Erstellt am: 2. 12. 2011 - 18:54 Uhr
Zum Tod von Christa Wolf
Es mag für die LeserInnen dieses Nachrufs irrelevant sein, aber für mich von großer Bedeutung, dass ich mich zur Zeit in Berlin befinde. Eine Stadt, die eine enorme Rolle im Leben Christa Wolfs gespielt hat und nun auch zur letzten Station ihres Lebens wurde.
Berlin als Sinnbild, einerseits für die Trennung in BRD und DDR und andererseits für die Wiedervereinigung Deutschlands, war auch für Christa Wolf immer wieder ein ambivalenter Ort voller Höhen und Tiefen.
Ullstein/Köppe
1929 im heute polnischen Gorzów Wielkopolski, damals noch Landsberg an der Warthe, geboren, trat Christa Wolf mit zwanzig Jahren der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und blieb bis 1989 deren Mitglied. Sie studierte Germanistik, arbeitete mehrere Jahre beim Deutschen Schriftstellerverband der DDR und war dort später auch im Vorstand tätig. Seit 1962 arbeitete sie als freie Schriftstellerin.
"Christa Wolfs Literatur ist eigentlich ohne die Politik gar nicht verständlich", sagt die Literaturkritikerin Sigrid Löffler in einem Interview mit SWR2. Wolfs Thema ist immer wieder die Teilung Deutschlands, schon in ihrem literarischen Debut Moskauer Novelle, aber auch in ihren weit bekannteren Werken, wie Der geteilte Himmel, Kassandra, Nachdenken über Christa T., Medea. Stimmen, oder ihre bis heute oft diskutierte Erzählung Was bleibt, die den berühmten Literaturstreit auslöste, da Wolf in dieser Geschichte die Mitschuld-Vorwürfe nach der sogenannten "Wende" gegenüber ihrer eigenen Person und gegenüber anderen DDR-SchriftstellerInnen verarbeitete.
Es geht nicht um Christa Wolf
*aus: Hochgeschurz, Marianne (Hg.): Christa Wolfs Medea. Voraussetzungen zu einem Text. DTV, München: Oktober 2000.
Denn als Aushängeschild der DDR-Literatur war es immer wieder Christa Wolf, die sich öffentlich zu rechtfertigen hatte und als Sündenbock herhalten musste: "Vor der Wende hat man Christa Wolf als Nobelpreiskandidatin gepriesen, dann – als die DDR als ein Irrtum der Geschichte bezeichnet wurde – hat man sie im Westen als Staatsdienerin verhöhnt."* Ein Zustand der an dem Menschen Christa Wolf nicht spurlos vorübergegangen ist und durch den sie sich gezwungen sah immer wieder ihre Vorstellung der DDR zu verteidigen. "Es geht um Christa Wolf, genauer: Es geht nicht um Christa Wolf", wie Wolf Biermann den Literaturstreit zusammenfasste.
Dass sie als "IM Margarethe" für die Stasi gearbeitet hatte, wurde im Deutschland nach der Wiedervereinigung mit Argwohn und Unmut aufgenommen. Dass Wolf selbst jahrelang überwacht wurde und nur geblieben ist, weil ihre Leser sie gebraucht hätten, hat sie immer wieder, aber oft unerhört, beteuert. Christa Wolf setzte sich in der DDR gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann ein, kämpfte als SED-Mitglied immer wieder gegen die Willkür der Staatskräfte und protestierte unaufhörlich für gesellschaftliche Reformen in ihrer nun nicht mehr existenten Heimat.
dpa
Den Anfeindungen im vereinten Berlin kehrt Christa Wolf bald den Rücken, geht nach Amerika und reflektiert dort lange ihr Leben in der Nach"wende"zeit, sie formuliert ihren immer noch utopischen Traum eines funktionierenden sozialistischen Staatsgebildes und entschließt sich dann ihre Stasi-Akten zu veröffentlichen, bevor sie nach Berlin zurückkehrt. In diese Stadt, deren BewohnerInnen Christa Wolf so oft angefeindet, aber auch genauso oft verehrt haben.
Christa Wolf ist am Donnerstag im Alter von 82 Jahren nach langer Krankheit im Berliner St.Hedwig-Krankenhaus gestorben.