Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Nach wie vor tödlich"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

1. 12. 2011 - 10:48

Nach wie vor tödlich

Vor 25 Jahren nahm die AIDS-Hilfe Steiermark ihre Arbeit auf. Ist AIDS zu einer Art chronischer Krankheit geworden?

Im Biologieunterricht stellte eine Freundin eine Hochrechnung an. Nach der wäre die Hälfte der Klasse bereits an AIDS verstorben. Der bis auf Haut und Knochen abgemagerte Tom Hanks hatte in "Philadelphia" Jahre zuvor den HI-Virus noch vor allem als Problem Homosexueller in die Kinosäle getragen. Und Oliviero Toscani schockte mit Werbung mit dem Bild eines sterbenden Aids-Kranken, fotografiert von der amerikanischen Reporterin Therese Frare. Heute fällt mir zu AIDS als erstes der Life Ball ein.

Hat der HI-Virus an Schrecken verloren? Oder sind alle aufgeklärt?

"Für mich ist das immer ein ambivalentes Bild. Einerseits sind wir AIDS-Hilfen eine Organisation, die sich mit einer tödlichen Krankheit auseinandersetzt. Auf der anderen Seite hat sich die AIDS-Hilfe Toleranz, Offenheit und Lebenslust erhalten", sagt Günther Polanz von der AIDS-Hilfe Steiermark. Der Welt-AIDS-Tag 2011 ist für die Institution ein besonderer Anlass: Die erste Landesstelle der Österreichischen AIDS-Hilfe wird 1986 eröffnet. Drei Jahre zuvor kam der erste AIDS-Patient in Graz in das Landeskrankenhaus.

1988 erklären die Vereinten Nationen den 1. Dezember zum Welt-AIDS-Tag. In Österreich zählen MedizinerInnen bis dahin 232 HIV-positive Personen, 113 sind zu dem Zeitpunkt bereits verstorben.

„Am Anfang war eine richtige Hysterie gegen Menschen mit HIV vorhanden“, erinnert sich Lola Fleck, die seit siebzehn Jahren in der AIDS-Hilfe Steiermark tätig ist. “Ein Grund dafür war bestimmt, dass man nicht wusste, wie man sich mit dieser tödlichen Krankheit infiziert. Man dachte, das sei auf das soziale Verhalten der Personen zurückzuführen. Menschen hatten Angst, AIDS zu kriegen, wenn sie jemandem die Hand schüttelten.“ Heute ist klar: Im sozialen Kontakt kann man sich nicht mit dem HI-Virus infizieren.

An die 34 Millionen Menschen leben weltweit mit dem HI-Virus. In Österreich haben sich bisher geschätzte 12.000 bis 15.000 Menschen mit HIV infiziert. Eine genaue Zahl lässt sich nicht sagen. Anonymisiert meldepflichtig ist hierzulande nur die AIDS-Erkrankung.

Anonyme und kostenlose Tests von Anfang an

Das Erste, was die AIDS Hilfe in der Steiermark anbot und bis heute anbietet, waren und sind HIV-Antikörpertests. Die hießen in den Anfangsjahren noch anders und wurden im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie des Gesundheitsministeriums durchgeführt, um herauszufinden, wie verbreitet der Virus in Österreich bereits sei. Kontaktiert hat man die Homosexuellenorganisationen. Die Auswertung dauerte lange, bis zur endgültigen Aussage über einen negativen Befund - also keine Infektion mit HIV - vergingen bis zu zwölf Monate. Doch bereits damals war der Test anonym und kostenlos. Im Hygieneinstitut, in einem Raum, war die erste Stelle der AIDS Hilfe in Graz.

Zu testen und rasch zu behandeln ist heute noch eine wichtige Aufgabe. 2100 HIV-Antikörpertests hat die AIDS Hilfe Steiermark im Vorjahr gemacht. “Prävention ist ebenfalls ein Thema der ersten Stunde: Niemand soll sich infizieren.“ Zentral ist auch die Betreuung von Menschen mit HIV. Sie bekommen psychosoziale Unterstützung und können ihre Freunde und Angehörigen zu Beratungsgesprächen mitbringen.

Beratungs- und Blutabnahmezimmer der AIDS Hilfe Steiermark

Radio FM4

Versteckte Krankheit

Red Ribbon

Radio FM4

1991 wird das Red Ribbon zum internationalen Zeichen für Solidarität.

AIDS wird gerne wie eine chronische Krankheit gesehen. Lola Fleck betrachtet das als Optimismus, den sie selbst gegenüber betroffenen Personen verbreitet. Die Therapiemöglichkeit gibt es in Österreich seit 1996/7. “Wir sehen viele, die unter der Therapie versterben. Wir sehen, wie schwierig es ist, sich an die exakte Einnahme der Medikamente zu halten und die Überdosierung der Psychopharmaka, die notwendig ist, wenn man HIV-positiv ist. Es ist nicht leicht, HIV-positiv zu sein“, stellt Fleck klar.

