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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

4. 12. 2011 - 16:33

Der wahrhaftige Volkskontrolleur

Der erste Teil von Andrej Kurkows Trilogie erscheint auf Deutsch. Im Interview spricht der Autor von Geschichtsaufarbeitung in seiner Heimat und der damaligen Bedeutung von Teetrinken.

Ein poetischer Papagei, ein vom Himmel herabgestiegener Engel, ein verliebter Schuldirektor und ein einfacher Mann vom Land, der zum Volkskontrolleur der gesamten Sowjetunion ernannt wird – sie alle sind die Hauptfiguren in Andrej Kurkows Roman „Der wahrhaftige Volkskontrolleur“. Das Buch, ein Besteller in Russland, ist jetzt auch auf Deutsch erschienen.

Schon nach wenigen Seiten wird klar: Andrej Kurkow ist ein Mann, der das Absurde liebt und über großes geschichtliches Wissen seiner Heimat verfügt. In Russland geboren, lebt er seit frühester Kindheit in der Ukraine. Schon als Student hat sich Kurkow mit der reichen Geschichte der ehemaligen Sowjetunion auseinandergesetzt, ist durchs Land gefahren und hat Interviews mit den Einheimischen gemacht. Diese hat er in seine Romantrilogie, die mit „Der wahrhaftige Volkskontrolleur“ beginnt, einfließen lassen. Große und kleine Abenteuer passieren da in seiner Sowjetunion der 1920er bis 1980er Jahre. Pointiert und mit viel Phantasie und Witz geschrieben.

Andrej Kurkow war vor kurzem im Rahmen der Buch Wien 2011 in Wien und zum Interview im FM4-Studio.

Eine der Hauptfiguren ist der Volkskontrolleur, ein einfacher Bauer, der in den 20er Jahren alles - Produkte, Menschen und Tiere - in der ehemaligen Sowjetunion kontrollieren soll. Es gibt so viel Absurdes im Buch – gab es so jemanden wie diesen Volkskontrolleur damals wirklich?

Buchcover

haymon verlag

"Der wahrhaftige Volkskontrolleur" ist 2011 im Haymon Verlag erschienen.

Eigentlich ja. Es gab damals eine Stelle, die Volkskontrolleur hieß. Jede Fabrik, jedes Geschäft hatte einen Kontrolleur, der die Qualität der Güter überprüfen musste. Mit einem fünfeckigen Stern mussten die Waren abgestempelt werden.

In ihrem Roman wird nicht nur Vodka, sondern auch sehr viel Tee getrunken. Hatte das Teetrinken eine besondere gesellschaftliche Bedeutung?

Die gut ausgebildeten Menschen tranken die ganze Zeit Tee, ja. Als ich ein Kind war, lud meine Großmutter, eine Stalinistin und Leiterin eines Kindersanatoriums, zwei Mal pro Woche ihre Freunde – Professoren und Ärzte – zu sich auf ihre Veranda ein. Das war meist am Abend, und da gab's dann Schinken, Cognac und eben Tee. Dabei wurde über Kultur, über Bücher und Theaterstücke geredet. Interessanterweise nie über Politik.

Sie leben in der Ukraine, schreiben aber auf Russisch. Wie steht es denn in der Ukraine mit der Aufarbeitung der Vergangenheit?

Andrej Kurkow

haymon verlag

Der ukrainische Bestsellerautor Andrej Kurkow ist 1961 in Russland geboren. Er spricht sieben Fremdsprachen, darunter auch fließend Deutsch. Er war früher Journalist, Gefängniswärter und Kameramann. Seine Bücher sind bereits in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Die Romane „Picknick auf dem Eis“ und „Der Milchmann in der Nacht“ waren internationale Verkaufsschlager.

Über die Vergangenheit sprechen die ethnischen Ukrainer nicht sehr gerne. Sie denken, dass sie von den Russen in der Sowjetunion okkupiert wurden, was ja falsch ist. Weil drei der großen Chefs der Sowjetunion waren aus der Ukraine – Tschernenko, Chruschtschow und Breschnew. Viele kommunistische Ukrainer wollten eine große Karriere im Kreml machen, und einige haben das ja auch geschafft. Aber darüber reden die Ukrainer nicht sehr gerne.

Der Kreml in Moskau spielt auch eine große Rolle in Ihrer Geschichte. Sie beschreiben genau, wie es da aussieht, die unterirdischen Gänge, usw. Waren sie selbst schon mal im Kreml?

Ja viele Male. Aber natürlich nicht unter dem Kreml, wo es aber wirklich eine Stadt gibt, die für den Fall eines Atomkrieges gebaut wurde. Rund 5.000 Leute könnten dort 2-3 Jahre überleben, so viele Lebensmittelvorräte gibt es. Das kommt in meinem Buch aber nicht vor. In der Geschichte ist etwas anderes unter dem Kreml.

Da verraten wir jetzt aber nicht. Aber vielleicht soviel – In „Der wahrhaftige Volkskontrolleur“ gibt es eine besonders witzige Figur, den sprechenden Papagei, der auch im nächsten Teil Ihrer Trilogie vorkommt. Was wird denn mit ihm noch passieren?

Der Papagei Kusma hat ja ein sehr gutes Gedächtnis. Er erinnert sich an hunderte Gedichte von sowjetischen Autoren und reist mit seinem Herren durchs Land, um die Gedichte in Theatern, vor Arbeitern oder in Clubs zu rezitieren. Einmal, nach dem Zweiten Weltkrieg, macht er einen Fehler und wird verhaftet und in den Gulag nach Sibirien geschickt. Dort geht das Abenteuer dann weiter. Mehr will ich aber nicht verraten.

Herr Kurkow, ich freue mich auf den nächsten Band von „Der wahrhaftige Volkskontrolleur“. Danke für's Gespräch!