Erstellt am: 2. 12. 2011 - 17:30 Uhr
The more you change the less you feel
Es fing alles so hoffnungsvoll an. Niko, der die wunderbaren Fotos gemacht hat, und ich haben Messages ausgetauscht: "Tonight, Tonight?" - "This could be the greatest day."
Allen Menschen, die mich mitleidig belächelten, begegnete ich mit Hohn. Ich würde zur alten Lieben stehen, egal ob sich die Welt weiter gedreht hat oder nicht. Auf die Diskussion, ob Bands, die man mit 13 geliebt hat, vergleichbar sind mit Menschen, mit denen man mit 13 geschmust hat, und ob man mit denen heute wieder schmusen würde, möchte ich nicht unbedingt eingehen.
Dennoch zwangen mich meine am Puls des Zeitgeist lebenden Freunde durch ihr mitleidiges Grinsen, mir Rechtfertigungen zu überlegen, warum ich an diesem Abend zu den Smashing Pumpkins und nicht zu SBTRKT gegangen bin.
Die psychedelische In-sich-Gekehrtheit von Gish hat mich vor 20 Jahren berührt und verwirrt. Die Samshing Pumpkins haben in den Nummern, die ich fast noch als Kind gehört habe, Schmerz, Dramen und Verlust besungen, die ich damals nur als dramatische und pathetische Geste in meine Existenz einbauen konnte. Die Verlustmelancholie war für mich eine Pose. Und da jeder Mensch im Laufe seines Lebens auch mit einem Haufen Scheiße konfrontiert wird, Menschen und Orte verliert, wollte ich wissen, ob ich heute noch in irgendeiner Weise für den Glamour des Dramas von Billy Corgan empfänglich bin. Empfänglich für Musik für Menschen, die schon mit 16 den Verlust ihrer Jugend betrauert haben.
Mein Freund D., der bis heute immer noch tapfer sein Zero T-Shirt trägt und eines der reinsten und zynismus-unfähigsten Geschöpfe ist, geht mit. In der U-Bahn tauchen die auf der Hand liegenden Fragen auf: Wer geht da eigentlich noch hin? Wer sind die Menschen, die außer Billy Corgan in dieser Band spielen? Ich musste schmunzeln, als ich im Nachhinein ein Zitat der 1979 geborenen Bassistin Nicole Fiorentino las, die behauptete, sie sei eines der kleinen Mädchen auf dem Siamese Dream Cover.
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"Teargarden By Kaleidoscope" sind Songs, die Corgan peu a peu veröffentlichen wollte, so dass man ihre Entstehung und die Entwicklung des Werks hört, während es gemacht wird. Aber irgendwas ist nicht aufgegangen, und so werden Teile davon jetzt Anfang 2012 als reguläres Album Oceania erscheinen. Billy Corgan meinte unlängst: In Zeiten wie diesen wären Alben so wichtig wie noch nie.
Im Wiener Gasometer angekommen verlaufen wir uns erstmal zwischen den Fastfoodketten und Drogeriemärkten und landen vor dem Büro der Sozialversicherung anstatt beim Konzert. Ich kann mir nicht verkneifen, von der guten alten Zeit zu erzählen, als ich mich hier auch verlaufen habe. Damals im Niemandsbrachland, als ich Raven gehen wollte und Bauzäune statt Fastfoodketten die physischen Hindernisse waren, die man vor dem Kunst- und Kulturgenuss überwinden musste.
Niko, der die wunderbaren Fotos macht, hat Angst, dass es desaströs wird und er wieder eine Band seiner Jugend verliert. Die BesucherInnen sind in meiner Altersklasse und ich will eine Umfrage starten: Wie sie mit dem Verlust der Jugend umgehen, ob sie sich damit abgefunden haben, keine Teenager mehr zu sein und was wohl geschehen würde, wenn ihr Ich von damals das Ich von heute trifft?
Bei der Inspektion der Merchandise-Palette stellen wir fest, dass das aktuelle Tour-Shirt aussieht wie eine psychedelische Version des Leichentuchs von Turin. Mir fällt ein, dass Kollege Pfister Billy Corgan einmal durch den Vatikan verfolgt hat. Sehr amüsieren mich auch die Zero Shirts mit dem Vintage Washed Anhänger.
