Erstellt am: 5. 12. 2011 - 17:44 Uhr
Urknall einer Legende
Eines muss ich gleich vorausschicken: wohl keine andere Videospielserie hat meine persönliche Liebesbeziehung zum Gaming so nachhaltig beeinflusst und gelenkt wie The Legend of Zelda. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Siebenjähriger in der Wohnung meiner älteren Schwester saß und wir gemeinsam versucht haben, den nächsten Tempel zu lokalisieren – oder überhaupt zu begreifen, in welche der vier Himmelsrichtungen wir weiter stapfen müssen. Gestorben, das ist man damals im Fünfminutentakt. Nie vergessen werde ich das penetrante Piepsen, wenn man nur mehr ein Herz in der Lebensanzeige rot aufgefüllt hatte. Ob ich "The Legend of Zelda (1986)" jemals durchgespielt habe? Ich weiß es nicht mehr. Vermutlich aber nicht.
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Als ich das Spiel unlängst in der Virtual Console der Wii spielte, bin ich grad mal bis zum dritten Tempel gekommen. Times are a-changin', wie schon Bob Dylan wusste. Was ich hingegen lange Zeit nicht wusste, ist, wie stark die unter anderem von Nintendo-Think Tank Shigeru Miyamoto entwickelte Reihe von westlicher Phantastik beeinflusst gewesen ist.
Die mittelalterlich eingefärbten Visionen von Burgen, Burgfräuleins, Rittern und kriegerischen Skeletten (Ray Harryhausen lässt grüßen) haben vermutlich einen Gutteil dazu beigetragen, dass „The Legend of Zelda“ jenen weltweiten Siegeszug antreten konnte, der etwa dem japanischen RPG-Dinosaurier Dragon Quest nach wie vor verwehrt bleibt.
Wassertempelverzweiflungstaten
Ich jedenfalls war hin und weg: endgültig hysterisch und grenzenlos leidenschaftlich wurde ich dann (gemeinsam mit Millionen anderen) mit "The Legend of Zelda: Ocarina of Time (1998)". Noch nie zuvor (und seither auch nie wieder) wurde ich als Spieler so bruchlos und überzeugend in eine virtuelle Welt hinein gezogen, noch nie musste und durfte ich mich so eng mit einer Figur identifizieren wie mit dem kleinen Kokiri-Jungen Link, der eigentlich (SPOILER) gar kein Kokiri ist, nie wieder hat mich eine Herausforderung dermaßen in die Knie gezwungen, wie jene des verdammten Wassertempels in diesem Spiel.
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Zur Erklärung für Nicht-Eingeweihte: in jenem auf dem Grund des Hylia-Sees befindlichen Dungeon konnte und musste man mittels einer Schaltmechanik den Wasserstand innerhalb des Tempels auf drei verschiedene Pegel heben und senken – was dann natürlich gewisse Areale zugänglich gemacht oder eben versperrt hat. Mehrere Tagelang habe ich mich darin verloren und ich weiß auch noch, dass ich vor lauter Wut darüber einen meiner N64-Controller so lang auf den Boden geworfen habe, bis er kaputt ging. Ein bisschen schäme ich mich immer noch dafür.
Hyrule zum Hören
Vor einem guten Monat bin ich schließlich sogar extra nach London geflogen, um die zwischen Epik und zauberhafter Intimität mäandernde Spielmusik von Komponistenlegende Koji Kondo endlich einmal live vorgespielt zu bekommen – und zwar vom Royal Philharmonic Orchestra. Es war ein unheimlich bewegendes Erlebnis, das angemessen altmodische HMV Hammersmith Apollo randvoll gefüllt mit alten und jungen Gamern, mit Links, Goronen und Zoras zu sehen. Als dann die ersten Symphonien über mich hinweggerollt sind und hinter dem Orchester eine Videowall die Höhepunkte der Zelda-Reihe Revue passieren ließ, da ist mir dann tatsächlich eine Träne über die Wange gelaufen.
