, mit "Lärm" gespielt in der Hoffnung etwas zu erschaffen, das man so noch nicht gehört hat oder das zumindest mehrmaliges Hören erfordert, um es zu verstehen. So gelingt ihm ein atmosphärisches Sounduniversum, die Songs hängen zusammen, brodeln am Beginn, knattern, streuen Nebel aus, und dann bahnt sich langsam eine Gitarre hindurch, erstickt fast am Nebel, hat aber noch genug Kraft, um ein Klagelied zu singen. Hier handelt es sich um kein gewöhnliches Songwriter-Album eines weiteren bärtigen Schreiberlings, Mangan tritt damit vielmehr in die Fußstapfen von Bon Ivers letztem Werk, immer bemüht seinen Melodien etwas Neues abzuringen.

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Dass es sich dabei um ein Konzeptalbum handelt, wird recht rasch offensichtlich: Themen wie das Älterwerden, Tod, Traumata, Krieg und Verlust bestimmen die Texte. "Post-War-Blues", die erste Single, trägt das Trauma im Titel, andere wie "If I Am Dead" oder "Regarding Death And Dying" setzen sich mit dem Sterben auseinander. In einem Song heißt es, dass man den Tod überwinden müsse, um sein Leben genießen zu können. Dabei erzählt Mangan eine Anekdote seines Vaters. Einem Mann, der in seinen 40-ern behauptet hat, dass dies die Blütezeit seines Lebens gewesen sei. Nur um dann in seinen 50-ern und später in seinen 60-ern seine Blütezeit um ein weiteres Jahrzehnt nach hinten zu schieben. Eine gesunde Einstellung zum Leben, die das ganze Album durchzieht. In "Rows of Houses" bedient sich Mangan einer Geschichte von Stephen King, "The Body", später bekannt durch die Verfilmung "Stand By Me". Auch hier hält er am Moment fest, selbst wenn die Welt sich weiterdreht.

Das Schöne an diesen elf Songs ist ihre Unaufgeregtheit. Wie gesagt, ein Album über Menschen zu schreiben, deren Leben vom Schicksal bestimmt wird, ist ein schwieriges Unterfangen. Vor allem, wenn man selbst mitten drin steckt.





Dan Mangan ist trotzdem ein kleiner Geniestreich gelungen, ein Werk, das man öfters hören muss, um es zu fassen. Es enthält keine Hit-Single, kein Stück, das man offensichtlich hervorheben müsste. Die Gesamtheit der kleinen Teile macht es aus, ganz wie im Leben. Man denke nur an das triumphierende Saxophon-Solo im Schluss-Stück "Jeopardy". Das Glück, das is doch sowieso nur a Vogerl.