Erstellt am: 10. 12. 2011 - 12:43 Uhr
Teenage Angst war gestern. Heute gilt Adult-Fear.
Als ich das letzte Mal mit Frau Kuttner (per Studioschaltung) zusammentraf, schrieben wir März 2009. Ihr Erstling Mängelexemplar war gerade erschienen und neue Buchpläne noch nicht spruchreif. Sie meinte damals, sie sei so ganz mit dem aktuellen beschäftigt, dass da gedanklich noch kein Platz für die nächste Susi oder den nächsten Klaus wäre. Mir hatte das Debüt ausnehmend gut gefallen: "Ich bin schon neugierig auf die nächste Susi und den nächsten Klaus", schrieb ich.
Die sind nun da, heißen allerdings Louise (kurz Lu genannt) sowie Flo und sind ein Paar. Zumindest anfangs, denn bereits im Prolog macht die Autorin klar, dass nicht alles so Liebe-Wonne-Waschtrog bleiben wird. Wachstumsschmerz eben.
Sturzhelm erwünscht
Fischer Verlag
Man kennt und liebt sich seit einigen Jahren, als nächstes stünde "gemeinsame Wohnung" auf der Beziehungsagenda. Doch sowohl Louise als auch Flo zieren sich ein wenig und ängsteln herum. Stichwort: Freiraum, Erwartungen. Sarah Kuttner über ihr Anfang 30 Paar: "Weil in unserem Alter einfach scheinbar alle anderen so erwachsen sind und Kinder kriegen und heiraten und zusammenziehen. Und sie tatsächlich daraufhin ein bisschen das Gefühl haben, dass man das jetzt auch mal versuchen könnte. Es ist so eine Mischung aus Verpflichtung und sich einfach auch mal trauen.“
Dieses große, vermeintlich bedeutungsschwangere Erwachsenwerden/sein und seine kolportierten Bilder, "die wir aus dem Fernsehen kennen oder aus der eigenen Kindheit von unseren Eltern übernommen haben. Dass Erwachsene immer einen Schnurrbart haben und ein Haus und einen Hund, oder so. Das ist natürlich Quatsch“, sagt Kuttner. Und dennoch: dieser Quatsch macht oft genug das Leben schwer. So auch Luise und Flo.
Letzterer scheint anfangs zwar der Zögerlichere, aber Flo, der Kletterhallen-Manager, wird den Zusammenzieh-Berg dann doch recht gut meistern. Louise hingegen geht die Luft aus. Das gemeinsame Leben reißt bei ihr ein generelles "Wo-Will-Ich-Hin-Im-Leben" Loch auf. Ihre Herrenschneiderei scheint nicht mehr genug, die mögliche TV-Karriere zu inhaltsleer und Papa drängt aufs Theater. Aber Louise stellt fest, dass sie für nichts wirklich brennt – nur ihre Haut tut das irgendwann. Wie eine allergische Reaktion auf all diese "Du solltest, müsstest, könntest auch noch".
Festgefertigte Lebensentwürfe als Rarität
„Wir haben natürlich sehr viel mehr Möglichkeiten dieser Tage, was großartig ist. Was aber eben auch ein bisschen Druck ausüben kann. Und einem das Gefühl geben kann, dass man noch nicht alles nutzt, was man nutzen könnte. Und das kann einen schon bedrücken“, glaubt Sarah Kuttner. Es sei ein bisschen wie an einem leckeren Buffet, wo man ob der Auswahl schon mal in Verwirrung geraten könne, was jetzt gut für eineN sei.
Protagonistin Louise und das Leben stehen gerade nicht so gut miteinander. So wie es eben manchmal geht, meint Kuttner: "Dass man denkt: ach ich werd aus mir nicht schlau, aber auch andere Leute werden aus mir nicht schlau oder ich werde nicht daraus schlau wie Leute aus mir schlau werden – ums noch komplizierter auszudrücken.“
Marcus Höhn
Louise und Flo gehören dieser Generation Y, Nesthocker, Praktikum, was auch immer an. Sarah Kuttner meint zum Thema Generationenbegriff: "Ich finde Leute, die Generationen Namen geben auch eher furchtbar. (...) Das sind nur Leute, die nicht Teil dessen sind. Die einfach eine Masse in eine Form pressen und denen ein Problem aufdrücken und das bestenfalls auch noch lächerlich finden.“
Wo es weh tut
Ich-Erzählerin Louise ist voller liebenswerter Ansichten und Macken wie es schon Karo in Mängelexemplar war. Sie könnte die (problemtechnisch) kleine-große (alterstechnisch) Schwester der mit der Psyche so stark kämpfenden Protagonistin des Erstlings sein. Abgerundet werden Louises Persönlichkeit durch einen feinen Musikgeschmack (The National, Bright Eyes) plus ebensolcher Serienvorlieben (Mad Men, Dexter, Californication). Das ergibt mitunter ein poppiges Referenzieren und Namedropping inklusive Bashing von Unpoppigem. Ihre Erzählebene bricht Kuttner immer wieder durch kurze Memos von Louise an den nunmehr abwesenden Flo auf. Stilmäßig insgesamt ins Genre Rollenprosa einordenbar.
Wachstumsschmerz schnoddert, platzt raus, ist altklug, manchmal weise. Zielt ab auf Schmunzler und Schnoferl. Allerdings: nicht so mitreißend und berührend wie der Vorgängerroman. Zu alltagshaft plätschert die Story. Vielleicht liest das anders, wer gerade in so einer Situation steckt oder steckte?
Einzig im letzten Drittel, wenn das Elend richtig ausbricht, fetzte es für mich wirklich. Und eine Lese-Wonne sind Louises Zusammentreffen mit den sogenannten Erwachsenen oder betagteren Herrschaftchen, sie sich bei ihr was schneidern lassen wollen. Louise und das Alter können irgendwie gut miteinander. Auch Frau Kuttner erzählt, dass sie da ´nen Draht hätte. Wahrscheinlich, weil sie eine gute Zuhörerin und Nachfragerin sei, selbst wenn da nicht ihr Steckenpferd-Thema verhandelt werde: „Das beherrsch´ ich ganz gut, weil ich mich dann auch wohlfühle, wenn die sich wohlfühlen. Ich ein bisschen ein Oma- und Opa-Magnet.“