Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 217."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 12. 2011 - 22:53

Journal 2011. Eintrag 217.

Boring but important. Über Crouch zu Schlaff.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Assoziations-Kette.
Tag under: Crouch, Colin; Wolf, Armin; Post-demokratie; Post-journalismus; Reimon, Michel; Die Vier Da; Die Staatskünstler; Maurer, Thomas; Scheuba, Florian; Henning, Rupert; Palfrader, Robert; Steindling, Rudolfine; Schlaff, Martin.

Es begann mit der Anwesenheit von Colin Crouch, dem Erfinder des Begriffs Postdemokratie, zum Zwecke der Vorstellung seines neuen Buches.

Crouch hat das das befremdliche Überleben des Neoliberalismus behandelt. Ich habe aber, auf Basis eines Twitter-Hinweises, einen alten (2007er), aber ausgenommen kühl analysierenden Text von Armin Wolf wiedergelesen, in dem er ein paar der Crouch-Basisthesen mit bösen, aber nötigen Fragen konterkariert und zum Schluß kommt, dass die der Postdemokratie entgegengestellte Lobhudelei auf demokratische Blütezeiten in den 50er - 70ern bewußt aufgepimpter Nonsens wären. Weder Politik noch Medien waren in dieser Phase offener, transparenter oder demokratischer als heute. Wolfs Schluß: das Angebot ist da, besser denn je - bloß genutzt wird es zunehmend weniger. Weshalb er sich dann in der Einschätzung der Entwicklung (was etwa Partizipation oder Legitimität betrifft) wieder mit Crouch trifft. Sehr nachdenklichmachender Text, der schon 2007 den Kern von 2011 trifft.

Crouch, Wolf, Postdemokratie, Postjournalismus...

Nebenbei fällt mir, assoziativ wegen Postdemokratie, ein dass Michel Reimon ein Buch über den von ihm geprägten Begriff des Postjournalismus schreiben will und wie er das in einer Art vorab veröffentlichtem Vorwort begründet. Das erzählt uns eine Menge über das österreichische Sachbuch-Wesen, finde ich.

Zurück zu Wolf: der wirft mitten in seiner Analyse zur fundamentalen Vertrauenskrise, der Spirale des Zynismus (die sich mittlerweile von der Politik in die Medien verlagert hat) einen hübschen Gedanken hinein: ein gewitztes Printmedium hatte einmal die Kolumne "Boring but important" erfunden, und so versucht den Lesern/Usern nichts vorzumachen; sondern so die todtraurige Wahrheit gewitzt näherzubringen. Dass nämlich die wirklich relevanten (und lebensverändernden) Themen sich nicht in der thrilligen Schlagzeile, sondern im übersehbaren Subtext tummeln.

Der Optimalfall wäre natürlich dann gegeben, wenn das Langweilige/Komplexe durch gewitzte Dramaturgie auch noch unterhaltsam daherkommen würde.

Scheuba, Maurer, Henning, Palfrader, Staatskünstler...

Mich hat das sofort an mein diesbezügliches Lieblingsbeispiel erinnert: die politische Satire Die Vier Da, vor allem ihre Meisterwerke der gesellschaftspolitischen Decouvrage, vor allem ihrem Portrait des österreichischen Oligarchen Martin Schlaff.

Dass just heute eine der wesentlichen Baustellen des weitverzweigten Imperiums, die DDR-Millionen der Rudolfine Steindling in die Schlagzeilen fanden, ist tatsächlich nur ein netter Zufall.

Letztlich setzt sich der noch dazu in eine effiziente Dramaturgie gepreßte Ansatz des "Boring, but important" auch beim neuen Projekt von Scheuba/Maurer und Konsorten durch.
Wir Staatskünstler, am Dienstag mit echter, gestern mit TV-Premiere, fort.

Genauso wie bei ihrer Lesung der Meischbergerschen Telefon-Protokolle nehmen sie sich da letztlich durchaus trockener, aber wichtiger Stoffe an. Auch diesmal gab es wieder Lesungen aus echten (und nüchtern-faden) Dokumenten. Die dann, wenn sie gut beleuchtet, formal originell umgesetzt und an den richtigen Stellen mit Leuchtstift unterlegt sind, tatsächlich einen Mehrwert erreichen.

Boring but important, als Waffe gegen Bieder-Journalismus

Ich denke, dass das jede "Boring, but important"-Kolumne auch können kann; wahrscheinlich sogar muss.

Denn mittlerweile genügt es eben nicht mehr wie zu Zeiten einer von Colin Crouch womöglich nur in einem "gute-alte-Zeiten"-Reflex imaginierten Demokratie-Hochblüte Wichtiges einfach nur hinzustellen und davon auszugehen, dass es sich den Weg in die Köpfe und Herzen einer kritischen Masse bahnen wird. Heute, wo - auch in noch größerem Umfang als 2007 - alle Information verfügbar ist, ist die über den üblichen und nichtssagenden Bieder-Journalismus weit hinausreichende offene Ausschilderung, eine Art Intentions-Deklaration, die bewußte Bereitstellung von dramaturgischen Tools die allererste Bügerpflicht.