Diskriminierung hält sich hartnäckig. Menschen, die mit HIV leben, leiden unter Stigmatisierung. Die meisten KlientInnen der AIDS-Hilfe behalten ihre Infektion für sich oder vertrauen sich nur dem engsten Freundeskreis an. Ihre Vorsicht wird leider vielfach von Arbeitgebern bestätigt.

Arbeitgeber sind skeptisch, wenn ihnen bekannt wird, dass jemand HIV-positiv ist. Lola Fleck rät KlientInnen daher, es schlichtweg nicht zu sagen. “Auch, wenn Arbeitgeber nicht entlassen – an ganz wenigen Arbeitsplätzen wird damit offen umgegangen. Zum Glück ist es so, dass Relikte von Diskriminierungen in Gesetzestexten und Verordnungen gerade überarbeitet werden.“ Aber oft findet sich ein anderer Grund als Vorwand für die Entlassung, und Arbeitgeber sprechen die Erkrankung nicht direkt an.

Die gesellschaftliche Akzeptanz für HIV-Positive ist 2011 noch eine enorme Herausforderung. Lola Fleck würde sich wünschen, dass ihre KlientInnen über ihre Infektion offen sprechen könnten, wie etwa Menschen über ihre Krebserkrankungen. Dass sie ihr Herz ausschütten können und erzählen, was es heißt, mit einer chronischen Infektion leben zu müssen und dieser den gesamten Alltag unterzuordnen. “Das können Krebskranke problemlos tun. Das kann jemand, der HIV-positiv ist, nicht machen. Er oder sie wird auf kein offenes Ohr stoßen.“

Ch-Ch-Changes

Alle österreichischen AIDS-Hilfen im Überblick.

Eine große, erfreuliche Wende kam in der AIDS-Hilfe Mitte der Neunziger Jahre: Die ersten wirksamen Medikamente kamen auf den Markt. Zuerst traute man ihnen nicht. Die Nebenwirkungen des ersten Medikaments AZT waren noch böse in Erinnerung, die Menschen starben grausam. Dann erwies sich Monat für Monat und von Jahr zu Jahr: Es gibt endlich medizinische Behandlung, die greift. HIV zu haben bedeutet nicht einzig das Todesurteil.

Der HI-Virus greift das Immunsystem an. Medikamente können das bremsen. Manche PatientInnen kommen mit einer Tablette am Tag aus, andere sind austherapiert, d.h. der Virus reagiert selbst nicht mehr auf Spritzen. “Das ist die Problematik heute: Wenn man sich nicht selbst mit dem Kondom schützt, kann man sich auch einen Virus holen, wo man frisch infiziert bereits auf zwei, drei Medikamente nicht mehr anspricht.“, erklärt Lola Fleck.

Verschobene Moralvorstellungen

Küssen ist ungefährlich. Übertragen werden kann der HI-Virus bei Vaginal- und Analsex ohne Kondom. Auch bei Oralsex mit Samenerguß oder Scheidenflüssigkeit im Mund besteht Ansteckungsgefahr.

Mit Aufklärung in Schulen hat die AIDS-Hilfe früh begonnen. “Ein Erlebnis für mich war, dass es noch in den späten Neunziger Jahren Rückmeldungen gab: ‚An unserer Schule darf kein Kondom gezeigt werden, da darf in keiner Klasse gezeigt werden, wie man das anwendet. Das verdirbt die Jugend'“, erinnert sich die Leiterin der AIDS Hilfe Steiermark, Lola Fleck. “Das hören wir heute zum Glück überhaupt nicht mehr.“

Die AIDS-Hilfe Steiermark feiert ihr 25-jähriges Bestehen:
"Lust For Life" mit Texta, Stevies Wonder Glasses, Binder & Krieglstein und Le TamTam.
1. Dezember, ab 19 Uhr im P.P.C., Graz.

Die Thematik HIV ist eng mit Moralvorstellungen verknüpft. Auch für einen offenen Umgang mit Verhütung und gegen die Ausgrenzung sogenannter Randgruppen setzt sich die AIDS Hilfe ein. 1990 findet der erste "Tuntenball" in Graz statt, initiiert von den "Rosaroten Panthern" und der AIDS-Hilfe. Der Tuntenball wuchs über seine ursprüngliche Szene Jahr für Jahr zum gesellschaftlichen Pflichttermin.

Gefeiert wird auch heute: Mit dem Benefiz "Lust for Life". "Nach 25 Jahren kontinuierlicher Arbeit darf man auch einmal feiern", findet Günter Polanz.