http://www.computerandvideogames.com/323903/magical-zelda-25th-anniversary-concert-enchants-london/?cid=OTC-RSS&attr=CVG-General-RSS
Skyward Sword
Nach dieser Ouvertüre kann man sich vermutlich ausmalen, wie sehr ich mich auf das insgesamt sechzehnte Spiel der Reihe, nämlich "Skyward Sword" gefreut habe. Und was soll ich sagen: keine Sekunde meiner Vorfreude war umsonst. Ganz so, als wollten die Nintendo-Entwickler dem Hi-Def-Hype der Konkurrenz mit seinen ganzen Superscharfbildern eine entspannte und überwältigende Alternative vor den Latz knallen, präsentiert sich die Spielwelt in impressionistischer Grafik. Statt bis in den Hintergrund scharf zu bleiben, knallen einen die Farben des Handlungsraums in eine andere Welt, während der Hintergrund wie in einem Monet-Gemälde Abstraktion bleibt.
"Skyward Sword" ist ästhetisch die Fusion der zwei parallel verlaufenden Zelda-Stränge: einerseits die realistisch-düstere Welt von Episoden wie "Ocarina of Time", "Majora’s Mask (2000)" und "Twilight Princess (2006)". Andererseits der cartooneske Cel-Shading Look von "The Wind Waker (2003)" und den DS-Inkarnationen "Phantom Hourglass (2007)" und "Spirit Tracks (2009)". Trotz der allgemeinen Aufhellung der Bildebene und dem grundsätzlich freundlicheren Look stellt sich beim Spieler schnell Unbehagen ein. Und das liegt vor allem an der filmreif inszenierten Story.
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Link ist Student an der "Knight’s Academy" in "Skyloft", einer im Himmel schwebenden Landmasse und vereinzelt durch die Luft treibenden Satelliteninseln. Der Legende nach hat die Göttin, die immer noch verehrt und angebetet wird, mit letzter Kraft "Skyloft" kreiert, nachdem dunkle Kreaturen "die Oberfläche" erobert hatten. Link jedenfalls muss, um Ritteraspirant werden zu dürfen, eine so genannte "Wing Ceremony" bestehen: jeder Bewohner von "Skyloft" ist sein Leben lang mit einem gigantischen Vogel (Avatar lässt grüßen) verbunden, der ihm bis in den Tod folgt.
Bei der Zeremonie geht es darum, wer es zuerst schafft, ein Artefakt aus den Klauen eines flüchtenden Vogels zu reißen. Link gewinnt natürlich: aber beim anschließenden (recht romantischen) Siegesflug mit Prinzessin Zelda leuchtet der Himmel, begleitet von einem Donnern, auf, und die holde Maid stürzt durch die Wolkendecke gen "Oberfläche". Anhand von magischen Portalen gelingt es Link, in insgesamt drei Arealen nach Zelda zu suchen. Aber das ist erst der Anfang seiner Odyssee.
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Drei
"Faron Woods", "Eldin Volcano" und "Lanayru Desert": so heißen die Gebiete, die Link auf seiner Queste erforschen muss. Immer mit dabei ist das "Skyword Sword", dessen Klinge sich, sobald sie himmelwärts gerichtet wird, mit einer göttlichen Energie auflädt. Im Schwert selbst haust auch Phi, eine eigentümliche, blaue Wesenheit, die Link während seines Abenteuers mit Rat zur Seite steht und damit die Rolle der (nervtötenden) Fee Navi aus "Ocarina of Time" übernimmt. Entgegen vieler Vermutungen werden selbst geübte Spieler von ihren Ratschlägen Gebrauch machen, denn "Skyward Sword" ist vom Schwierigkeitsgrad her eine Herausforderung. Hauptsächlich liegt der Grund dafür in der revolutionären Bewegungssteuerung mit der Wii-Fernbedienung.
