Erstellt am: 3. 12. 2011 - 13:15 Uhr
"Tatort Stadion"
Das kommende Fußball-Großereignis, die Euro 2012 in Polen und der Ukraine, stellt nicht nur einen sportlichen Wettkampf dar, sondern auch eine gigantische Marketingmaschine. Sponsoren zahlen Millionenbeträge, um ihren Marken und Produkten durch das Fußballumfeld einen Imageschub zu verpassen. Dafür muss aber auch das Image des Fußballs positiv sein, bunt, familienfreundlich, friedlich und länderübergreifend. Etwa so wie im Logo der Euro 2012.
Dass Fußball, Emotion und Leidenschaft in seinem Umfeld und die "Fankultur" auch dunkle Seiten haben, wird von den Vermarktern und den Verantwortlichen, Vereinen und Fußballorganisationen, gerne unter den Teppich gekehrt. Bei Diskriminierungen aller Art ist ihr erster Reflex oft das Wegschauen, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
No Racism
Mittlerweile gilt das nicht mehr für alle Arten der Diskriminierung. Schon vor der Jahrtausendwende haben die großen Fußballverbände FIFA und UEFA begonnen, sich den Kampf gegen Rassismus auf die Brust zu heften und kooperieren mit Initiativen wie Football against Racism in Europe. Die Nationalen Fußballverbände haben sich dem Kampf gegen Rassismus angeschlossen, wenngleich ihre Maßnahmen selten über PR-Maßnahmen hinauskamen und so kaum öffentliche Diskussionen aufkamen.
Alle Fotos von Florian Lechner
Florian Lechner
In Deutschland hat die Ausstellung "Tatort Stadion" 2001 den Anstoß für eine Diskussion über Diskriminierung im Fußball gegeben. Die vom BAFF - Bündnis aktiver Fußballfans organisierte Ausstellung richtete sich explizit gegen Rassismus und Antisemitismus, thematisierte die Unterwanderung der Fankurven durch Rechtsextreme und legte ihre Codes und Symbole offen. Außerdem setzte sie die Ausländerfeindlichkeit in den deutschen Stadien in einen Kontext mit rassistischen Aussagen des damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder.
Dass der DFB daraufhin bereits zugesagte Fördergelder wieder zurückzog, war ein Marketingdesaster für den Fußballverband. Der Ausstellung verhalf es zu noch mehr Aufmerksamkeit, dem DFB brachte es viel Kritik an seinen Anti-Rassismus-Maßnahmen ein, die ihn schließlich zu einer Kursänderung und zu mehr und aktiverem Engagement veranlasste.
"Hierarchie der Diskriminierungsformen"
Mittlerweile gäbe es in vielen Gruppen einen "antirassistischen Grundkonsens" meint Gerd Dembowski vom BAFF, der an der Organisation von Tatort Stadion beteiligt war, aber das bedeutet oftmals, dass Themen wie Sexismus oder Homophobie immer weiter zurückgedrängt werden und alle reden nur mehr von Rassismus und Anti-Rassismus." Es sei eine "Hierarchie der Diskriminierungsformen" entstanden, auf welche die KuratorInnen von Tatort Stadion reagiern wollten.
Florian Lechner
Die Ausstellung wurde umgearbeitet und bietet nun eine sozialhistorische Aufarbeitung unterschiedlicher Formen von Diskriminierung im Fußball. Neben Anti-Ziganismus sind auch bestimmte Männlichkeitsbilder und der scheinbar harmlose "Party-Patriotsmus" aufgenommen worden, der schnell in nationalen Chauvinismus abgleiten kann, mit fließenden Grenzen zum Rassismus.
Ironische Distanz
"Die Gründung einer Gruppe produziert gleichzeitig immer eine andere Gruppe, von der man sich immer abgrenzt. [...] Es gibt immer ein 'Wir und die Anderen'", diesem fußballinhärenten Problem, ist sich Gerd Dembowski bewusst. Dieses Dilemma sei auch gar nicht überwindbar, doch Fans sollten ihre Rivalitäten kritisch reflektieren, sie nicht so ernst nehmen und nach 90 Minuten Spielzeit auch wieder ablegen. Die Feuilletonisierung des Fußballs in Deutschland durch Magazine wie 11Freunde oder die Aufnahme von Fußballberichterstattung durch die Qualitätszeitungen, hätte in diesem Punkt durch ihre ironische Distanz zum Fußball einen wichtigen Beitrag geleistet. Selbst in "Ultra-Kreisen" könne man mittlerweile über Homophobie und Nationalismus reden, was laut Gerd Dembowski noch vor zehn Jahren in Deutschland undenkbar gewesen wäre. Nach 10 Jahren Tatort Stadion-Ausstellung und über 200 Ausstellungsorten seien die Fußballfans für solche Themen sensibilisiert worden.
Nichts Vergleichbares in Österreich
In Österreich gibt es nichts Vergleichbares zu Tatort Stadion, meint Maurice Kumar vom Kulturkollektiv Contrapunkt, "keine Ausstellung, keinen öffentlichen Diskurs zum Thema Rassismus und Sexismus in Österreich. Es gibt ihn sehr wohl bei einzelnen Fußballvereinen, bei einzelnen Faninitiativen, die sich damit auseinandersetzen, aber nicht vom Österreichischen Fußballbund forciert."
Florian Lechner
Maurice hat jetzt die Ausstellung zum ersten Mal nach Österreich geholt, nach Innsbruck, um andere Kulturinitiativen und Vereine zum Nachmachen zu animieren und das Thema Diskriminierung zum Gegenstand einer breiteren Diskussion zu machen.
Dabei ist Maurice weder organisierter Fußballfan, noch "Stadiongeher", sondern jemand, der sich aus einer Metaperspektive mit Fußball auseinandersetzt. Sein Interesse gilt der Fankultur, der Politik rund um den Fußball und dem Fakt, dass der Massensport Fußball sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Schichten zusammbenbringt, aber dadurch auch ein großes Konfliktpotential entsteht.
Für die Organisation der Ausstellung und des Rahmenprogramms hat sich Maurice an die neu gegründete Faninitiative von Wacker Innsbruck gewandt, die sofort zugesagt haben. Der Verein engagiert sich schon länger im Kampf gegen Rassismus und hat auch in seinen Vereinsstatuten ein Bekenntnis zum Anti-Rassismus formuliert. Dass dies nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wurde im Mai diese Jahres schlagend, als sich die Innsbrucker Nordtribüne zweier Rechtsextremer entledigte.
Österreichpremiere
Das vollständige Programm ist hier zu finden.
Florian Lechner
Tatort Stadion wurde vergangenes Wochenende im Kulturzentrum Die Bäckerei eröffnet. Gabriel Kuhn sprach über Diskriminierung und soziale Verantwortung im Fußball und Judith Götz über das Verhältnis von Antisemitismus und Fußball in Österreich. Am 6.12. hält die Faninitiative Innsbruck gemeinsam mit Studierenden der Uni einen Workshop ab, der Chancen aufzeigen soll zur Überwindung von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit im und durch den Sport. Am 9.12. wird Gerd Dembowski einen Vortrag mit dem Titel "Das Elend der Männlichkeit" halten, zu Heteronormativität im Fußball. In einer Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Fanszene, Fanarbeit, Polizei und Justiz zum Thema "Fans und Repression – Fußball als Trainingsfeld für Überwachung und Kontrolle?" geht die Ausstellung am selben Abend auch zu Ende. Bis dahin kann man die Ausstellung jeden Tag außer montags besichtigen.