Erstellt am: 3. 12. 2011 - 12:27 Uhr
Im Netz der Schildermafia
Das Schöne an Berlin ist ja, dass man fast dreißig Jahre in der Stadt wohnen kann und immer wieder überrascht wird, immer wieder interessante Parallelwelten kennenlernt.
Wer zum Beispiel seit zwanzig Jahren kein Auto mehr an-, um- oder abgemeldet hat und nach langer Zeit wieder einmal zur KFZ-Zulassungsstelle, einem riesigen Areal mit roten Backsteinbauten in der Nähe des leeren Tempelfhofer Flughafens fährt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
TSP
Das Internet hat ja alles verändert. Die alten Versicherungsbaracken, die Wohn-und Campingwagen, in denen die Vertreter hockten und auf Kundschaft warteten, gibt es nicht mehr. Ja, liebe Digital Natives, es gab eine Zeit, als man sich noch in den Baracken von Mensch zu Mensch gegenüber saß und ein Formular ausfüllen musste. Ihr werdet lachen, man konnte sich noch nicht mal eine Versicherungs-Doppelkarte runterladen und ausdrucken. Und man hätte nicht im Traum gedacht, dass man eines Tages nur noch einen Code nennen musste, um versichert zu sein!! Die Versicherungsbaracken sind also weg, dafür hat sich ein anderes zwielichtiges Gewerbe, die sogenanne “Schildermafia” ihr eigenes Quartier, auf einem alten Friedhofsgelände konstruiert.
TSP
Auch in der Zulassungsstelle ist alles anders. Während man früher etwa drei Stunden, nach dem Mauerfall bis zu sechs Stunden warten musste, während es früher zu Tätlichkeiten zwischen genervten Autobesitzern und Berliner Beamten kam, die so weit eskalierten, dass gestreikt wurde, ist jetzt alles easy going. Termine kann man im Internet machen und auch wer keinen Termin hat und frühzeitig da ist, ist nach einer Stunde durch. Die Beamten sind von einer heiteren Gelassenheit, hilfsbereit, serviceorientiert, man glaubt zu träumen. Nachforschungen haben ergeben, dass alle Mitarbeiter des Hauses zu einer Schulung mussten, seither hat sich der Umgangston wohl sehr verbessert.
TSP
Nach dem bürokratischen Teil schicken die gütigen Beamten ihre Kundschaft vor das Haus, um Autoschilder anfertigen zu lassen und weisen fürsorglich darauf hin, dass man vorsichtig sein müsse und es große Preisunterschiede gäbe.
Kaum tritt man vor die Tür ist man von mehreren muskulösen Bodybuildertypen und energischen Frauen, die Rabatte anbieten umringt, und wird zu einer Schilderanfertigungsbaracke geschleppt.
TSP
Es sind Szenen, die man als europäischer Tourist aus dem arabischen und auch asiatischen Raum, aber auch als Teil einer Männergruppe von der Hamburger Reeperbahn her kennt. Ein Ausbrechen oder Umkehren ist unmöglich. In der Baracke angelangt, will der Schildermacher gleich die Formulare an sich nehmen und losdrucken. Besteht man darauf den Preis vorher zu erfahren, wird euphorisch verkündet man könne einen tollen Rabatt bekommen und statt 75 nur 60 Euro zahlen.
Aber natürlich hat sich die erfahrene Berlinerin vorher informiert und lässt sich nicht reinlegen. Nach harten Verhandlungen mit vielen verschiedenen Gliedern dieser Dienstleistungskette wird man in eine weitere Baracke geführt und berappt dort 20 Euro für beide Schilder .Der ältere Mann, der vorher dran war zahlt allerdings mehr als das Dreifache.
In späteren Recherchen zum Thema liest man in den gängigen Blättern, eine libanesische Mafia hätte den Markt im Griff und würden die ehrbaren Berliner Schildermacher verdrängen. Das ist natürlich klare rassistische Hetze - in Wirklichkeit arbeiten hier Jugendliche mit arabischem Migrationshintergrund, Frauen aus dem osteuropäischen Raum und so genannte Biodeutsche in multikultureller Eintracht friedlich zusammen um die Berliner Autofahrer so richtig auszunehmen.