Das Licht geht aus, die Leute freuen sich und schreien.
niko ostemann
Billy Corgan sieht aus wie der Papa seiner BandkollegInnen. Auf der Bühne sind mit Spiegelfliesen beklebte Windräder die so aussehen, als wären sie in einem Volkshochschulkurs für gelangweilte Frühpensionisten gebastelt worden. Vielleicht macht man so was aber auch in der Rehab. Dahinter hängt Goldlametta.
niko ostemann
Die Smashing Pumpkins setzen auf Reizüberflutung und beginnen mit Panopticon, einer neuen Nummer. Sehr viel Lärm wird über uns ausgeschüttet, der in Kombination mit der Akustik und der Lautstärke zu Schmerz wird. Billy Corgan scheint ein Freund der großen Rockgesten, Marke römischer Imperator, geworden zu sein und foltert mich mit Soli und Gejamme.
Auch Starla und Geek USA zu hören macht mich nicht glücklich. Ich überlege mir ständig, ob ich damit etwas anfangen könnte wenn ich es heute zum ersten Mal hören würde. Ich fühle mich unwohl beim Plantschen im Pool der geriatrischen Popkultur.
Die laut/leise-, fragil/brachial-Dynamik, die die Smashing Pumpkins einst so Meisterhaft beherrschten, entfaltet sich nicht. Auch die Psychedelic, die das Möbiusschleifen-Skelett vieler früher Tracks bildete, höre ich bei all der Hau-drauf-Rock-Egomanie nicht. Ist das Publikum entnervt soviel neues Zeug und B Seiten zu hören anstatt die Hits der Mautrafeier?
niko ostemann
Der Typ neben mir mit makellos gebügeltem Streifenhemd und einem sensationell weich aussehenden dunkelblauen Cashmere Pullover, um den ich ihn beneide, versucht die Satanshörner zu zeigen, erwischt aber beim ersten Versuch die falschen Finger. Es scheint zu gefallen.
D. und ich unterhalten uns inzwischen übers Schwarzfahren, mehr Emphase ist nicht möglich. Und auch Billy Corgans Band wirkt so, als wäre es völlig egal, ob sie gerade Musik spielen, ihren Job machen oder sich übers Schwarzfahren unterhalten. Leute die professionell Musik spielen zu der sie keinen Bezug haben.
D. hat sich vorbereitet und kennt die Setlist. Er verbietet mir zu gehen und meint, wir hätten einfach 90 Minuten später kommen sollen.
Er weiß nämlich schon was passieren wird. Der Imperator, der übrigens immer wieder den "mit ausgestreckter Hand einen Schwenk über Publikum Move" vollführt, wird uns im Endteil des über zwei Stunden dauernden Konzerts das geben, was wir vermutlicher hören wollen: I am one, Cherub Rock, Tonight Tonight, For Martha, Zero, Bullet with Butterfly Wings.
niko ostemann
Es gab immer Gemunkel, dass Billy Corgan nicht der angenehmste Zeitgenosse sei. Während des gesamten Konzerts spricht er kein Wort. Eisiges Schweigen und getimtes Lärmabschütten von der Bühne. Im Zugaben-Block beginnt er plötzlich mit der Band zu Scherzen und sagt tausendmal "thank you". Bei Bullet with Butterfly Wings wird noch einmal "SING!" ins Publikum befohlen, kombiniert mit der Imperatoren-Geste.
Das Konzert ist vorbei, mir geht es körperlich schlecht. Mit D. Im Schelpptau renne ich zur Fastfoodkette im Nebengasometer und bringe beim Bestellen nicht mehr als ein verzweifeltes: "Zucker" heraus. Der Typ hinterm Tresen schaut mich an und fragt : "Einen Burger mit Zucker?". Ich hoffe sehr, dass, wenn ich mich an diesen Abend erinnere, mir das im Gedächtnis bleibt.
Die weisen Schlussworte gehen an meinen klugen Freund D.: "Oh Scheiße, das ist nicht mal Retro. Dann hätte es noch irgendeinen Bezug zur Gegenwart. Es ist einfach nur altmodisch."