Erstellt am: 6. 12. 2011 - 12:30 Uhr
Die Arche des Austropop
Simon Reynold postuliert in seinem Buch Retromania die These, dass sich Pop durch seine manischen Flucht in die Archive selbst erschöpft. Doch wie steht es um das Archiv der österreichischen Popmusik?

Daniela Derntl
Den Grundstein für das SR-Archiv legten die Musiker und Journalisten Johnny Pichler und Wolfgang "Fadi" Dorninger. Beide waren in zahlreichen Bands wie Target of Demand oder Wipe Out aktiv und lebten ihre Passion auch als Musik-Kritiker im SKUG-Magazin aus. Im Sommer 1993 kam ihnen die Idee, alle Rezensionsexemplare österreichischer Bands in der Redaktion zu sammeln. Den daraus resultierenden Plattenpool nannten sie SKUG-Research-Archive, kurz SRA. Zu den Tonträgern gesellte sich eine umfangreiche Sammlung von Flyern, Plakaten und Fanzines wie Chelsea Chronicle oder Flex' Digest. 1996 wurde das Archiv vom SKUG ausgegliedert und in einen eigenen Verein überführt, den Sigrid Dibon bis heute leitet.

Daniela Derntl
Die persönliche Punk-Präferenz von Johnny Pichler und Wolfgang Dorninger bildete auch die Basis des SR-Archivs. Sie wollten dem damaligen Underground, dessen Teil sie selbst waren, die damals fehlende Identität und nötige Aufmerksamkeit verschaffen. Der Wirtschaftsinformatiker Pichler programmierte die erste SRA-Datenbank, fütterte sie mit seinem Musik-Wissen und schlüsselte darin die heimischen Szene-Netzwerke auf.
Bereits 1994 ging der Duden der Dudes online, was als zweite Pionierleistung der beiden Oberösterreicher verbucht werden kann. So kam es, dass so manche Bands der frühen Neunziger in Ermangelung einer eigenen Webpräsenz die URL des SR-Archivs auf ihre Tonträger druckten. So übernahm das SRA-Team eine Vermittlungsfunktion, die sie heute noch heute inne hat.
Das gute Ranking in den Google-Suchergebnissen macht das SR-Archiv zu einer beliebten Anlaufstelle für Fans, Studenten, Medienmenschen und Touristen, die sich beim Musiktank ein musikalisches Andenken mit nach Hause nehmen. Der Musiktank basiert auf einer I-Tunes-Oberfläche. Man findet ihn online und auch in der SRA-Homebase im Museumsquartier und im Haus der Musik. Doch der Musiktank ist nur mit einem Teil des SR-Archivs ident, denn viele Songs sind wegen unklarer Urheberrechte nicht zum Verkauf freigegeben.

Daniela Derntl
Damit die Arche des Austropop nicht in Vergessenheit gerät, legt sie von Zeit zu Zeit in Lokalen an und auf. Bei der Veranstaltungsreihe Listen to Gold erfüllen heimische Bands und Experten aus der Branche den Bildungsauftrag in Sachen österreichischer Populärmusik. Wobei die Genre-Grenzen des SRA nicht dogmatisch, sondern nur in zwei Kategorien negativ abgesteckt sind - keine Klassik, keine reine Volksmusik. Somit finden sich auch Schlager, Jazz und Blues im ehemaligen Underground-Lexikon. Laut Sigrid Dibon werden Acts wie Wolfgang Ambros und Kruder & Dorfmeister am häufigsten gesucht.

SRA
Der Terminus "österreichisch" wirdebenfalls nicht so streng genommen. Er bezieht sich auf den momentanen Lebensmittelpunkt der Künstler und Künstlerinnen, nicht auf ihre Staatsbürgerschaft - der letzte Listen to Gold-Abend etwa fokussierte auf Musik von Frauen aus Osteuropa.
Stichwort Frauen: Auch 2011 ist der Frauen-Anteil unter den Musikschaffenden erschreckend gering. Nur 12 Prozent von ihnen sind weiblich.
Ein Ergebnis, das Sigrid Dibon ernüchternd kommentiert: "Als wir mit dem Archiv begonnen haben, waren es vielleicht 2 Prozent". Also eine Steigerung von 10 Prozent in 18 Jahren.
Weitere Ergebnisse aus der SRA-Statistik: Die meisten Musikanten kommen aus Wien, Oberösterreich und der Steiermark und in den Neunzigern wurden weit mehr Bands gegründet, als in den Nuller-Jahren. Wobei laufend neue bzw. auch schon etwas ältere Bands erfasst werden, die Statistik ist kein abgeschlossenes Ergebnis, sondern befindet sich in einem dynamischen Prozess.
Status quo im SR-Archiv:
- erfasste Bands: 12.710
- Einzelpersonen: 24.626
- Songs: 91.225
- Tonträger: 14.407

SRA
Das SRA versucht, nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch up to date zu bleiben, soweit es die finanziellen Mittel eben zulassen. Seit dem Sommer gibt es ein neues Visualisierungs-Tool VIS auf der Webseite, das Bands/Personen/Tonträger/Labels als Knoten in unterschiedlichen Farben und miteinander vernetzt darstellt.
Noch in der Planungsphase befindet sich die Realisierung von Apps und die Anhörmöglichkeit aller Songs im Musiktank für zumindest 50 Sekunden.
Bestückt wird das SR-Archiv von den Labels und Musikern und Musikerinnen selbst. Private Förderer bringen Schätze aus ihren Plattensammlung als Leihgabe vorbei. Ober-Archivarin Sigrid Dibon bemüht sich, alle Lücken im Archiv zu füllen und Dank des regen Outputs der heimischen Musik-Szene hat sie immer alle Hände voll zu tun.