Erstellt am: 5. 12. 2011 - 13:08 Uhr
Glatzen, die die Welt verändern
Zu Jahresende mehrt sich die Biographien-Dichte im (warum auch immer das so heißt) gut sortierten Buchhandel. Die Biographie ist das Weihnachtsgeschenk mit der geringsten Fehleranfälligkeit. Interessante Menschen sind ja per se interessant und in den meisten Fällen ist ihr Leben zwischen zwei Buchdeckeln ebenfalls eine interessante Lektüre. Wer selber nicht schreiben kann oder sich über die Peinlichkeit eines Ghostwriters (ja, ich meine dich, Philipp Lahm!) nicht drüber traut, lässt schreiben. In manchen Fällen überraschend gut, in anderen wenig überraschend mies.
Bertelsmann
700 Seiten voller bizarrer Anekdoten, Zitaten von Jobs schlimmsten Feinden und einer präzisen Analyse seiner Persönlichkeitsstörungen.
Zwei Männer in Schwarzweiß
Steve Jobs war ein durchschnittlicher Ingenieur und fantastischer Marketing-Macher, den viele für den Messias unserer Zeit halten. Erwin Pröll ist ein ganz normaler österreichischer Landeshauptmann, den viele für den König von Niederösterreich halten. In erster Linie die beiden Autoren.
Männer mit Glatze, schwarzem Oberteil und Jeans, schwarz-weiß fotografiert, saulässige Pose. Die Bildsprache der Buchcovers scheint in diesem Jahr keinen Unterschied zwischen Palo Alto und Radlbrunn zu kennen. Ansonsten sieht die Steve-Jobs-Biographie aus wie jedes andere Apple-Produkt. Weiß, schlicht, teuer. Erwin Pröll hingegen eröffnet die Auseinandersetzung mit einer optisch eher an eine klassische Tagcloud erinnernden Wortbombe. "Profil eines Politikers" ist da zu lesen, außerdem: "zum glück gewinnt immer die zuversicht", ganz lässig in Kleinbuchstaben, voll auf die Internet-Generation zugeschnitten und so.
Der Messias
Das Timing war wie der feuchte Traum eines jeden Verlegers. Da arbeitet ein Autor jahrelang an einer Biographie, und dann stirbt der Protagonist des Buches. Das wiederum wird punktgenau fertig und erscheint häppchenweise Tag für Tag in allen Zeitungen der Welt. Walter Isaacson hat Jobs jahrelang begleitet und mit Freunden sowie Feinden gesprochen. Die große Skepsis, mit der ich die ersten Seiten lese, verfliegt sehr schnell. Wider alle Erwartungen lese ich hier kein Evangelium, sondern die Lebensgeschichte eines psychisch höchst gestörten Fanatikers, der genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Der Versuchung, frühkindliche Erlebnisse mit dem späteren Schaffen zu verknüpfen, entgeht aber auch Isaacson nicht. So erklärt er die Apple-Philosophie "Gerät auspacken, Gerät einschalten, Gerät benutzen" mit dem Erlebnis einer Kalbsgeburt: "Er (Anm.: Jobs) sah, wie das Kalb geboren wurde, und war überrascht, als das winzige Tier sich schon nach wenigen Minuten aufrappelte und gehen konnte". Aber das ist neben der seltsamen Apfel-Kommune die einzige Erwähnung landwirtschaftlicher Inspiration. Ganz im Gegenteil zu:
Styria Premium
262 Seiten voller direkter Zitate, ausufernder Promi-Bilderstrecken und einem Anhang, in dem die persönlichen Interview-Notizen des Interviewten abgedruckt sind.
Der König
Bei Helmut Gansterer und Christiane Scholler kommt die Kindheits-Keule weniger subtil daher. Prölls immer gern verwendete Nothelfer-Montur (Gummihaut und Gummistiefel) erklären sie sich mit einem Brand im Dorf. Der kleine Erwin war sehr schockiert. "Viele Großstädter, die mit den Urgewalten der Natur nicht so vertraut sind, sprechen das Wort Helfersyndrom verächtlich aus. Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, dass meine Betroffenheit vor Ort immer echt ist und so stark blieb wie damals, als ich voller Entsetzen 'Feuer!' schrie", wird "EP" zitiert, dessen direkte Rede gefühlte 50 Prozent des Buches ausmachen. Es ist immer wieder das panisch verklärte Landleben, das in der Pröll-Biographie als Antriebsmotor für den "politischen Spätentwickler" herhalten muss. Am schlimmsten kommen die Menschen aus der Stadt weg. Sie haben nie gelernt, sich durchzusetzen und bleiben - laut Buch - deshalb immer in der mittleren Management-Ebene stecken. Während die Buben vom Land (die Frauen sind meistens nur Mutter und Oma) mit ihren vielfältigen Talenten das Land in Schuss halten.
Das Ziel
Eine Biographie ist eine Biographie und eigentlich überhaupt nicht. Walter Isaacson gibt vor, die Lebensgeschichte eines Adoptiv-Kindes mit gestörter Realitäts-Wahrnehmung aufzuschreiben, das die Fähigkeit besitzt, gute Ideen zu stehlen und besser zu machen. Was er allerdings abliefert, ist eine an einer interessanten Person aufgehängten Erzählung einer zukunftsweisenden Epoche voller Garagenfirmen, 25-jährigen Millionären und Aufsichtsrats-Sitzungen, die an Schulhofstreitereien erinnern.
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Helmut Gansterer (das ist übrigens dieser Profil-Berufsoptimist) und Christiane Scholler sind laut Einleitungstext "auf du und du" mit dem Landeshauptmann und geben vor, die Lebensgeschichte eines für Österreich nicht so untypischen Politikers aufzuschreiben. Was sie allerdings abliefern, ist eine mit unzähligen Promi-Fotos auf Hochglanzpapier aufgefette Anekdotensammlung voller hanebüchener Interpretationen, warum denn unser Erwin nun eigentlich der beste der Welt und überhaupt ist. Dass das Buch "vertikal statt horizontal" angeordnet und somit urfrech und hypertextmäßig funktionieren soll, ist eine glatte Übertreibung. Außerdem fallen Sätze wie dieser über das anscheinend wirtschaftlich so potente Niederösterreich, und das völlig ohne ironischen Bruch:
"Es ist nicht mehr das Land der Äcker und Felder und Wälder allein, aber auch immer noch. Es ist nicht mehr das Land, in dem zwei Brennpunkte genügten, eine ideale Ellipse darzustellen, die Kirchtürme der Christkatholiken als Symbol der Gläubigkeit und die die Silos der Raika als Symbol des Wohlstands."
Auch Isaacson hält seine Bewunderung für die Figur Steve Jobs nicht zurück. Aber er schlachtet auch dessen emotionale Unfähigkeit, seine fiesen Tricks und vor allem menschlichen Feindschaften genüsslich aus. Erwin Pröll ist auch nach dem Buch nicht mehr als ein von Journalisten und Künstlern geliebter Landesvater, für den die Demokratie eine zeitintensive Notwendigkeit seiner Lehensherrschaft darstellt. Doch dafür brauche ich kein eigenes Buch, sondern einfach nur eine durchschnittliche Ausgabe der NÖN.