Tatsächlich bewegt sich Links Schwertarm exakt so wie derjenige des Spielers: und diese Synchronisierung ist von essenzieller Bedeutung, denn keines der zahllosen Monstren kann man noch "einfach so" besiegen. Vielmehr muss man dessen Bewegungen genau beobachten, um Schwachstellen oder ungeschützte Körperstellen zu erkennen und mit einer exakten Armbewegung dann genau dort zuzuschlagen. Gerade anfangs werden so selbst Schwertfutterkreaturen wie Bokoblins oder Fresspflanzen zu kaum überwindbaren Hindernissen. Aber hat man sich erst einmal eingegroovt auf den neuen Zelda-Flow, dann kann man gar nicht mehr genug davon bekommen. Unfassbar elegant ist die Bewegungssteuerung in das Zelda-Gameplay eingepasst worden. Nichts ist mehr wie früher, aber es fühlt sich noch genau so an.
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Upgrading
Anstatt von gewaltigen Arealen, die man während der Queste bloß ein einziges Mal durchqueren muss, muss man in "Skyward Sword" immer und immer wieder in bestimmte Areale zurückkehren – und das nicht nur, um das letzte Insekt oder ein anderes Artefakt für eine Sidequest zu erobern. Man braucht sie nämlich auch zum Upgraden der Items: statt verschieden großen Bombentaschen oder Pfeilköchern findet man in "Skyward Sword" nur mehr eine und muss sich diese dann im Bazaar von Skyloft vergrößeren lassen.
Selbiges gilt für bessere Versionen des Schilds (das im Übrigen auch zu Bruch gehen kann!), die Steinschleuder und das Insektennetz. Direkt gegenüber beim Zaubertrankhändler kann man gegen Übergabe einer bestimmten Anzahl von Insekten (die in allen Welten verstreut einzusammeln sind) seine Potions upgraden lassen. Besonders nützlich: der Heiltrank++, der einen gleich zweimal vor einem verfrühten Abgang rettet.
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Triforce
Viele klassische Dungeon-Rätsel haben die Designer zudem ausgelagert, und zwar in den unmittelbaren Bereich vor einem Tempel. So muss man etwa, bevor man sich in die Lanayru Mining Facility (Dungeon #3) stürzt, einerseits mit Zeitschaltkristallen, die es einem erlauben, zwischen Vergangenheit (begrünt) und Gegenwart (vertrocknet) zu switchen, vorarbeiten, andererseits in einem Treibsandareal insgesamt drei Energieschalter umlegen, um den Tempel überhaupt erst einmal zu Gesicht zu bekommen. Der Schwierigkeitsgrad dabei ist fordernd, aber nie unfair, die Lernkurve Zelda-typisch makellos.
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Eine Schöpfungsgeschichte
Nach runden fünfundzwanzig Spielstunden befinde ich mich grad in der Halbzeit des Spiels. "Skyward Sword" hat einen gewaltigen Umfang, bietet aber keine offene Welt wie etwa "Ocarina of Time". Aber gerade der Mut der Entwickler, neue Wege zu gehen und gleichzeitig alte Pfade einzubinden, sorgt für ein unvergessliches Spielerlebnis. Und, so viel soll zur Story noch verraten sein, "Skyward Sword" erzählt von dem Ursprung der gesamten Zelda-Mythologie, nämlich der Kreation des Triforce.
Die Perfektion der Bewegungssteuerung in Kombination mit der radikalen Neu-Ästhetisierung einer hinreichend bekannten Spielewelt und dem besten, weil so bewegenden Story-Telling innerhalb der Spielreihe, beweist eindrucksvoll, dass Nintendo trotz aller Verunglimpfung und Untergangsorakelei der Konkurrenz immer noch die Nase vorn hat. "Skyword Sword" ist Eleganz in Perfektion, ein puristisches Epos, das beste Wii-Spiel und eine Leistung, an der sich die gesamte Videospielindustrie noch einige Jahre lang messen wird müssen.