Erstellt am: 3. 12. 2011 - 21:04 Uhr
Fußball-Journal '11-136.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit Augen-fälligkeiten des Debuts von Thomas von Heesen beim Spiel Kapfenberg - Rapid.
Bemerkenswertester Fakt der aktuellen Bundesliga-Runde ist nicht die Tatsache, dass keines der größeren Teams Interesse an der Tabellenführung hat, sondern die, dass der Tabellenletzte dem Tabellenzweiten auf Augenhöhe begegnete. Und das nicht mit den üblichen österreichischen Mitteln, mit Destruktion, Kampf und Gemattersburge, sondern spielerisch. Kapfenberg war Rapid absolut ebenbürtig.
Kapfenberg hat seit knapp einer Woche einen neuen Coach. Einen Deutschen, Thomas von Heesen, Ex-HSVler, Happel-Schüler, keiner der neuen jungen Trainer-Garde, bei Bielefeld erfolgreich, sonst solala, also einer deutlich hinter Koller, reputationstechnisch.
Nun kann es also nicht so sein, dass so ein Piefke einreitet im Mürztal, und in ein paar Tagen ein bislang unterlegenes Team ebenbürtig macht. Das wäre ja absurd.
Hm.
Ist aber doch so.
Ist deswegen (durchaus erschreckenderweise) doch so, weil es um ganz simple Dinge geht, die in Österreich, in den Taktik-Lehren einfach nicht berücksichtigt werden.
Und so eine Kleinigkeit reicht dann oft schon.
Von Heesens Schnellschuss-Analyse
Thomas von Heesens erste Amtshandlung war, das Spiel der letzten Woche auszuwerten, das (nach dem Abgang von Werner Gregoritsch) von Co-Trainer Manfred Unger gecoacht wurde. Der stellte auswärts gegen Salzburg ein steinzeitliches 5-3-2 hin, verlor zurecht 0:6 und bettelte so implizit um seine Ablöse. Weshalb Von Heesen dann auch Markus von Ahlen als neuen Assistenten einfliegen ließ.
Die beiden hatten nicht viel Zeit. Also sah man sich die Mannschaft im Trainings-Alltag an und stellte die Akteure, die den besten Eindruck machten, in einem auch in Österreich mittlerweile fast jedermann nachvollziehbarem 4-4-2 (flach) hin.
Dass da mit Spirk, Tieber, Pitter oder Mavric eine Menge Leute dabei waren, die Gregoritsch schon für tot erklärt hatte, ist nicht so von Bedeutung; so richtig aussortiert hat Von Heesen nämlich auch keinen der bisherigen Stamm-Akteure.
Entscheidend war auch nicht der Einsatz des bisherigen Trainersohns Michael Gregoritsch, über den sich sein Senior aus dümmlichen Gründen nicht so recht drübertraute. Auch nicht das, was der zur Halbzeit zu melden hatte: dass Von Heesen die ganze Woche davon gesprochen hatte, dass man Rapid schlagen könne - das fällt unter Motivation für Anfänger.
Wie man im Aufbau die Anspielstationen vermehrt
Entscheidend für die neue Augenhöhe des bislang verunsicherten Stockletzten und des Fast-Leaders sind kleine taktische Abstimmungen.
Die entscheidende fand im Aufbau statt. Und Rapid Wien war so freundlich, die Vorher-Variante in diesem Suchbild darzustellen. Schöttels Team baute im Regelfall mit einer fix gestellten Vierer-Abwehr auf. Wenn sich auch die beiden defensiven Mittelfeldspieler fallen ließen, befanden sich zeitweise sechs Rapid-Spieler hinter dem Ball. Für einen kreativ-konstruktiven Aufbau bleiben damit vier Anspiel-Stationen. Das ist dürftig und nach internationalen Maßstäben auch lächerlich.
Der neue KSV unter Von Heesen tat das, was alle Teams, die modernen Fußball praktizieren, tun: da der (normale) Aufbau über die Innenverteidiger erfolgt, schieben die sich auf die Seite, jeweils auf Höhe rechts und links des Strafraums. Damit zwingen sie ihre jeweiligen Außenverteidiger auf die Flanken. Und weil nur eine Vorsichts-Absicherung von einem zentral defensiven Mittelfeldspieler erfolgt, befinden sich beim Aufbau maximal drei Spieler hinter dem Ball. Und haben so sieben Anspielstationen; nicht vier wie beim Gegner, sondern fast doppelt so viele.
Taktische Nachhilfe für bislang Ahnungslose
So machen das alle, von Barcelona abwärts. In Deutschland sowieso, offenbar weiß man auch in Zypern, auch bei Apollon Limassol gut Bescheid.
Rapid, das sei am Rande erwähnt, probierte diesmal etwas Anderes: man kopierte (nach dem Ausfall Hofmanns) die von der Austria erfundene Strategie der Offensive Four - drei wild rochierende Halbstürmer hinter einem Center.
Nur in Österreich ist das unentdeckt und neu.
Gludovatz' Rieder 3-3-3-1 hat dieses Vorwärtsdrücken der Außenspieler bereits ins System integriert - bei anderen Bundesliga-Klubs geschieht das maximal zufällig oder nur einseitig.
Dafür erlauben sich Spieler und Trainer allzuoft das Absingen des nervigen Schlagers "Es gab zuwenig Anspiel-Stationen!".
Genau die kann man schaffen; mit einer Kleinigkeit.
Im übrigen ist das einer der kleinen Tricks, die auch Marcel Koller bei seinem ersten Teamspiel anwandte, weshalb das ÖFB-Team auch ein Spürchen besser aussah. In jedem Fall wäre derlei unter Constantini (aber auch unter Hickersberger) nie passiert.
Letztlich kann man sagen, dass Von Heesen und Von Ahlen eine Sprache beherrschen, die für Gregoritsch/Unger in einem Buch mit sieben Siegeln standen. Und unter den Blinden ist der Einäugige König.
Hoffnung im österreichischen Notstandsgebiet
Thomas von Heesen wird mehr als nur dieses eine Detail (so basic das auch ist), brauchen, um Kapfenberg permanent auf Augenhöhe zu halten.
Dass er das schaffen könnte, das zeigte der Spielverlauf auch sehr schön. In der Halbzeit stellte der Coach von seinem flachen 4-4-2 (also der Notvariante, dem Hühnercurry unter den Systemen) auf ein 4-4-1-1 um, mit Dieter Elsneg hinter Michael Gregoritsch in der offensiven Zentrale. Damit wurde aus einem flankenlastigen Spiel ein variables Konterspiel, auch durch die Mitte.
Auch wie Von Heesen die immer wieder quasi-automatisch vorgeschobenen Außenverteidiger (Pitter bzw Prettenthaler) attackieren ließ, bringt Hoffung in ein diesbezügliches österreichisches Notstandsgebiet.
Apropos Nostand: dass sich die hiesigen Fußball-Medien lieber mit Von Heesens 80er-Jahre-Locken beschäftigen und ihre Phrasen vom Kampf, über den man ins Spiel kam, bedienen, versteht sich.